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Vom Leisten zum Oxford: Maßarbeit vom Schuhmacher

Von Florian Sanktjohanser 09.02.2010, 08:38

Hamburg/dpa. - Benjamin Klemann ist ein Relikt. In seiner kleinen Schuhmacherei in der Hamburger Innenstadt näht er mit seinen Söhnen und ein paar Mitarbeitern Maßschuhe zusammen, fast komplett in Handarbeit.

Mindestens 2000 Euro müssen die Kunden für ihr erstes Paar auf den Tisch legen, Folgepaare sind günstiger. Wer bezahlt so viel Geld für Schuhe? «Die meisten meiner Kunden haben schwierige Füße», sagt Klemann - «aber sie müssen repräsentieren». Viele wollen aber auch schlicht ihren Traumschuh: maßgeschneidert, handgefertigt.

Es gibt nicht mehr viele Schuhmacher, die diesen Wunsch erfüllen. Zwar sind noch rund 3300 Betriebe auf der Handwerksrolle eingetragen. Doch die meisten konzentrieren sich darauf, abgebrochene Absätze wieder anzukleben oder Handtaschen zu flicken. Auf einer Liste im Internet habe der Zentralverband des Deutschen Schuhmacher-Handwerks in St. Augustin bei Köln etwa 100 Werkstätten aufgeführt, die noch Maßschuhe fertigen, sagt dessen Präsident Helmut Farnschläder.

Bei der Suche nach einem geeigneten Schuhmacher sollten Kunden vor allem auf dessen Erfahrung achten, rät Helge Sternke aus Bonn, Autor des Buchs «Alles über Herrenschuhe». Manche würden nur die Maße nehmen und den Schuh dann industriell im Ausland fertigen lassen. Wer Maßschuhe zu Preisen von 500 bis 700 Euro anbiete, könne nicht seriös arbeiten. Denn in einem Paar steckten 30 Stunden Arbeit - Beratung und Anprobe nicht eingerechnet.

Allein das Vorgespräch dauert mindestens eine Dreiviertelstunde, sagt Klemann. Zunächst wird natürlich Maß genommen. Dafür markiert der Schuhmacher die Umrisse auf einem Blatt Papier und nimmt in der Trittspurmaschine eine Art Tintenabdruck. Auf diesem lassen sich Belastung und damit Fehlhaltung leicht erkennen. Danach besprechen Schuhmacher und Kunde, wie der Schuh genau aussehen soll. Die meisten beginnen ihre Maßschuh-Karriere mit einem klassischen schwarzen Oxford oder Full Brogue - sie lassen sich zum Anzug genauso gut tragen wie zur Jeans.

Auch das Material ist fast frei wählbar. Acht von zehn Schuhen werden aus Kalbsleder gefertigt. Aber wer schon alles hat, kann sich auch Schuhe aus Elefanten-, Hai-, oder Krokodilleder nähen lassen. Dann beginnt für den Schuhmacher die eigentliche Arbeit. Der Rohleisten wird auf Maß geschliffen, die Brandsohle wird darauf genagelt, der Schaft aus dem Leder gestanzt, über den Leisten gezogen, aufgezwickt und zusammengeklebt. Nach vielen weiteren Arbeitsschritten und drei bis vier Monaten kann der Kunde das vorläufige Modell anprobieren.

«Viele denken, man dürfe den Schuh rundum nicht spüren», sagt Klemann. Tatsächlich müsse der der Schuh an einigen Stellen des Mittel- und Rückfußes eng anliegen. So stütze und führe er den Fuß wie ein Korsett. Deshalb werden an diesen Stellen die Maße des Fußes sogar unterschritten.

Danach näht der Schuhmacher die Sohle auf den Rahmen, baut den Absatz auf, schneidet und raspelt den Schuh zurecht. Zuletzt wird das Oberleder gecremt und poliert. Ein halbes Jahr nach der ersten Beratung kann der Kunde die Schuhe im Laden abholen.

Literatur: Helge Sternke: Alles über Herrenschuhe, Nicolia Verlag, ISBN-13: 978-3-89479-252-7, 98 Euro

Suche nach Maßschuh-Werkstätten: www.schuhmacherhandwerk.de

Wem traditionell handgenähte Schuhe zu teuer sind, der kann sich einen Schuhmacher suchen, der nach «Blakebest-Methode» maßfertigt. Der Hauptunterschied sei, dass Rahmen und Brandsohle mit der Nähmaschine statt von Hand vernäht werden, erklärt Andreas Baumbach aus Wiesbaden.

Er gründete das Netzwerk von etwa 30 Schuhmachern in Deutschland, um das Handwerk zu modernisieren. Maßschuhe seien vor allem so teuer, «weil sie gemacht werden wie vor 100 Jahren».

Mit Rationalisierungen wie vorgefertigten Absatzblöcken und Leisten sparen die Schuhmacher viele Arbeitsstunden - und können Maßschuhe in der Erstanfertigung ab 830 Euro anbieten. In puncto Qualität und Haltbarkeit gebe es kaum Unterschiede zu komplett handgenähten Schuhen, sagt Helmut Farnschläder vom Zentralverband des Deutschen Schuhmacher-Handwerks.