Schon Türme bauen ist Physik - Naturwissenschaften früh fördern
Köln/Bamberg/dpa. - Emil ist zwei Jahre alt und liebt es, Wasser hin- und herzuschütten - von einem kleinen Gefäß in ein großes, von einem tiefen in ein flaches. Das sollten ihn seine Eltern tunlichst machen lassen, denn Emil forscht.
Er beschäftigt sich mit Formen, Bewegungsverhalten und Oberflächenbeschaffenheiten. Das wiederum ist Physik und Mathe. Emils Interesse gilt es aufzugreifen - das heißt aber nicht, schon Kleinkinder in den Fächern Mathe, Physik oder Chemie zu unterrichten.
«Es geht nicht darum, Kinder in Naturwissenschaften zu fördern, sondern ihnen zu ermöglichen, Erfahrungen mit der Natur zu machen und dabei Wissen über Natur zu sammeln», sagt Prof. Gerd Schäfer vom Institut für frühkindliche Bildung der Universität Köln. Es nütze nichts, irgendwelches Wissen in Kinder «reinstopfen» zu wollen: «Das erzeugt genau das Gegenteil, Kinder stumpfen dann ab.»
Kein Kind müsse den Begriff «Dreiecksprisma» kennen, sagt Anna Susanne Steinweg, Professorin für Didaktik der Mathematik an der Universität Bamberg. Es reiche völlig aus, wenn Kinder beim Bauen mit Holzklötzen feststellen, dass aufeinander gestapelte dreieckige Steine wackeln und nicht für Türme geeignet sind. Das sei frühe mathematische Bildung.
Wollen Eltern ihr Kind in Mathe und Naturwissen fördern, sollten sie bei seinen Erfahrungen ansetzen. Verlegt das Kind Schienen für eine Holzeisenbahn, stellt es irgendwann fest, welche Kurvenstücke zusammenpassen. Ist der Halbkreis gelegt, können die Eltern weitere Überlegungen anregen: «Wie viele Stücke brauchst du für einen ganzen Kreis?», sei eine mögliche Frage, sagt Prof. Christoph Selter, Mathematik-Didakt an der Universität Dortmund und Leiter des Projekts «Mathe 2000» zur Weiterentwicklung des Matheunterrichts.
Für Naturphänomene interessieren sich schon Kleinstkinder. Bereits Zweijährige wunderten sich darüber, dass Stoff Flüssigkeit aufnimmt, Folie aber nicht, sagt Gisela Lück, Professorin für Didaktik der Chemie an der Universität Bielefeld. Für eine Erklärung seien sie aber noch zu klein. Ein Fünfjähriger hingegen könne sehr wohl kausale Zusammenhänge verstehen.
Die Begeisterung der Kinder für Mathe und Naturwissen schwindet allerdings schnell, wenn sie ständig korrigiert und ihre Fragen abgeblockt werden. «Eltern sollten sich wie beim Sprechenlernen auch bei Mathe über kleine Erfolge freuen», sagt Prof. Selter. Rechnet ein Vierjähriger «4 und 3 Autos, das sind zusammen 6 Autos», sei das kein Grund zur Korrektur, sondern erstaunlich. Denn die Größenordnung stimme, was zeigt, dass der Junge das Grundprinzip der Addition verstanden hat.
Vor allem müssen Kinder naturwissenschaftliche Phänomene erfahren - im Alltag oder durch Versuche. Die bringen aber nichts, wenn sie von einem schlauen Menschen an einem Projekttag vorgeführt werden, warnt Prof. Lück. Die Mädchen und Jungen müssten selbst experimentieren. Dafür gibt es Regeln: Damit Kinder Spaß am Forschen behalten, müssen die Experimente immer gelingen. Sie dürfen nicht gefährlich sein und müssen mit einfachen Hilfsmitteln funktionieren. Schließlich sollten die Erklärungen für Kinder verständlich sein, um den Eindruck von «Zauberei» zu vermeiden.
Literatur: Gisela Lück: Leichte Experimente für Eltern und Kinder. Herder Spektrum, ISBN: 978-3-451-04811-1, 8,90 Euro
Projekt «Mathe 2000»: www.mathematik.uni-dortmund.de/ieem/mathe2000/