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Schweiz Schweiz: Löwenzahn bremst

Von NICOLE QUINT 24.05.2012, 16:43

Halle (Saale)/MZ. - Die gelassenen Cowgirls Irma, Nina, Oklahoma und Umbra blicken unter dichten Wimpernbögen mit mokkabraunen Augen auf die Kandidaten, die sich auf dem Bolderhof von Biobauer Heinz Morgenegg eine Kuh für ein Pferd vormachen lassen.

Auch ohne Vorkenntnisse und speziellen Reiterdress ist man hier willkommen. Selbst ein Sattel ist unnötig, eine Decke reicht vollkommen, ebenso ein Ledergurt zum Festhalten und Seile als Halfter und Zügel. Unverzichtbar ist hingegen eine ausgiebige Vorstellungsrunde. Irma & Co. wollen schließlich wissen, wer da auf ihnen Platz nimmt. So streicheln wir die Tiere, reden ihnen gut zu und kontrollieren noch einmal den Sitz unserer Helme - sicher ist sicher.

Wie es sich für echte Vollblutkühe gehört, setzen sich Irma & Co. mit wippenden Hüften und schwingenden Eutern in Gang. Doch die Behändigkeit, mit der vier Paarzeher-Hufe sich fortbewegen, beeindruckt uns nur kurz. Irma erteilt uns Lektion Nummer eins: Frischer Löwenzahn geht vor Reiterglück! So senkt sich ihr Kopf jeden zweiten Meter über ein saftiges Pflänzchen. Da helfen kein Bitten und auch kein strenges Rufen. Wir reiten nicht, wir stehen spazieren. Irma frisst, und ihre Kolleginnen harren reglos hinter ihr wie Rehe im Scheinwerferlicht.

Für Irma und die anderen Reitkühe des Bolderhofes sind Menschen auf dem Rücken so selbstverständlich wie für uns Kuhmilch im Kaffee und das Reiten keine Last, sondern pures Vergnügen. Im Erst-Beruf sind sie Milchlieferantinnen, doch statt auf einer Landwirtschafts-Show zur "Miss Milchleistung" oder "Miss Euter" gekürt zu werden, dürfen die Kühe des Bolderhofs unter Beweis stellen, wie viel Charme, Talent und Intelligenz in so einem Rindvieh stecken.

Die Idee seinen Kühen eine Reit-karriere zu ermöglichen, kam Heinz Morgenegg, als seine vier Kinder von einem viel zu kurzen Kamelritt im Zirkus völlig enttäuscht nach Hause kamen. Warum nicht im eigenen Stall nach geeigneten Reittieren suchen? Heinz Morgenegg begann Reitübungen mit den ersten Kühen. Bald bekam er Unterstützung von einer passionierten Reiterin aus Berlin, die Ferien auf seinem Erlebnisbauernhof machte. Begeistert von der Idee, auf Kühen zu reiten, trainierte sie den ganzen Tag mit den Tieren. "Am Abend stand ein dreckiges Bündel Glück vor mir", beschreibt Morgenegg die Ausbilderin seiner Kühe. Von seinen 25 Milchkühen sind zehn geübte Reittiere, die Gäste ins kleine Hemishofen locken.

Bei Landluft und Glückskleeromantik kommen Stadtbewohner dort wieder in Kontakt mit dem kuhwarmen Leben und folgen Irmas zweiter Lektion: Eine satte Kuh, ist eine gute Kuh! Kein Löwenzahn kann Irma jetzt noch locken. Gemächlich führt sie den Kuh-Konvoi an Mais- und Weizenfeldern, bunt blühenden Wiesen und verdutzten Radfahrern vorbei, begrüßt brüllend die wiederkäuende Verwandtschaft auf den umliegenden Weiden und steuert schließlich direkt hinein in den Rhein. Doch nur die Euter werden nass. Die Damen wollen nicht baden, sie haben Durst. Glitzerndes Wasser, glänzendes Kuhfell, grinsende Badegäste und Reiter, die sich nun selbst Lektion Nummer drei erteilen: Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde! Auf dem Rücken der Kühe ist nur Platz für Zufriedenheit - die aber in ihrer prallsten Form. Deshalb würden wir nie unsere Kühe gegen ein anderes Reittier eintauschen wollen. Mit dieser Gewissheit geht es zurück zum Bolderhof.