Studie belegt Studie belegt: Zu viel Freiheit im Job kann uns schaden

„Jawoll, Herr Feldwebel!“ – Der Kasernenhof ist einer der letzten Zufluchtsorte für Menschen, die klare Hierarchien zu schätzen wissen. Befehlsketten, Gehorsam – und Vorgesetzte, die Rekruten durch den Schlamm jagen. Doch die Zeiten ändern sich, der „Bürger in Uniform“ wurde schon vor Jahren zum Leitbild einer modernen Bundeswehr.
Solche gut gemeinten Leitbilder gibt es auch in der Wirtschaft, immer mit ähnlichen Schlagworten, darunter „flache Hierarchien“, „Partizipation“ und „wertschätzender Umgang“. Aber: Papier ist geduldig. Und einige Menschen scheitern an der Aufgabe, die neu gewonnene Freiheit für sich zu nutzen.
Das belegt eine aktuelle Gesundheitsmonitor-Studie: „Freiheiten am Arbeitsplatz haben auch ihren Preis. Der steigende Ziel- und Ergebnisdruck in Unternehmen verleitet Beschäftigte in Deutschland dazu, mehr zu arbeiten, als ihnen gut tut“, lautet das Fazit der Untersuchung, hinter der die Bertelsmann Stiftung und die Barmer GEK stehen. Sie ließen rund 1000 Arbeitnehmer repräsentativ befragen.
Das Ergebnis: Knapp 25 Prozent der Vollzeit-Beschäftigten arbeiten mit einer Intensität, die sie langfristig nicht durchhalten, so ihre eigene Wahrnehmung. 18 Prozent würden bereits an die Grenzen ihre Belastbarkeit stoßen, 23 Prozent machen bei der Arbeit keine Pause. Über zwölf Prozent kommen an ihren Arbeitsplatz, obwohl sie krank sind. Ein Phänomen, das die Wissenschaft „Präsentismus“ nennt: die Anwesenheit im Unternehmen trotz Krankheit. „Damit wächst bei vielen die Gefahr, dass sie sich gesundheitlich selbst gefährden“, heißt es auf Gesundheitsmonitor.de.
Nicht nur der Verzicht auf Erholung ist kritisch zu bewerten. Gefährlich ist laut Studie auch „der übermäßige Konsum von scheinbar die Leistung steigernden Substanzen, wie Nikotin, Medikamenten“. Ein weiteres Risiko bestehe darin, „dass Sicherheits-, Schutz- und Qualitätsstandards unterlaufen werden.“
„Das Hamsterrad ist das eigentliche Problem“
Sollte deshalb die Bundeswehr eingreifen – und Feldwebel an die Wirtschaft ausleihen, um Mitarbeiter an die Kandare zu nehmen? Zu ihrem eigenen Vorteil? „Auf keinen Fall“, sagt Robert Berkemeyer, „Das eigentliche Problem ist nicht die Freiheit am Arbeitsplatz, sondern das sich immer schneller drehende Hamsterrad, in das sich viele Menschen eingesperrt fühlen.“ Berkemeyer berät Mittelständler in Fragen der Unternehmenskultur und engagiert sich auch im Netzwerk „culture²business“ (c2b).
Der Gesundheitsmonitor analysiert seit über zehn Jahren Entwicklungen in der Gesundheitsversorgung. Bis heute wurden weit über 50.000 Versicherte und mehr als 2500 Ärzte zu rund 150 gesundheitspolitisch relevanten Themen befragt. So werden Verhaltensmuster, Versorgungsprobleme und Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem aufgedeckt. Die Analysen helfen Fachleuten, gesundheitspolitische Informationslücken zu schließen und Reformkonzepte zu entwickeln.
„Selbstausbeutung darf nicht die Folge von mehr Freiheit am Arbeitsplatz sein.“ Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.
Berkemeyers Einschätzung teilt auch der Soziologe Günter Voß. Er spricht von einer „Entgrenzung der Arbeitswelt“. Dem Bayerischen Rundfunk sagte der Wissenschaftler: „Wenn das eine Projekt fertig ist, steht schon das nächste vor der Tür, manchmal auch mehrere Projekte nebeneinander.“ Viele Mitarbeiter hätten nicht das Recht zu sagen: „Es ist Schluss.“ Keiner wisse mehr, wann er nach Hause gehen könne.
Dazu macht auch die Studie klare Aussagen: Die „permanent wachsenden Anforderungen“ seien die Ursache für eine Arbeitsweise, die zur Selbstgefährdung führt. 42 Prozent hätten in der Umfrage angegeben, „dass ihr Arbeitsumfeld durch steigende Leistungs- und Ertragsziele geprägt ist.“ Rund 33 Prozent würden sich nicht mehr in der Lage sehen, die steigenden Ansprüche im Betrieb zu bewältigen.
