Terror in Paris im Internet Terror in Paris im Internet: Wut, Mitgefühl, Information - Twittern und Posten gegen die Ohnmacht

Berlin - Wie schon beim Attentat auf die Redaktion der französischen Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo im Januar dieses Jahres war es auch während der grausamen Angriffe am Freitag insbesondere der Kurznachrichtendienst Twitter, über den innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von Informationen und Reaktionen verbreitet wurden. Bei der schieren Masse der Reaktionen im Netz war es nicht immer einfach, den Überblick zu behalten. Eine erste Zusammenfassung:
Hashtags
Nur kurze Zeit nachdem erste Informationen zu den Geschehnissen in Paris öffentlich wurden, kursierte bei Twitter der Hashtag #PorteOuverte (#OffeneTür). Pariser boten darin den Menschen, die aufgrund der unsicheren Lage nicht nach Hause oder ins Hotel konnten, eine Unterkunft an. Die Solidarität war riesig, innerhalb nur weniger Stunden verzeichnete der Kurznachrichtendienst fast eine halbe Millionen Tweets mit diesem Hashtag.
Zahlreiche Angehörige nutzen Twitter zudem immer noch dazu, um mit #rechercheParis nach ihnen nahestehenden Menschen zu suchen, die sich an diesem Abend beim Länderspiel zwischen Frankreich und Deutschland im Stade de France, in der Konzerthalle Bataclan oder in einem der angegriffenen Lokale aufgehalten hatten und sich bislang nicht gemeldet haben. Teilweise wurden Bilder der Gesuchten getwittert verbunden mit Angaben zu Körpergröße und Haarfarbe.
Muslime twittern unter dem Hashtag #notinmyname
Um ihre Anteilnahme mit den Opfern der Attentate, den Parisern und Frankreich zu bekunden, versahen zahlreiche User sowohl bei Facebook als auch bei Twitter ihre Posts beziehungsweise Tweets mit dem Hashtag #prayforparis. Allerdings dauerte es nicht lange, bis erste Kritik daran laut wurde. Zahlreiche Nutzer kritisierten, dass es eine solche Solidarität für die Menschen in Beirut am Donnerstag nicht gegeben habe. Im südlichen Teil der Hauptstadt des Libanon waren bei einem Doppelanschlag mehr als 40 Menschen getötet und über 200 verletzt worden. Schnell verbreiteten sich daher zusätzlich #hashtags wie #prayforbeirut und #prayfortheworld.
Kritisch äußerte sich dazu auch der Karikaturist Joann Sfar, der unter anderem für die Satirezeitschrift Charlie Hebdo arbeitet. Er bedankte sich zwar für die weltweite Solidarität, die sich unter #prayforparis versammele, schrieb aber auch: „Wir brauchen nicht noch mehr Religion! Wir glauben an Musik! Küsse! Leben! Champagner und Freude! #ParisistLeben.“
Unter dem Hashtag #notinmyname reagieren Muslime weltweit auf die Pariser Anschläge, distanzieren sich davon und zeigen sich solidarisch. Dafür wiederum erhalten sie von der nicht-muslimischen Netzgemeinde zahlreiche Unterstützung und lobende Worte. „Danke liebe muslimische Freunde und Mitbürger“, heißt es da etwa, aber auch: „es ist traurig, dass sich Menschen für etwas rechtfertigen müssen, für das sie keine Schuld tragen.“ Den Hashtag hatte es bereits einmal nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo gegeben und wurde anschließend kontinuierlich weiter genutzt. Deutsche indes nutzen den Hashtag #notinmyname ebenfalls, unter anderem, um sich von Aussagen der CSU und Pegida in diesem Zusammenhang zu distanzieren.
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Bilder und Videos
Über Twitter und die Video-App Periscope wurden am Freitagabend zahlreiche Videos aus Paris verbreitet, teils von Nachrichtenteams, teils von Menschen, die zufällig vor Ort waren. Einer der schockierendsten Filme stammt von Daniel Psenny, Reporter der französischen Zeitung Le Monde. Vom Fenster seiner Wohnung aus zeichnete er die grausamen Szenen auf, die sich an einem Hinterausgang der attackierten Konzerthalle Bataclan abspielten. Blutüberströmte Opfer wurden von Helfern über die Straße in Sicherheit gezogen, andere Konzertbesucher irrten panisch durch die Gassen. Aus der Halle sind währenddessen fortwährend Schüsse und hysterische Schreie zu hören.
