Schiffsarzt packt aus Schiffsarzt packt aus: Die verrücktesten Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen

Um die Welt reisen und dafür noch bezahlt werden: Das klingt für viele Fernwehgeplagte wie ein Traumjob. Als Schiffsarzt tut Fritz Wittmann genau das. Seit rund 20 Jahren begleitet der Allgemeinmediziner, Jahrgang 1954, Reisen als Facharzt. Über seine Erlebnisse hat er nun ein Buch geschrieben. Darin erzählt er von seinen skurrilsten Begegnungen an Bord. Die drei verrücktesten stellen wir hier vor.
„Ich weiß nicht, warum, aber nirgends in meinem Leben habe ich so viele merkwürdige Personen getroffen wie auf Kreuzfahrtschiffen. Vielleicht liegt es an dem speziellen Klientel, das sich diese Reisen und damit auch die Schrullen leisten kann.“
Der verfressene Amerikaner
„Doctor! Where is the doctor?“, tönt es eines Abends im Restaurant der MS Brentano. „Doctor? Das war dann wohl ich“, erinnert sich Wittmann an seinen ersten Einsatz. „Obwohl mein Puls vor Aufregung hüpfte: Jetzt muss ich die Ruhe bewahren“, sagt sich der Schiffsarzt. Als er ankommt, findet er einen Mann in einem XXL-Hawaii-Hemd, der am Boden liegt und nach Luft ringt. Daneben seine aufregte Ehefrau. Wie sich herausstellt, sind die beiden Amerikaner. Was passiert ist, will Wittmann von der Frau wissen. Ihr Mann habe gerade angefangen, eine zweite Portion vom Bufett zu essen und müsse sich wohl verschluckt haben. „Ich glaube, es war die deutsche Wurst“, heult sie verzweifelt. Der Arzt stellt fest: „Leider war in diesem Fall der Blutwurstbrocken zu groß gewesen und hatte zu allem Überfluss die falsche Abzweigung genommen“.
Schläge zwischen die Schulterblätter helfen nicht und auch mit dem so genannten Heimlich-Manöver, einer lebensrettenden Sofortmaßnahme bei drohender Erstickung, kann Wittmann nichts ausrichten. Erst mit einer Zange kann er die Blutwurst schließlich entfernen, der Amerikaner hat jedoch das Bewusstsein inzwischen verloren. Mit einer Herz-Lungen-Wiederbelebung holt der Schiffsarzt den Mann zurück ins Leben. Als der Passagier wieder ansprechbar ist, teilt Wittmann ihm mit, dass er ihn in wenigen Minuten untersuchen wolle. „Okay“, antwortet der Mann. „Ich komme dann nach dem Essen“. Wittmann ist fassungslos: „Der Kerl, der eben noch mehr oder weniger halbtot auf dem Boden gelegen und um sein Leben gekämpft hatte, wollte weiteressen?“ „I like the German Wurst“, erklärt der Amerikaner dem verdutzten Arzt und wankt zurück zur gedeckten Tafel.
