Streitfall Arbeitszeugnis Streitfall Arbeitszeugnis: Vorsicht vor trügerischen Formulierungen
Dresden/dpa. - Auf den ersten Blick schien die Beurteilung sehr wohlwollend ausgefallen zu sein. Von «verantwortungsbewusstem Handeln» und «gewissenhafter Mitarbeit» war darin die Rede. Aber Experten wissen: Auch wenn sich ein Arbeitszeugnis vordergründig sehr positiv liest, kann etwas sehr Negatives gemeint sein.
«Unverdächtige Formulierungen können sich nicht selten als eine versteckte Warnung für den zukünftigen Arbeitgeber entpuppen», weiß Jürgen Hesse vom Büro für Berufsstrategie in Berlin. «Steht in einem Zeugnis, der Betreffende sei ein gewissenhafter Mitarbeiter, bedeutet das nichts anderes, als dass er zwar zur Stelle war, wenn man ihn brauchte, mehr aber auch nicht.»
«Auch die Formulierung "zu unserer vollen Zufriedenheit" ist nur ein anderer Ausdruck für lediglich befriedigende Leistungen», sagt Hesse. Selbst das Weglassen bestimmter Verhaltensbeschreibungen könne negative Auswirkungungen haben. «Wird bei einem Kassierer oder Bankmitarbeiter nichts über dessen Ehrlichkeit gesagt, kann er es künftig schwer haben, einen neuen Job zu finden.»
Der Berliner hat außerdem eine interessante Entdeckung gemacht: «Profis lesen Zeugnisse meistens von unten nach oben. Zuerst interessiert sie, wer unterschrieben hat. Je höher die Position des Beurteilten in der Firma war, desto höher muss der Rang desjenigen sein, der unterschrieben hat.»
In jeder Beurteilung gibt es bestimmte Punkte, die enthalten sein müssen. «Dabei unterscheidet der Arbeitgeber zwischen einem einfachen und einem qualifizierten Zeugnis», erläutert Sebastian Kunze vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Sachsen in Dresden. «Beide müssen auf Geschäftspapier des Arbeitgebers geschrieben sein, auf dem die volle Firmenbezeichnung im Briefkopf steht. Das Ausstellungsdatum muss zeitnah am Ausscheiden des Mitarbeiters aus dem Unternehmen liegen.»
Außerdem muss der Vorgesetzte die Tätigkeit des zu Beurteilenden genau beschreiben. Dabei hat er die exakte Berufsbezeichnung, den konkreten Arbeitseinsatz und absolvierte Fortbildungen zu nennen. «Was außerdem nicht fehlen darf, sind die genauen Gründe für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses», sagt Kunze. Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis enthält neben den genannten Punkten auch die Beurteilung der Leistung. Diese Bewertung soll laut Kunze objektiv und nachvollziehbar sein sowie den Tatsachen entsprechen.
Wenn ein Arbeitnehmer mit seinem Zeugnis nicht einverstanden ist, kann er bestimmte Passagen reklamieren. «Ob sein ehemaliger Chef aber darauf eingeht, steht auf einem anderen Blatt», erklärt Kunze. «Wenn ein Mitarbeiter erstmal die Firma verlassen hat, ist es den Ex-Chefs oft egal, ob er mit seiner Beurteilung zufrieden ist.» Kann sich der Betroffene mit seinem ehemaligen Vorgesetzten nicht einigen, hat er die Möglichkeit, vor dem Arbeitsgericht zu klagen. «Dann steht der ehemalige Arbeitgeber in der Beweispflicht», sagt Kunze. «In diesem Fall muss er seinem Ex-Mitarbeiter nachweisen, dass die Beurteilung den Tatsachen entspricht.»
Bestimmte Formulierungen können allerdings nicht eingeklagt werden, da der Arbeitgeber bei Werturteilen einen Spielraum hat, gibt Hanns-Joachim Wittmann, Vorsitzender des Personalrats der Universität Tübingen, zu bedenken. «Es darf auch nicht vergessen werden, dass sich nicht alle Arbeitgeber mit der so genannten Geheimsprache auskennen». Deshalb sollte jeder zunächst das Gespräch mit seinem Vorgesetzten suchen, wenn er mit seinem Zeugnis nicht zufrieden ist.
Vom Gesetzgeber gibt es klare Vorgaben, wer genau ein solches Dokument ausstellen darf. «Prinzipiell hat das nur der Arbeitgeber zu tun. Der kann das zwar nach unten delegieren, allerdings nur an jemanden, der in der Firma einen höheren Rang hat, als der, um den es in dem Zeugnis geht», sagt Hesse. Der höhere Rang muss dabei im Zeugnis klar zum Ausdruck kommen.
Um Ex-Beschäftigten Ärger zu ersparen, setzt etwa das Unternehmen Siemens nach eigenen Angaben auf Teamarbeit bei der Erstellung des Arbeitszeugnisses. «Das bedeutet, dass der Vorgesetzte den Inhalt mit dem Mitarbeiter bespricht», sagt Siemens-Sprecher Karl-Heinz Gröbmair in München. «Ist Letzterer mit der Beurteilung zufrieden, wird das Schreiben an die Personalabteilung weitergeleitet, die ebenfalls noch mal einen Blick drauf wirft».
Wie ein zukünftiger Arbeitgeber das Zeugnis interpretiert, sei letztlich reine Glückssache, hebt Jürgen Hesse hervor. «Bei Formulierungen, aus denen der eine nur Positives herausliest, kann ein anderer denken, da stimme was nicht.» In vielen Fällen werden sich Arbeitnehmer und Vorgesetzte nicht so schnell einig. Nach Informationen des Berliner Personalmanagement Service werden jährlich etwa 15 000 Prozesse um Arbeitszeugnisse geführt.
Literatur: Jürgen Hesse und Hans-Christian Schrader: Das perfekte Arbeitszeugnis, Eichborn Verlag, ISBN 3-8218-3849-3, 7,95 Euro; Manfred Lucas: Arbeitszeugnisse richtig deuten, Ullstein Taschenbuchverlag, ISBN 3-548-70035-7, 8,45 Euro; Günter Huber: Das Arbeitszeugnis in Recht und Praxis, Haufe Mediengruppe, ISBN 3-448-04545-4, 24,95 Euro.