Die britische und die amerikanische Regierung nutzten Twitter noch am Abend dazu, ihr Entsetzen über die Geschehnisse in Paris kundzutun. Sowohl der britische Premier David Cameron als auch US-Präsident Barack Obama verurteilten die Anschläge und sicherten Frankreich ihre volle Unterstützung zu.
Es kursierten auf Facebook und Twitter zudem Bilder, die Wahrzeichen zahlreiche internationaler Metropolen in den französischen Nationalfarben Blau, Rot und Weiß zeigten. Darunter etwa die Oper von Sydney, das Rathaus in San Francisco, der CN-Tower in Toronto oder auch aus Empire State Building in New York. Bei Letzterem handelte es sich laut Le Monde jedoch um ein Bild, das nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo im Januar entstanden war. Vielmehr hatte die Stadt New York dieses Mal die Antenne des One World Center aus Solidarität in blau, rot und weiß gefärbt. Darüber hinaus kursierten noch weitere Fotos mit falschen Angaben durchs Netz. So wurde beispielsweise ein Bild mit Demonstranten gezeigt, die Deutschlandflaggen in die Höhe halten. Darüber stand, dass sich deutsche Bürger mit Frankreich solidarisierten und auf die Straße gingen. Pikanterweise stellte sich jedoch später heraus, dass es sich dabei wohl ausgerechnet um ein Bild von einer Pegida-Kundgebung aus dem Dezember 2014 handelte.
Facebook reagierte ebenfalls auf die Attentate und bietet einen Filter für die Profilbilder der Nutzer an. So können die User nun in wenigen Schritten eine leicht transparente Nationalflagge Frankreichs über ihr Bild legen, um Solidarität zu zeigen. Die Möglichkeit wird bereits tausendfach genutzt, wurde allerdings ebenfalls schon Ziel von Kritik. So kursiert ein Foto eines jubilierenden Jungen vor einem Computer durchs Netz mit dem Untertitel: „Profilbild geändert. Terrorproblem gelöst.“
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Prominenz
Neben zahlreichen internationalen Politikern und Regierungsvertretern haben sich auch zahlreiche Prominente aus den Bereichen Medien, Sport und Gesellschaft im Netz zu Wort gemeldet. Darunter beispielsweise TV-Moderator und Satiriker Jan Böhmermann. Auf seiner Facebook-Seite hat er 100 Fragen formuliert, teils ungewohnt ernst. „Wie erkläre ich all das meinen Kindern?“, fragt er, oder auch „Für welche Überzeugung würde ich sterben?“ Fragen, die sich in dieser Zeit wohl zahlreiche andere Menschen derzeit auch stellen.
Einem weiteren Satiriker, Oliver Kalkofe nämlich, war ebenfalls das Lachen vergangen. In der Nacht zum Freitag postete er bei Facebook einen langen Text, mit dem er die um sich greifende Fassungslosigkeit in Worte zu fassen versuchte. „Gute Nacht, liebe Welt. Bitte entschuldige die vielen furchtbar dummen Menschen, die dir den Rasen kaputt treten und dich zerstören, weil sie dich retten wollen. Dieser wunderschöne Planet wird gerade immer mehr zu einem Ort, den ich am liebsten weiträumig umfahren würde. Dummheit tut weh. Wenn nicht den Dummen selbst, dann umso mehr den anderen...“, kam er zu einem ernüchternden Fazit.
Beim Abschiedsspiel des ehemaligen Fußballnationalspielers Gerald Asamoah in der Arena Auf Schalke in Gelsenkirchen kam es ebenfalls zu Solidaritätsbekundungen. Der Publikumsliebling Asamoah schwebte an einem Seil durch die Luft, in der Hand eine Fahne Frankreichs. Im Hintergrund wurde der Song „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen gespielt, den die Tausenden Zuschauer lauthals mitsangen.
Der IS-Experte Jürgen Todenhöfer meldete sich auch zu Wort und postete folgendes Statement: „Wir trauern um die Opfer von Paris. Unsere Kriege sind die Ursache des Terrors. Nicht der Islam.“
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Bekennerschreiben
Am Samstag kursierte im Internet eine Botschaft im Namen des IS, in dem Frankreich mit weiteren Anschlägen gedroht wurde. „Dieser Überfall ist nur der erste Tropfen Regen und eine Warnung“, hieß es darin unter anderem. Der Text wurde sowohl in arabischer als auch in französischer Sprache verbreitet. Die Echtheit und der Inhalt des Bekennerschreibens könnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden. Die Wortwahl erinnere jedoch an frühere Bekennerschreiben des IS, heißt es.