Die falsche Krankenschwester
„Wenn einer aus der Besatzung irgendwie eine Schiffsschraube locker hat, hat man doch ein handfestes Problem“, sagt Wittmann. Auf einer Reise wird dem Arzt eine Frau namens Conny vorgestellt, laut Personalbogen gelernte Krankenschwester. Knapp sieben Wochen sollen die beiden im Hospital zusammen arbeiten. Doch Conny zieht bald den Unmut des Mediziners auf sich. Ihr Namensschild mit der Bezeichnung „Krankenschwester“ nimmt sie ab und stellt sich stattdessen als „Doc“ bei den Patienten vor. Dabei bleibt es nicht: „Immer häufiger verkündete Conny ihre Diagnosen, die nicht nur immer falsch, sondern auch meistens viel spektakulärer waren als die harmlosen Erkrankungen, welche die Passagiere ins Hospital brachten“, erinnert sich Wittmann. „So wurde in Nullkommanichts aus einer einfachen Migräne eine Hirnhautentzündung, aus einer Magen-Darm-Grippe ein entzündeter Blinddarm und aus einer stinknormalen Neurodermitis eine Gürtelrose biblischen Ausmaßes.“
Kritik lässt die Frau abprallen. Ihr Medizinstudium in den USA werde in Deutschland nicht anerkannt, sie habe im Irakkrieg gedient und sei beim Anschlag auf das World Trade Center einer der ersten Ärzte vor Ort gewesen. Die Patienten an Bord behandelt sie falsch, behauptet aber gleichzeitig, sie vor Schlimmerem gerettet zu haben. „Ich tippte auf Pseudologia phantastica, das krankhafte Verlangen zu lügen auf der Suche nach Anerkennung“, so Wittmann. Irgendwann berichtet ein Passagier dem Schiffsarzt von einem Fernsehbeitrag: „Da ging es um eine Hochstaplerin. Sie hat behauptet, ihre Unterlagen wären bei einem Wohnungsbrand verloren gegangen, daher haben die Krankenhäuser sie auch ohne Nachweise und Zeugnisse eingestellt.“ Doch es kommt noch dicker: „Das ging dann immer eine Weile gut […] bis sie dann jemanden umgebracht hat. Irgendwas muss da bei einer Narkose schiefgelaufen sein.“ Das Ende der Geschichte: Conny muss am gleichen Tag das Schiff verlassen und wird der Polizei übergeben. Sie war bereits wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung gesucht worden.
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Das ungleiche Brautpaar
Bei einer Kreuzfahrt mit der MS Costa Gloria begegnet Wittmann ein Paar, das durch sein schrilles Aussehen und den großen Altersunterschied die Aufmerksamkeit auf sich zieht. „Die etwa Mitte Zwanzigjährige war groß und gut gebaut, wenn auch mit einer offensichtlichen Volumenverlagerung im Bereich des Oberkörpers. Sie trug die höchsten Absätze, die ich je gesehen hatte, einen eng anliegenden Blazer, der ihre aufgeblasenen Brüste (un)vorteilhaft einzwängte, außerdem roch sie nach Chanel No. 5, dass es einem die Sinne benebelte. Ihr Mann: Zwanzig Jahre älter und fünfzehn Zentimeter kleiner, lange blonde Haare und auf der Nase eine Gucci-Sonnenbrille. „Käpt’n, mer han jrad en Köln jehierotet, d’r Ronny un isch“, erklärt die Frau. „No wollen mer dat noh einmal wiederholen. Am Strand von Bora-Bora. Dat jeht doch, jo?“
Doch die ersehnte Traumhochzeit in der Südsee wird vor einige Probleme gestellt. Auf Bora-Bora angekommen, macht das Wetter den beiden einen Strich durch die Rechnung: Der Himmel wolkenverhangen, der Wind stark böig. Das Boot der Hochzeitsgesellschaft kann wegen zu hoher Wellen am Strand nicht anlegen. Die Braut packt die Seekrankheit: „Mer ess su schlääsch“. Nachdem das Kleid gereinigt worden ist, startet das Paar einen zweiten Versuch auf Fidschi: Doch das Unwetter hat den Strand verwüstet: Nur Algen und Quallen, umgeknickte Palmen und Baumstämme. Doch aller guten Dinge sind bekanntlich drei: Vor Neukaledonien klappt die Traumhochzeit dann doch noch: Schneeweißer Sand, eine blumengeschmückte Pergola und eine ergreifende Version von „Somewhere over the rainbow“: „Das Glück“, resümiert der Schiffsarzt, „besteht manchmal aus den kleinen Dingen: ruhiger Seegang, ein bisschen Sonne und die entscheidenden drei Worte zur richtigen Zeit.“
Schiffsarzt: ein echter Traumjob? Entscheiden Sie selbst...
(kkl)
Informationen zum Buch
Fritz Wittmann: Doc Holiday – Als Schiffsarzt über die sieben Weltmeere, Bastei Lübbe Verlag, 270 Seiten, 9,99 Euro.
