1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Wenn Kinder eigene Wege gehen

Wenn Kinder eigene Wege gehen

Von Bettina Levecke 02.04.2008, 07:07

Heidelberg/dpa. - Der Besuch an Weihnachten, der Anruf zum Geburtstag - oft sehen und hören Eltern ihre erwachsenen Kinder nur noch an Feiertagen. Doch häufig ist der Wunsch nach mehr Nähe groß.

Viele Eltern beklagen, dass sie ihre Kinder viel zu selten zu Gesicht bekommen. Wut, Enttäuschung oder auch Traurigkeit sind die Folge. Experten warnen jedoch, Druck auszuüben.

«Nie kommst du zu Besuch!», «Wann kommst du denn endlich mal wieder?» - So oder ähnlich lauten die typischen Vorwürfe enttäuschter Eltern. Da hat man die Kinder großgezogen und jetzt lässt sich niemand mehr blicken. Kein Wunder, dass der Frust wächst und aus einem ehrlich gemeinten Appell schnell ein Vorwurf wird.

«Diese Sätze sind menschlich komplett nachzuvollziehen, bringen aber nichts», sagt Roland Kopp-Wichmann, Diplom-Psychologe aus Heidelberg. So schwer es auch fällt, Eltern bleibt nichts anderes übrig, als die Situation zu akzeptieren, wie sie ist. «Vorwürfe entbehren jeglicher Berechtigung, schließlich sind die Kinder erwachsen und haben das Recht auf eigene Entscheidungen.» Auch Helga Gürtler lehnt jede Form der Erpressung kategorisch ab: «Das ist das Verkehrteste, was Eltern tun können. Daraus resultieren nur noch mehr Unmutsreaktionen», sagt die Diplom-Psychologin aus Berlin.

Zunächst sollten Eltern nach den Gründen des seltenen Besuchs suchen. Manchmal sind es die äußeren Bedingungen, zum Beispiel lange Anfahrten. «Oft steckt aber auch mehr dahinter», sagt Kopp-Wichmann. Vielleicht war der Druck zu hoch und die Kinder fühlten sich beim Besuch nicht mehr wohl.

Wer nicht darauf warten möchte, dass die Kinder sich von alleine melden, kann wie bei Freunden eine offene Einladung aussprechen: «Wir würden dich gerne wiedersehen, hast du Zeit?» So können die Kinder entscheiden, wann und wie der nächste Besuch stattfindet.

Damit dieses Treffen dann auch zu einem Erfolg wird, sollten Eltern sich mit bohrenden Fragen wie «Hast du immer noch keinen Job?» zurückhalten. Stattdessen gilt es, offen zu sein: «Fragen Sie Ihr Kind, wie sein Leben läuft, hören Sie zu, ohne Bewertungen zu geben», sagt Ulrike Sammer, Gesundheitspsychologin aus Wien. «Wer nicht bereit ist, dem anderen zuzuhören und seine Ansichten zu respektieren, riskiert einen Bruch oder eine hohle Scheinbeziehung.»

Ratschläge sollten nur dann gegeben werden, wenn die Kinder darum bitten. «Jede Form von unangebrachter Einmischung ist verboten. Akzeptieren Sie den Lebensentwurf Ihres Kindes ohne Vorbehalte», rät Kopp-Wichmann. Denn sobald Eltern wieder aufzeigen, das Leben besser zu kennen, rutschen beide Parteien zurück in alte Rollen.

Machen Eltern sich selbst auf, um das Kind zu besuchen, wird häufig ein Care-Paket gepackt. Das ist nach Ansicht der Experten auch in Ordnung. Die Fürsorge sollte aber nicht so weit gehen, dass die Eltern wie ein Überfallkommando in die Wohnung stürmen und sofort Pläne für neue Vorhänge, Teppiche oder Möbelkäufe schmieden. «Verhalten Sie sich wie ein Gast und bleiben Sie nicht stundenlang», rät Kopp-Wichmann. Ein freundlicher Besuch und eine schöne gemeinsame Zeit ohne Einmischung könnten der Beziehung hingegen sehr gut tun.

Literatur: Ulrike Sammer: Kinder werden flügge, Knaur Verlag, ISBN 978-3-426-66895-5, 12,90 Euro

INFO: Nach Familienzeit neue Ziele suchen

Nach dem Auszug der Kinder beginnt für die Eltern ein neuer Lebensabschnitt. Die Familie sieht sich dann nicht mehr so häufig. «Auch wenn schmerzliche Funkstille herrscht, muss das Leben irgendwie weitergehen», sagt Ulrike Sammer, Gesundheitspsychologin aus Wien. Eltern sollten versuchen, die Leere, die durch den Auszug der Kinder entstanden ist, zu füllen. Ob Hobbys, ehrenamtliche Tätigkeiten, Reisen oder neue Freunde und Kontakte: «Von manchem Abschied zu nehmen und anderes willkommen zu heißen, ist geradezu eine Voraussetzung dafür, dass sich das Leben weiterentwickelt.»