Tschechien Tschechien: Spindlermühle - Das romantische Schneeloch

Früher, so die Legende, haben die Kellnerinnen in der Diskothek „Dolska“ in Špindleruv Mlýn (Spindlermühle) oben ohne bedient. Es klingt nach einer Männerfantasie vom zügellosen Osten, aber die Geschichte wird von einer älteren Dame erzählt. Und sie passt zum Image von Tschechiens Party- und Möchtegern-Schickimicki-Skiort. „Wer etwas gelten will in Tschechien, muss mindestens einmal im Jahr zum Skifahren hierherkommen“, sagt Margit Bartosová. „Viele Reiche haben sich Appartements gekauft.“
Bartosová weiß viel über den Ort und seine Geschichte, sie ist mit einem ehemaligen Museumsdirektor in der Nachbarstadt Vrchlabí verheiratet. Aber wenn man zwischen den Fachwerkhäusern spaziert, wundert man sich über den oft gehandelten Begriff Nobel-Skiort. Die Pelzmanteldichte ist niedrig, auch auffälligen Schmuck oder teure Sport- und Geländewagen sieht man kaum. Das Städtchen hat sich den Charme des alten Luftkurorts erhalten.
Die ersten Gäste kamen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die frühere Bergarbeiter-Siedlung. Der österreichische Riesengebirgsverein erschloss die ersten Wanderwege, Hotels öffneten. Im Januar 1922 reiste Franz Kafka an. Sein Arzt hatte ihm Bergluft empfohlen. Die Umgebung inspirierte den Schriftsteller zu seinem Roman „Das Schloss“. Vielleicht ließ sich Kafka auch im Hornschlitten von Pferden zur Peterbaude ziehen und rodelte nach der Jause zurück ins Tal. Die Schlittenfahrten waren hier der Beginn des Wintersports.
„Ein polnischer Kapitän brachte 1880 die ersten Ski auf die Peterbaude“, erzählt Margit Bartosová. „Sie lagen jahrelang herum, weil keiner wusste, was er damit anfangen sollte. Erst 1885 sind ein paar junge Männer damit die Hänge runtergefahren.“ In den Bergbauden schliefen einst Hirten, später Wanderer. Die Wiesenbaude und die 2011 abgebrannte Peterbaude wurden schon eigens für die Touristen gebaut.
In Zeiten des Sozialismus konnten Arbeiter in Betriebsbauden billig Urlaub machen. Damals wurden auch die ersten Skipisten angelegt. Heute hat Spindlermühle 12 000 Gästebetten. 25 Kilometer präparierte Pisten stehen bereit. 85 Prozent werden, wenn nötig, künstlich beschneit. Es lässt sich wunderbar hinabwedeln, denn die meisten Strecken sind blau oder rot und recht flach.
Eine Gruppe aus Mittenwalde in Brandenburg ist gerade im Restaurant an der Talstation eingekehrt. Auf der Speisekarte stehen die Skiklassiker: Pommes, Gulasch, Spaghetti. „Für mich als Anfänger sind die Pisten hier genau richtig“, sagt Kai Bittner. „Ich finde gut, dass sie nicht so lang sind. Das geht so in die Beine.“ Am Nebentisch sitzen zwei junge Frauen aus Prag. „Das ist das größte und beste Skigebiet in Tschechien“, sagt Daniela Spilková, „nicht nur wegen des Skifahrens, auch wegen der Party.“ Spilková kam schon als Kind mit ihren Eltern hierher, jetzt ist sie mit ihrer Freundin wie viele andere Skifahrer fürs Wochenende aus der Hauptstadt angereist. „Das „Dolska“ ist der schickste Club in der Stadt“, erklärt sie.
Das klingt etwas nach Ski-Ballermann, doch am Abend ist es erstaunlich ruhig in den Gassen. Pärchen und Familien spazieren über die hübsche Fußgängerbrücke zu den Fachwerkrestaurants. Die Eisschollen auf der Elbe, die 14 Kilometer entfernt entspringt, sind mit Neuschnee gepudert. Alles sehr romantisch, aber wenig glamourös, und schon gar nicht wild.
Am nächsten Morgen geht es mit dem Skibus ein paar Kilometer hinüber zur Talstation Medvedín. Der Ausblick vom 1 235 Meter hohen Gipfel ist herrlich. Dick eingeschneite Nadelbäume überziehen die Hänge bis hinauf zu den Gipfeln. Wenn es nach den neuen Besitzern des Skigebiets geht, werden schon bald zwei Kabinenbahnen von hier zum Gebiet Svatý Petr auf der anderen Seite der Elbe hinüberführen. Die Investoren, die das gesamte Skigebiet 2012 dem tschechischen Skiverband abkauften, haben große Pläne. Sie wollen zusätzliche Pisten bauen, die bestehenden verbreitern und die Lifte modernisieren.