Wenn der Frust in der Ehe zu viel wird
Neuss/Berlin/dpa. - Sie sehen aus wie das perfekte Ehepaar: Michael ist Arzt, Charlotte kümmert sich um das Haus und die Kinder. Doch eines Tages packt Charlotte ihren Koffer.
«Ich bin fast erfroren neben diesem Mann», sagt sie. «Ich hatte Angst vor seinen Launen, seinem eisigen Schweigen, wenn etwas nicht so lief, wie er es wollte.» Charlotte war 15 Jahre verheiratet, aber kaum einem erzählte sie von ihrem Unglück. Was gut gewesen wäre, findet die Buchautorin Martina Rellin. Was aber keine Lösung wäre, hält die Autorin Felicitas Lehnert dagegen.
«Frauen denken häufig, dass nur sie selbst Eheprobleme haben», sagt Martina Rellin, die in Berlin lebt. Es sei befreiend für sie zu hören, dass es anderen genauso geht. «Gerade Frauen arbeiten hart daran, die harmonische Kulisse immer hübsch instand zu halten, fleißig polieren wir das Bild von der eigenen Ehe auf Hochglanz», schreibt Rellin - und lässt in ihrem Buch Frauen mit geänderten Namen erzählen, wie es tatsächlich in ihrer Ehe aussieht.
Es gibt eine große Unkenntnis über die Ehe, sagt auch die Paarberaterin Felicitas Lehnert aus Neuss. «Es ist für die Leute oft ein Aha-Erlebnis, wenn ich ihnen erzähle, dass viele andere ähnliche Konflikte in der Ehe haben.» Ist es also richtig, die Eheprobleme nach draußen zu tragen und mit Freunden darüber zu sprechen? «Es tut gut, deshalb sollte man es tun», findet Martina Rellin. Allerdings bergen solche Gespräche auch Risiken: Erzählt eine Frau ihrer Freundin von den Eheproblemen, sagt die möglicherweise: «Ich wusste schon lange, dass er nicht gut für dich ist! Da musst du was machen!» Das setzt unter Druck, tatsächlich etwas zu ändern, sagt Rellin.
Ein guter Freund ist üblicherweise parteiisch, sagt Andreas Hänßgen, Leiter der Hauptstelle für evangelische psychologische Beratung in Hamburg. «Der versteht einen und bestärkt einen in seinem Kummer.» Das tut vielleicht gut, helfe aber nicht. Im Gegenteil - es kann die Probleme noch verstärken. «Wenn sich die Freundinnen dann verbünden und feststellen, dass sie Recht haben und die Männer böse sind, führt das in der Ehe überhaupt nicht weiter», warnt Lehnert. Das Gespräch müsse in der Ehe geführt werden.
«Man muss an seinem Partner dran bleiben. Wenn man ihn länger nicht sieht, sollte man feste Zeiten vereinbaren», rät Lehnert. Doch was ist, wenn der Partner nicht reden will? Charlotte erzählt: «Wenn mein Mann die Praxistür schließt, ist sein Gesprächsbedarf für diesen Tag gedeckt.» Entzieht sich ein Partner dem Gespräch, sollte der andere für sich allein überlegen, was er eigentlich will, rät Rellin. «Dafür kann man auch mal eine Plus- und Minus-Liste aufstellen, was man am Partner mag oder nicht.»
Literatur: Martina Rellin: Die Wahrheit über meine Ehe. Frauen erzählen, Diana, ISBN-13: 978-3-453-28515-6, 16,95 Euro; Felicitas Lehnert: EHE der Zoff uns scheidet. Was Sie tun können bevor Sie was tun müssen, Aussaat, ISBN-13: 978-3-761-55629-0, 9,90 Euro; Michael Lukas Moeller: Die Wahrheit beginnt zu zweit: Das Paar im Gespräch, Rowohlt, ISBN-13: 978-3-499-60379-2, 9,95 Euro.
Evangelische Konferenz für Familien- und Lebensberatung: www.evangelische-beratung.info
Katholische Bundeskonferenz für Ehe,- Familien- und Lebensberatung: www.katholische-eheberatung.de
«Oft haben Paare viel zu hohe Erwartungen an die Ehe. Sie soll alle emotionalen Bedürfnisse befriedigen», beobachtet die Paarberaterin Felicitas Lehnert aus Neuss. Das setze den Partner unter enormen Druck. Die hohen Erwartungen liegen auch daran, dass der aktuelle Stand der Beziehung oft mit den Anfängen verglichen wird, als beide frisch verliebt waren, sagt die Autorin Martina Rellin. «Das ist eine extrem hohe Messlatte.»