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Italien Italien: Untergang der Stadt Pompeji live erleben

Von Karin Willen 22.10.2010, 08:05
Das Speisezimmer, in dem heute Liegen mit runden Tischchen stehen, war vor fast 2000 Jahren vollgestellt mit Bronzegegenständen. (FOTO: DPA)
Das Speisezimmer, in dem heute Liegen mit runden Tischchen stehen, war vor fast 2000 Jahren vollgestellt mit Bronzegegenständen. (FOTO: DPA) dpa-tmn

Pompeji/dpa. - «Nichts währt ewig», mahnt die verhallendeStimme des Hausherrn Julius Polybius, nachdem die Schemen seinerGestalt im Rauch entschwinden. Der Beamte, als Hologrammauferstanden, ist Teil eines neuen Angebots in Pompeji. Prof.Claudio Salerno aus Neapel will Besuchern damit ermöglichen, denAlltag und den Untergang Pompejis mit allen Sinnen zu erleben.

Tritt man ins Vestibül und schließt die Tür, hört man von draußenknarzende Karren, Pferdegetrappel, Rufe und das Hämmern auf Holz undMetall. Als wäre man mittendrin im Alltag des 24. August 79 nachChristus in der kleinen Handelsstadt zwischen dem Vesuv, denMilchbergen und dem Mittelmeer.Der Hausherr empfängt die Besucher an der Schwelle zum Atrium undplaudert ein wenig, ehe er mit seiner eindringlichen Mahnung imNichts entschwindet. Feine Schwaden von Bergamotte und Wacholderdurchziehen die Räume. Im Garten, der von drei Seiten von einerSäulenhalle, dem Peristyl, begrenzt wird, duften reale Äpfel an denBäumen, die Feigen sind noch grün. Aus der Küche hört manTopfgeklapper und Brutzeln.
Die Besucher studieren noch die dreidimensionale Projektion desrekonstruierten Hauses, da ruft ein Glöckchen zum Abendessen, demsie übers Peristyl in den Speisesaal folgen. Doch plötzlich beginntder Wind zu heulen, Hunde bellen, von Ferne ist Donnern und Zischenzu hören, und der Guide bittet die Besucher nun in den schwarzenSalon.
«Rrrumms», schließt sich die nicht mehr vorhandene Türe desfensterlosen Raumes. Aufgeregte Stimmen dringen durch dieDunkelheit, sie werden immer hohler und verzerrter. «Wegen derSauerstoffarmut», erklärt der Guide knapp. Die schwangere Tochterdes Hausherrn erscheint stumm und entsetzt als Hologramm, kurzdarauf hört man ihren Herzschlag und den ihres Fötus, bis auch dieseverstummen und es totenstill wird.

Eine Stille, welche die zwölf Bewohner bis ins 20. Jahrhundertunter einem riesigen Berg von Asche und Gestein einschloss. Erstzwischen 1913 und 1978 wurde der Komplex ausgegraben. Seit Ende Juliist er der Öffentlichkeit zugänglich.

Wie sich jener 24. August in diesem Hause wahrscheinlichabgespielt hat, haben Archäologen, Paläobiologen, Vulkanologen undandere Wissenschaftler gemeinsam nachvollzogen. «Das alte Lateinkennen wir von den antiken Schreibern, während sich das Geräusch vonMahlsteinen über die Jahrhunderte ja nicht verändert hat», erläutertProfessor Salerno das Konzept.

Gesicht und Gestalt des Polybius' und seiner Tochter habenExperten anhand von Gipsabdrücken der Hohlräume rekonstruiert,welche die Leichen nach ihrer Verwesung in der erstarrten Aschehinterließen. Die Archäologen fanden die beiden neben vier anderenin Stein erstarrten Leichen im schwarzen Salon. In diesen mit feinenFresken verzierten Raum waren sie mit schnell gegriffenen Münzen undSchmuckstücken geflüchtet, ehe die Asche ihnen den Weg abschnitt.Sechs andere Personen hatten Zuflucht im weißen Nebenraum gesucht.Alle erstickten.

Mit ihnen starb damals eine ganze Stadt, in der 8000 bis 10 000Menschen lebten. Wer nicht in die Häuser flüchtete, starb anSteinschlag und Glutlawinen oder erstickte wie der HistorikerPlinius der Ältere zwei Tage später vor den Stadttoren durch dieVulkangase.

Der verheerende Ausbruch des Vesuv traf das Haus während derRenovierung. Das beweisen nicht nur die im Vestibül gefundenenKalkfässer. Das Speisezimmer, in dem nun Liegen mit runden Tischchenstehen, war vor fast 2000 Jahren vollgestellt mitBronzegegenständen, die Wände waren noch nicht ganz fertigdekoriert. Im Peristyl standen Schränke, offenbar ebensovorübergehend. Statt des Holzes halten die bronzenen Scharniereheute die Abgüsse des verrotteten organischen Materials.

Renovierungen waren auch nebenan in der Via dell' Abbondanza imvollen Gange, obwohl man hier schon nach dem vorangegangen Erdbebenim Jahre 62 einiges wieder instand gesetzt hatte. Nach einem Freskoin einem Salon wurde das Gelände «Haus der keuschen Liebenden»genannt. Hier lassen sich Archäologen dabei beobachten, wie siePferdeskelette aus dem Stall heraus präparieren.

Auch das Infomaterial in der Hand oder der Audioguide im Ohrhelfen dabei nachzuvollziehen, wie sich das Leben in Pompejiabspielte, als das Forum zugleich Sitz von Göttern, Verwaltung,Gericht und Marktplatz war und die Bürger auf Basaltquadern dieAbwässer in den Straßen überquerten.

Schräg gegenüber der beiden Grundstücke liegt eine der vielenGarküchen mit einer gemauerten Theke, in die Tonkrüge eingelassensind. Hier nahmen die gemeinen Pompejaner zum Mittag ihr Fastfoodein, meist im Stehen. Wer Zeit und Geld hatte, wurde inHinterzimmern aufwendiger auf gemauerten Liegen verköstigt.

Wie gut die Wirte mit den Gelagen der Vermögenden verdienten,lässt sich an den Gebäudegrundrissen und den Weingärten in der Nähedes Amphitheaters ablesen. Prächtige Mosaikbrunnen verteilten hiereinst das Wasser des Aquädukts. Gen Westen in Richtung Porta Marinaist Wahlwerbung an einer Hauswand zu lesen, diskrete Penissymbolezeigen auf dem Pflaster die Richtung des nächstens Freudenhauses an.Spätestens in den Tempelruinen der Schutzpatronin Venus kommt einemdie Mahnung des Polybius wieder in den Sinn: Nichts währt ewig!

Einige Ruinen wie die des Apollontempels lassen noch heute den Glanz des antiken Pompeji erahnen. (FOTO: DPA)
Einige Ruinen wie die des Apollontempels lassen noch heute den Glanz des antiken Pompeji erahnen. (FOTO: DPA)
dpa-tmn
Das Ende: Die schwangere Tochter des Polybius' erscheint im heutigen Pompeji stumm und entsetzt als Hologramm. (FOTO: DPA)
Das Ende: Die schwangere Tochter des Polybius' erscheint im heutigen Pompeji stumm und entsetzt als Hologramm. (FOTO: DPA)
dpa-tmn