Dadurch komme es leicht zu einer Überforderung, stellen die Wissenschaftler fest. „Werden die Vorgaben dennoch erfüllt, gelte die übersprungene Messlatte schnell als neuer Standard.“ Und es kommt noch schlimmer: Nur 50 Prozent der Befragten glauben, dieser Spirale entkommen zu können. 51 Prozent sind der Meinung, „keinen oder nur geringen Einfluss auf ihre Arbeitsmenge zu haben“. Für über 40 Prozent gilt das auch für die Arbeitsziele.
Das Netzwerk culture2business setzt sich zum Ziel, gesellschaftlichen Wandel zu erkennen und in die Wirtschaft zu tragen. Die Partnerinnen und Partner wollen einen Wechsel gestalten, der zu einer zukunftsfähigen Kultur in Unternehmen führt. Die Stichworte lauten: Mehr Kooperation und weniger Konkurrenz. Mehr Gemeinwohl und weniger Egoismus. Mehr Ganzheitlichkeit und weniger Profitmaximierung.
Das Netzwerk culture²business unterstützt Unternehmen, die eine ganzheitlich-zukunftsorientierte Kultur aufbauen wollen, um im Wettbewerb durch engagierte Mitarbeiter zu bestehen. Daher vereint das Netzwerk Kompetenz aus unterschiedlichen Gebieten: Die Partnerinnen und Partner sind Unternehmensberater, Systemische Coaches, Trainer, Wissenschaftler, ein Journalist, ein IT-Spezialist und ein Experte für Bildung im Internet.
Ihr Netzwerk wurde inzwischen als Fachgruppe „Unternehmenskultur und Kommunikation“ in die „Offensive Mittelstand“ aufgenommen, die vom „Bundesministerium für Arbeit und Soziales“ gefördert wird. Das Netzwerk will für Unternehmen ein fundiertes Beratungs- und Informationsangebot entwickeln: Analysen, Beratungen, Webinare, Vorträge und Trainings. Kontakt: Netzwerk culture²business, Sabine Gilliar, Tel. 0157/797 090 21, E-Mail: [email protected]
Das sind für den Berater Berkemeyer alarmierende Zahlen: „Selbstausbeutung darf nicht die Folge von mehr Freiheit am Arbeitsplatz sein.“ Da sei das Management in die Verantwortung zu nehmen, denn das Problem dürfe nicht allein den Beschäftigten aufgehalst werden. „Wir brauchen vernünftige Zielvereinbarungen“, so der Berater, „und Vorgaben der Vorgesetzten müssen sich in der vereinbarten Arbeitszeit realisieren lassen.“
Natürlich sei immer wieder überdurchschnittliches Engagement gefragt, damit ein Unternehmen erfolgreich ist. Aber: Brennen dabei Mitarbeiter aus, verliert das Unternehmen seine Vitalität – und es wird zu viel dem kurzfristigen Erfolg geopfert.
Nicht jeder kann seine Arbeit selbst organisieren
Außerdem findet Berkemeyer, dass einheitliche Zielvorgaben längst überholt sein müssten. Sie gehen auf Frederick Winslow Taylor (1856-1915) zurück, der Arbeitsprozesse in kleinste Abschnitte zerlegte, um deren Effizienz zu steigern. „Es gibt aber keinen Einheitsmitarbeiter“, so Berkemeyer. „Jedes Unternehmen hat unterschiedlich belastbare Menschen mit individuellen Fähigkeiten und Neigungen, die auch individuell zu führen sind.“
Hinzu komme die direkte Verantwortung der Beschäftigten, die ihre Grenzen erkennen sollten, wie der Berater betont. „Wer seine Arbeit selbst organisieren kann, muss zu einem hohen Maß an Selbstreflektion in der Lage sein.“ Nur ein Zusammenspiel organisatorischer und individueller Verantwortung würde helfen, einem drohenden Burn-out vorzubeugen.
Keine wirkliche Alternative ist die Rückkehr auf den Kasernenhof. Denn moderne Unternehmen lassen sich nicht mehr nach dem Prinzip „Befehl und Gehorsam“ lenken. Das geht schon gar nicht mit der „Generation Y“, die mit ihren demokratischen Vorstellungen auf den Arbeitsmarkt drängt. So liegt die Zukunft in Unternehmen, die Wertschöpfung durch Wertschätzung erreichen. Aber nur, wenn Partizipation nicht durch Selbstausbeutung erkauft wird, wie es der Gesundheitsmonitor ans Licht gebracht hat.

