Technik Technik: 20 Jahre Swatch-Uhr

Biel/Fulda/dpa. - Die Swatch wird 20, doch so richtig feiern will das niemand. Beim Hersteller im schweizerischen Biel steht man auf dem Standpunkt, dass Rückblicke schlecht zu einer Marke passen, die sich derart dem Trend verschrieben hat. Die treuesten Swatch-Fans wiederum knabbern noch an dem Wertverlust, den ihre Sammlungen in den vergangenen Jahren erlitten haben. «Das erreicht die Dimensionen des Neuen Marktes», weiß Jürgen Papst, Swatch-Spezialist und -Händler aus Fulda. 80 bis 90 Prozent unter dem Höchststand notieren derzeit viele Stücke.
Die Sammler sitzen auf ihren Schätzen und warten, dass die Kurse wieder auf ein verschmerzbares Niveau klettern. «Aber das halte ich für illusorisch», so Papst. Gut verkauft hatte sich die Swatch schon vorher, doch Anfang der neunziger Jahre brach ein Hype über sie herein, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Der fröhlich-bunte Zeitmesser wurde zum Spekulationsobjekt - darin unter den Konsumgütern nur den Spitzenlagen französischen Rotweins vergleichbar.
Und die Swatch verstand es, sich ähnlich rar zu machen wie ein edler Bordeaux. Die limitierten Editionen wurden dem Hersteller aus den Händen gerissen. Auch Normalbürger stürmten die immer zahlreicheren Swatch-Börsen, um ihr Geld in die tickende Volksaktie zu investieren. «Damals waren 95 Prozent der Käufer Sammler», so Papst, «heute ist das Verhältnis umgekehrt.» Nach Papsts Erinnerung waren es die 1990/91 vorgestellten Chronographen, Taucher- und Automatikuhren, die den ganz großen Run auslösten.
Dabei handelte es eigentlich schon um eine Verwässerung des ursprünglichen Swatch-Gedankens, denn der hatte auf radikale Vereinfachung gezielt. Schweizer Uhren waren in den siebziger Jahren hochgezüchtete mechanische Wunderwerke, die niemand mehr haben wollte. Bedrängt von der quartzgesteuerten Konkurrenz aus Fernost, fiel der Marktanteil der eidgenössischen Manufakturen zwischen 1977 und 1983 von 43 auf unter 15 Prozent.
Als Retterin präsentierte die Schweizer Uhrenindustrie rund um das Marketinggenie Nicolas Hayek auf einer Pressekonferenz am 1. März 1983 die Swatch - das Wort ist eine Kurzfassung von Swiss Watch. Statt mehr als 100 kamen in ihr nur 51 Einzelteile zum Einsatz. Gehäuse, Glas und Armband bestanden aus Plastik. An eine gediegene Schweizer Uhr alter Prägung erinnerte allenfalls das Ziffernblatt, denn das zierten statt der modischen Digitalziffern traditionelle Zeiger.
Völlig unvereinbar mit dem Versprechen «Swiss Made» aber schien der Preis: 50 Schweizer Franken oder 65 Mark. Die erste, aus zwölf Unisex-Modellen bestehende Kollektion gab allerdings zu keinen gesteigerten Hoffnungen Anlass: Die gedeckten Farben entsprachen eher konventionellem Geschmack und machten die Swatch zu einem graumäusigen Zwitter. Jürgen Papst geht noch weiter: «Die waren grottenhässlich.»
Der Verkauf kam erst in Schwung, als die Designs mutiger wurden, die Farben poppiger und die Uhren statt unpersönlicher Nummern sprechende Namen erhielten: zum Beispiel «Don't be late», «Blackout» oder «Sir Swatch». 1985 gestaltete der Franzose Kiki Picasso die erste «Art Swatch»,die in einer Auflage von gerade 140 Exemplaren an prominente Teilnehmer eines Happenings im Pariser Centre George Pompidou verteilt wurde. Mittlerweile reicht die Liste der auf Swatch verewigten Namen von Keith Haring über Annie Leibovitz und Yoko Ono bis hin zu Vivienne Westwood.
Und mittlerweile ist eine ganze Markenfamilie entstanden, die es eigentlich verbietet, weiterhin von «der Swatch» zu sprechen: Erhältlich sind die bis in 200 Meter Tiefe wasserdichte «Scuba», die eckige «Square», die nur 3,9 Millimeter hohe «Skin», die digitale «Beat», die «Irony» aus Edelstahl oder die doppelgesichtige «Turnover». Die «Swatch Access» verfügt über einen eingebauten Mikrochip, der etwa mit den Gebühren für einen Skipass aufgeladen werden kann.
Die Preisspanne der Marke reicht inzwischen bis 140 Euro. Das Ursprungsmodell «Gent» hat sich mit einem durchschnittlichen Preis von 40 Euro aber nur wenig von ihrem Anfangsniveau vor 20 Jahren entfernt. Die neuen Modelle der Frühjahr- und Sommer-Kollektion zieren unter anderem Marienkäfer und vierblättrige Kleeblätter («Lucky you»), große Hippie-Blumen («Time in Bloom») oder Orangenscheiben («So Fresh»).
Die Tage, als die Swatch ihrer Zeit den Takt vorgab, sind aber längst gezählt. Die Verkaufszahlen sind zwar weniger eingebrochen, als es die Sorgen der Sammler vermuten lassen. Die jungen Trendsetter wenden ihre Gunst aber seit Jahren eher anderen Marken zu: etwa Fossil, Casio mit der G-Shock oder Citizen mit der Promaster-Serie. «Die Swatch-Käufer sind älter geworden», beobachtet Händler Papst. «Die Jugendszene, die mit allerlei Aktionen krampfhaft umworben wird, findet Swatch eher spießig.»
Trotzdem nötigt es Branchenkennern Respekt ab, wie lange sich Swatch auf dem kurzlebigen Markt der Modeuhren nun schon behaupten kann. «Swatch hat eigentlich nichts falsch gemacht, sondern immer die richtigen Trends erkannt», sagt Sven Krumnacker, Organisator der Swatch-Börse in Dortmund, der europaweit größten ihrer Art. Früher kam er auf sechs Veranstaltungen im Jahr, heute sind es immerhin noch vier, auf denen Sammler und Händler aber weitgehend unter sich bleiben. Normalbürger kaufen eine Swatch inzwischen wieder, um sie zu tragen - nicht die schlechteste Verwendung für eine Uhr.