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Polen Polen: Mit dem Schiff auf Landpartie

Von KLAUS THIELE 28.07.2011, 21:58

Halle (Saale)/MZ. - Das Schiff kommt auf die Schiene und die Fahrt geht huckepack weiter als Landpartie. Das gibt es tatsächlich. Aber nur in der polnischen Woidwodschaft Ermland-Masuren. Auf dem Oberländischen Kanal geraten Schiffe mitsamt Passagieren auf die schiefe Bahn und überwinden dabei beachtliche Höhenunterschiede.

Die Wasserroute, auch Ostroda-Elblag-Kanal oder Oberland-Kanal genannt, ist ein früher technischer Geniestreich. Seit 1860 werden dort Schiffe auf einer Transport-Lore festgezurrt und von einem Stahlseil über eine schiefe Ebene gezogen. Etwa 500 Meter weiter wird der Dampfer dann in einem rund 20 Meter höheren beziehungsweise tieferen Kanalstück wieder abgesetzt.

Fünf dieser schiefen Ebenen gibt es. Rollberge werden sie im Volksmund genannt. Sie überwinden insgesamt eine Höhendifferenz von fast 100 Metern. Dafür hätte man nach dem damaligen Stand der Technik 30 Schleusen bauen müssen. Und das Ganze läuft auch noch absolut umweltfreundlich ab. Allein durch Wasserkraft angetriebene Schaufelräder von acht Metern Durchmesser bewegen das Endlos-Seil, das immer zwei Förderwagen gleichzeitig im Gegenverkehr über Land zieht.

Der aus Königsberg stammende Ingenieur Georg Jacob Steenke entwarf als königlich-preußischer Baurat 1825 den ersten Plan für den Oberländischen Kanal. Er sollte von Osterode aus, heute Ostroda, das westliche Masuren mit der Ostsee verbinden. Elbing, das heutige Elblag, war damals mit dem Zugang über das Frische Haff zum Meer als Hafenstadt wichtiger als Danzig. Die preußische Regierung hielt die Pläne zunächst für undurchführbar.

Mit dem Bau begonnen wurde erst 1844, nachdem Steenke bei einer Audienz dem preußischen König versprochen hatte, niemand auf der Welt verfüge über ein ähnliches Projekt. Das war ein wenig geflunkert, denn Steenke hatte in den USA den Morris-Kanal als Vorbild entdeckt. Das dortige Transportsystem gibt es freilich schon lange nicht mehr.

Der Oberländische Kanal wurde zum wichtigen Transportweg vor allem für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus dem Hinterland zur Küste. Die großen Güter im Landesinneren brachten es auf ihren fruchtbaren Böden zwar zu üppigen Ernten, aber der Transport von Getreide zur Ostsee war mühsam. Auch Holz aus den Wäldern Masurens musste zur Küste gebracht werden. Kiefernstämme aus Masuren wurden zum Beispiel als Masten für die großen Segelschiffe gebraucht. Mit Abzweigen, zum Beispiel von Osterode nach Deutsch-Eylau (Ilawa), wurde das Kanalsystem insgesamt rund 130 Kilometer lang.

1912 kam ein Unternehmer namens Adolf Tetzlaff auf die Idee, den Kanal auch touristisch zu nutzen. Zu dieser Zeit hatte er als Transportweg für Wirtschaftsgüter bereits an Bedeutung verloren, denn seit 1872 war die Eisenbahn zu einer starken Konkurrenz geworden. Nach den Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges wurde das Kanalsystem 1948 erneuert und dient seitdem ausschließlich dem Ausflugsverkehr. Vom 1. Mai bis 30. September starten täglich die Schiffe der Reederei Ostrodzko-Elblaska morgens um acht in Ostroda und in Elblag. Elf Stunden dauert die Kahnpartie über die 82 Kilometer von Ostroda bis Elblag. Vier Schleusen und die fünf geneigten Ebenen werden durchfahren, enge Kanalstrecken, schmale Rinnenseen. Landschaftlich besonders reizvoll ist die Region um den Drausensee im Weichselwerder. Er ist Brutstätte für Tausende von Vögeln, ein Paradies für Ornithologen.

Erst nach sechs Stunden wunderbar langsamer Fahrt geht es bei Buczyniec, dem früheren Buchwalde, das erste Mal mit dem Kahn über Land. Dort warten dann auf die Schienen-Schiffsreisenden schon ungeduldig andere Touristen, die mal eben ein Foto vom einzigartigen Technik-Bauwerk Oberländischer Kanal machen möchten.

Die Kanalfahrt von Ostroda nach Elblag kostet umgerechnet etwa 36 Euro. Zurück geht es mit dem Bus. Weiteres beim Polnischen Fremdenverkehrsamt:

Tel. 030 / 210 09 20