Richmond upon Thames Richmond upon Thames: Hier ist London idyllisch wie ein Dorf
David Attenborough, der wohl bekannteste Tierfilmer Großbritanniens, bereist seit mehr als 60 Jahren die Welt. Doch als er neulich mal gefragt wurde, welches denn nun das schönste Fleckchen Erde sei, nannte er ausgerechnet den Namen eines Londoner Stadtteils: „Richmond - mit weitem Abstand.“ Die Äußerung erregte auf der Insel einiges Aufsehen.
Nun spielte bei der Antwort des 87 Jahre alten Attenborough sicherlich eine Rolle, dass er selbst in Richmond wohnt, ebenso wie viele seiner Verwandten und Freunde. Dass Richmond der schönste Platz der Welt ist, mag nicht jeder so sehen. Unstrittig ist: Richmond ist ein Ort, an dem man sich wohlfühlen kann. Nirgendwo in Großbritannien werden die Menschen so alt wie hier.
Obwohl Richmond an die innerstädtische District Line angebunden ist - das grüne Band auf dem bunten Londoner U-Bahn-Plan - wähnt man sich bereits auf dem Lande. Richmond upon Thames, so der volle Name, liegt in einer anmutigen Auenlandschaft. Man kann kaum glauben, dass dieser liebliche, sich windende Wasserlauf derselbe sein soll, der 20 Kilometer weiter, in Londons Zentrum, zu einem respektablen Strom anschwillt. Seit Jahrhunderten ist das Flusstal ein Lieblingsmotiv der Landschaftsmaler, einige der bekanntesten Darstellungen stammen von William Turner.
Laut Walter Scott, Autor des „Ivanhoe“, ist die Themse „hier von Villen wie mit Türmchen gekrönt, von Wäldern mit Girlanden behangen und von Barken geschmückt“. Er schrieb das 1818, aber genauso ist es noch heute. Richmond war 1902 das erste Panorama, das vom Parlament gesetzlich unter Schutz gestellt wurde. Seitdem darf hier nichts Wesentliches mehr verändert werden.
Anreise: Von der Londoner Innenstadt aus mit der U-Bahn-Linie District Line oder aber im Sommer mit dem Boot über die Themse.
Währung: Ein britisches Pfund kostet 1,20 Euro (Stand März 2014)
Informationen: Visit Britain, Alexanderplatz 1, 10178 Berlin (Tel.: 030/ 3157190), Kew (www.kew.org).
Einer der beliebtesten innerstädtischen Sommerausflüge der Londoner ist es, mit dem Boot von Westminster nach Richmond zu fahren und dann ein paar Stunden am Fluss in der Sonne zu sitzen, Tee zu trinken, Carot Cake zu essen und im warmen Licht des Spätnachmittags wieder über das Wasser nach Hause zu gleiten. Nebenher ziehen Schwäne wie in Zeitlupe vorbei. Unzählige Londoner träumen davon, irgendwann einmal aus der stickigen Metropole nach Richmond zu ziehen.
Wo sich Stars ein Schlösschen kaufen
Für die allermeisten bleibt es ein Traum, denn der Vorort ist nicht nur eines der schönsten, sondern auch eines der teuersten Fleckchen der Stadt. Die Backsteinhäuser auf der Kuppe von Richmond Hill, die weiß gestrichenen Villen mit Bootsanleger und die mit Türmen und Erkern überladenen Schloss-Verschnitte gehören Leuten wie Mick Jagger, Daniel Craig und Keira Knightley. Dazwischen wohnt auch der eine oder andere Deutsche wie Kinderbuchautor Axel Scheffler („Grüffelo“), denn Richmond ist Sitz der Deutschen Schule.
Der Bezirk Richmond zählt drei große Besucher-Attraktionen. Die eine ist vor allem etwas für gestresste Londoner, die mal ausspannen wollen: Richmond Park, die größte Freifläche innerhalb der Metropole, in der es sogar frei herumlaufende Hirsche gibt.
Die zweite ist das Schloss Hampton Court. Auf der einen Seite ist es ganz trutzige Festung, auf der anderen elegantes Barockschloss - zwei Schlösser in einem sozusagen. Nicht verpassen sollte man die größte erhaltene Renaissance-Küche, in der zur Zeit des Frauenköpfers Heinrich VIII. gut 600 Stück Apfelkuchen auf einmal gebacken werden konnten.
Ein El Dorado für Pflanzen-Freunde
Richmonds dritte und größte Attraktion sind die Royal Botanic Gardens, kurz Kew Gardens genannt. Es ist, als würde England in dessen Kristallpalästen einen kleinen Rest seiner einstigen Kronkolonie Indien verwahren. Man öffnet die Tür und befindet sich in einer anderen Klimazone. Feuchtwarme Hitze und Blütenduft umfangen den Besucher. Nur das Geräusch der Sprinkleranlagen verrät, dass dies ein von Menschen kultivierter Regenwald ist.
Für Pflanzen-Fetischisten gibt es kein größeres El Dorado als Kew. Aber auch wer nur ein paar Geranien auf dem Fensterbrett hat, wird dem hier waltenden botanischen Geist seinen Respekt nicht versagen können. So zählt allein die Orchideen-Kollektion - die älteste der Welt - über 5000 Arten. Für die Katalogisierung steht ein eigenes Expertenteam zur Verfügung.
Das Temperate House hält die ultimative Lektion für alle ungeduldigen Hobbygärtner bereit: 1846 wurde der Samen einer Honigpalme eingesät, heute ist dies die weltweit größte Gewächshauspflanze, 18 Meter hoch „and still rising“ - sie wächst immer noch. Wunderbar nostalgisch muten die geschwungenen viktorianischen Wendeltreppen an. Sie führen hinauf zu den Galerien unter dem Glasdach, von denen aus man auch die höchsten Palmenspitzen begutachten kann. Neu im Außengelände ist ein Höhen-Rundweg durch die Kronen uralter Baumriesen.
Zu weit weg, zu locker bebaut, zu pittoresk
Man kann neidisch werden auf jene Auserwählten, die das Glück haben, in Richmond zu wohnen. Gibt es gar keine Nachteile? Doch! Der Garten Eden liegt in der Einflugschneise des Flughafens Heathrow. Alle 40 Sekunden donnert eine Maschine über den Himmel.
Und dann ist da noch ein Aspekt: Für viele Hauptstädter gehört Richmond gar nicht mehr zu London. Es ist viel zu weit weg, zu locker bebaut, zu pittoresk, kurz: zu schön, als dass man es dauerhaft dort aushalten könnte. Die Vertreter dieser Sicht würden einen Umzug nach Richmond nie in Erwägung ziehen. Wenn man sie nach dem Grund fragt, antworten sie alle mit dem gleichen Satz: „I am a Londoner.“ Ich bin Londoner. (dpa)
Impressionen aus dem grünsten und hübschesten Stadtteil Londons gibt es in der Bildergalerie: