Streit Streit: Ärger im Schlumpf-Dorf
Warum wir Idyllen nicht trauen? Und schon gar nicht den blauen? Liegt es an den unsicheren Zeiten oder schlicht daran, dass wir keine acht Jahre mehr alt sind? Jedenfalls: Das friedliche Schlumpf-Dorf im verwunschenen Land muss sich derzeit übler Verdächtigungen erwehren. In seiner Monographie "Das kleine blaue Buch" - Untertitel "Eine kritische und politische Analyse der Schlumpfgesellschaft" - wirft der Pariser Politikwissenschaftler Antoine Buéno ein ungnädiges Licht auf die Gesellen. "Die Gesellschaft der Schlümpfe ist der Archetyp einer totalitären Gesellschaft, die Züge des Stalinismus und Nazismus trägt" knallt Buéno dort den Kobolden vor den nicht vorhandenen Latz. Nazis aus Schlumpfhausen? Bitte sehr?
Jetzt sind "Die Schlümpfe" im Kino, natürlich computeranimiert, natürlich in 3D. Der Trailer lässt Übles ahnen, Schlümpfe stolpern, Menschen stolpern und ein Schlumpf plumpst ins Klo. Hoho. Schlimm. Aber nicht faschistisch. Aber Buéno holt noch weiter aus. So sichere Papa Schlumpf seine autoritäre Überpräsenz, in dem er das Schlumpf-Dorf nach außen hin abschotte. Seinen Untertanen fehle es an Individualität, besitzen dürften sie auch nichts. Den bösen Kapitalismus verkörpere indes der Zauberer Gargamel, der den Schlümpfen beharrlich nachstellt. Anfangs, weil ein Schlumpf als Zutat auf dem Rezeptblatt zum alchimistischen Goldgewinn auftaucht, später aus reinem Hass. Seine Hakennase und seine ungebremste Goldgier stellen ihn in die Nähe antisemitischer Karikaturen, schreibt Buéno. Und hört sein Kater nicht auf den suggestiven Namen Azrael? Azrael wie Israel?
Spätestens hier hat sich der französische Gelehrte jedoch gründlich verschlumpft. Azrael ist zuerst einmal der Name des Todesengels in der islamischen Überlieferung. Sollten die Schlümpfe jetzt auch noch islamfeindlich sein? Immerhin sind sie unter all den Männerbünden der franko-belgischen Comicgeschichte - Asterix und Obelix, Spirou und Fantasio, Tim und Kapitän Haddock - der Harmonischste. Schlimmstenfalls nervt der humorlose Schlaubi - Buéno vermutet hier übrigens die typisch stalinistische Intellektuellen-Feindlichkeit, Schlaubi wäre gewissermaßen ein blau angelaufener Trotzki.
Die Schlümpfe wirken weniger ideologisiert als klösterlich. Eine weltabgewandte Gemeinschaft mit fester Rollenverteilung. Jeder Schlumpf weiß, was er zu tun hat und wurschtelt dementsprechend fröhlich vor sich hin. Und vielleicht greift auch der Mönchsvergleich zu hoch. Denn eigentlich ist das Schlumpfdorf das reinste Jungenparadies, in dem man jenseits der Sorgen der Erwachsenenwelt und abseits gesellschaftlicher Entwicklungen in Geheimsprache gemächlich vor sich hin schlumpfen kann. Denn die rund 100 Jahre alten Schlümpfe werden von Peyo als Jugendliche beschrieben, nur Papa Schlumpf ist noch ein paar Jahrhunderte älter - kein Stalin, kein Hitler, schlimmstenfalls der Übervater der Drei-Apfel-großen Urhorde. Die lebt in seliger Vorpubertät, genau wie ihre Zielgruppe.
Die hatte sich seit dem Ende der 50er Jahre stetig erweitert. Tollten die "Schtroumpfs", wie sie im belgischen Original heißen, zuerst nur als Gaststars durchs Peyos Mittelalter-Serie "Johan et Pirlouit" (in Deutschland als "Johann und Pfiffikus" veröffentlicht), beugte sich Peyo zuerst nur zögerlich dem überwältigenden Leserinteresse und widmete den Schlümpfen endlich eine eigene Serie. Ende der 60er überschritten die Comic- Schlümpfe dann zum ersten Mal die deutsche Grenze und fanden sich in der Nachbarschaft von Rolf Kaukas komplementär gefärbten Füchsen Fix und Foxi vor. Bereits ein paar Jahre zuvor hatte Schleich, ein Spielwarenhersteller aus Schwäbisch Gmünd, mit der Produktion kleiner Schlumpf-Figuren aus Hartgummi begonnen.
Schnell übertrafen die Figuren ihre zweidimensionalen Vorlagen an Beliebtheit. Kinder der 70er und 80er erquengelten sich bei jedem Einkauf mit Mutti einen neuen Plastikschlumpf. Im Kino lief der schöne Zeichentrickfilm "Die Schlümpfe und die Zauberflöte" mit der Musik von Michel Legrand, und im Fernsehen eroberten die Schlümpfe mit einer vom berühmten Hanna-Barbera-Studio produzierten Serie auch den amerikanischen Markt. In den 80ern hatten sich die Schlümpfe global durchgesetzt, Kinder aller Kontinente träumten sich ins Schlumpfdorf.
Eine Idylle. Wenn, ja wenn die Sache mit dem Schlumpfinchen nicht wäre. Der einzig weibliche Schlumpf war vom bösen Gargamel ausgesetzt worden, um die Harmonie der Blauen zu zerstören. Sie ist etwas älter als die unschuldigen Dorfbewohner und muss von Papa Schlumpf erst in ein grundgutes, aber herzlich harmloses Blondchen verwandelt werden, bevor sie in die Dorfgemeinschaft integriert werden kann.
In der Welt jenseits des verwunschenen Dorfes aber wurden aus kleinen Jungen große und Schlumpfsammlungen wanderten auf den Speicher. Wer wollte schon allein mit Jungens spielen?
Jake Gyllenhalls Monolog aus dem Kultfilm "Donnie Darko" hat das Schlumpfdilemma am besten eingefangen: "Schlümpfe sind asexuell", hebt Gyllenhall dort an. "Sie haben noch nicht einmal Geschlechtsorgane unter ihren kleinen weißen Hosen. Und eben das, versteht Ihr, ist das Unlogische am Schlumpfdasein. Was hat das Leben schon für einen Sinn, wenn du keinen Schwanz hast?" So lange man sich diese Frage aber nicht stellt, ist im Schlumpf-Dorf noch ein Plätzchen frei.