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Speisen Speisen: Sülze und Knieperkohl

Von CORNELIA WOLTER 18.03.2010, 17:31

Halle/MZ. - Und tatsächlich ist die urtümliche Berliner Küche grob und deftig: Eisbein mit Sauerkraut und Erbsenpüree, Bulette und Bockwurst zählen zu den typischen Gerichten. Um die ursprünglichen Speisen zu probieren, gibt es wohl keinen originelleren Ort als das älteste Restaurant Berlins. Es existiert schon seit 1621. "Zur letzten Instanz" ist ein Familienbetrieb, hier wird frisch gekocht und selbst zubereitet. Koch und Sohn André Sperling ist erst vor wenigen Jahren aus der Schweiz zurückgekehrt, wo er in Sternehäusern gearbeitet hat. Kohlrouladen und Schweinebauch, wie sie auf der Speisekarte des Restaurants stehen, sind für ihn kein Widerspruch dazu: "Das Essen unterscheidet sich zwar. Aber wenn man volkstümliche Speisen mit guten Zutaten zubereitet, entstehen auch hochwertige Gerichte." Viele der Berliner Speisen sind Mitbringsel von Zugewanderten. Denn ein

Schmelztiegel unterschiedlicher Kulturen und Nationen ist die Stadt schon seit Jahrhunderten. "Die Bulette brachten etwa Franzosen nach Berlin", sagt Buchautorin Ulla Heise aus Leipzig. Der Name leitet sich von dem französischen Wort für Kugel, "boule", ab. Echte Berliner sind auch Curry- und Bockwurst sowie der Kassler. Ein ortsansässiger Fleischer namens Cassel hatte einst einen wohl nicht mehr ganz frischen Schweinerücken in Salzlake eingelegt. "Und seitdem gibt es Kasslerkamm", erklärt Heise.

Extravagante Gerichte sucht man auch in der brandenburgischen Küche vergeblich. "Typisch für die Gegend sind einfache Gerichte", erklärt der Gastronom Stefan Tiepmar aus Zehdenick, 60 Kilometer nördlich von Berlin im Ruppiner Land. Dem in weiten Teilen kargen Boden rangen Bauern schon vor Jahrhunderten mit Mühe Kartoffeln und Rüben ab. Diese Produkte finden sich auch auf der Speisekarte von Tiepmars Gasthaus "Alter Hafen" wieder. Neben Rote-Beete- oder Kürbis-Suppe werden dort auch Produkte wie Ziegenkäse aus der Region verwendet und mit mediterranen Zutaten verfeinert.

"Eine einheitliche Küche gibt es in Brandenburg nicht", sagt Heise. Typische Gerichte oder Zubereitungsarten einer Region sind 20 Kilometer weiter schon wieder ganz andere. Während der Spreewald für seine Gurken bekannt ist, rühmt sich die Niederlausitz für ihr Leinöl, im Fläming ist man stolz auf die "Teltower Rübchen", und aus Beelitz kommt der berühmte Spargel. Die heute so bedeutende Kartoffel in Brandenburg als Grundnahrungsmittel zu etablieren, war einst für die königlichen Herrscher gar nicht so einfach. Trotz kostenloser Verteilung von Saatgut standen die abergläubischen Bauern dem Nachtschattengewächs, das nicht einmal in der Bibel erwähnt wird, lange misstrauisch gegenüber. Erst dem Alten Fritz, Friedrich II., gelang es, Kraft seines königlichen Kartoffelbefehls von 1756, den Anbau zu erzwingen.

Eine Spezialität der Prignitz im Nordwesten Brandenburgs ist der "Knieperkohl", ein milchsauer vergorenes Blattgemüse. "Nach den Weltkriegen war dieser Sauerkohl ein wichtiges Überlebensmittel für Mensch und Tier", sagt Heise. Nach den 60er Jahren in Vergessenheit geraten, erlebt er jetzt eine Renaissance. Rouladen, Sülze, Brot, sogar Buletten aus Knieperkohl sind heute zu haben. Dieser Kohl wächst aber nicht auf dem Feld, sondern entsteht erst in der Küche. Er besteht aus einer Mischung aus Braun-, Grün- und Weißkohl. Traditionell passen dazu deftige Gerichte wie Eisbein, Lungenwurst oder Schweinekamm.