Italien Italien: Römische Sommerfrische in den Albaner Bergen

Halle/MZ - Die Männer vom Automobil-Club „HR Tours“ halten die Einweisung kurz: „Achten Sie immer genau darauf, was das Fahrzeug vor Ihnen tut“, sagt Stefano, ihr Chef. In Italien, so verstehen wir, hält sich nur jeder Zweite an die Straßenverkehrsordnung. Wir sollen keinen Schreck kriegen, wenn sich von hinten ein Auto eng an uns schmiegt. Das ist normal, sagt er und verteilt die klassischen Oldtimer aus den 60er und 70er Jahren an die Gruppe von Fahrern und Beifahrern, die den Ausflug durch die Albaner Berge gebucht haben.
Albaner Berge? Gemeint ist eine reizvolle Hügellandschaft südöstlich von Rom, die Region Latium, in die sich schon in der Antike die reichen Römer zurückgezogen haben. Im Sommer tauschten sie die heiße Stadt mit der Frische der Wälder aus Steineichen, Pinien und Olivenbäumen. Eine beständig leichte Brise milderte die Hitze, ließ Gedanken zu. Der Philosoph Cicero beschäftigte sich hier mit dem Weg zur Glückseligkeit. Die „Gespräche im Tusculum“, eines seiner Hauptwerke, entstanden 45 Jahre vor unserer Zeitrechnung in jener römischen Villenstadt, von der heute nur noch Ruinen künden. Später, im 16. und 17. Jahrhundert, errichteten Adelsfamilien und Kardinäle in den Albaner Bergen ihre Landhäuser und Villen.
Die roten, schwarzen und weißen Fiats 1100, 1200 und Cinquecentos, die Lancias und Alfa Romeos starten ihre Tour in Frascati. Es ist der Ort, der einem der bekanntesten italienischen Weißweine den Namen gibt, eine 22 000 Einwohner-Gemeinde mit Kathedrale, Glockenturm, Barock- und Renaissance-Villen, Brunnen und Wasserspielen. Und einem modernen Museum, das Stararchitekt Massimiliano Fuksas in uralte Mauern hineingebaut hat. Hier werden Fundstücke aus dem Tusculum und wechselnde Kunstausstellungen präsentiert.
Fast 3 000 Winzer keltern in dem Weinbaugebiet der Castelli Romani (deutsch: Römische Burgen) - sie umfasst 16 Gemeinden zwischen Frascati und Genzano di Roma - die fein würzigen Tropfen aus Malvasia und Trebbiano Trauben. Gefragt sind sie nicht nur in ganz Italien, sondern auch in Großbritannien und Deutschland. In den einheimischen Tavernen schätzt man die Touristen, die zum edlen Getränk gern ein typisches Fleischgericht der Castelli bestellen: die Porchetta. Das Leibgericht von Kaiser Nero ist dem deutschen Spanferkel ähnlich, nur saftiger, was wohl an der Art der Zubereitung liegt. Mit Pfeffer, Rosmarin und Knoblauch gefüllt, wird das Ferkel auf eine Stahlstange gebunden und im Holzofen befestigt.
Abwechslungsreich ist die Fahrt durch die Albaner Berge, die Straßen von Schirmpinien, Zypressen, Weinbergen und Seen gesäumt, und immer erscheint am Horizont irgendwo eine Burg. Der erste Halt gilt dem Kloster San Nilo in Grottaferrata. Vom Heiligen Nilus im Jahr 1004 gegründet, kann man bei einer Führung die einzige noch erhaltene byzantinische Abtei, einen Palast und bedeutende Malereien bewundern. In einem Kloster aus dem 18. Jahrhundert wurde 1931 ein Labor zur Restaurierung antiker Bücher eingerichtet, in dem auch Leonardo da Vincis „Codex Atlanticus“, eine Sammlung von Zeichnungen, Skizzen und Notizen des Meisters, wiederhergestellt wurde.
Bald hinter Grottaferrata halten wir an einer „Bucht mit Aussicht“ oberhalb des Albaner Sees, eines mit Trinkwasser gefüllten erloschenen Kraters. Leider ist es diesig, und so nehmen wir Castel Gandolfo auf der anderen Seite des Lago di Albano nur wie durch einen Schleier wahr. Bevor wir den Ort mit dem Sommersitz der Päpste besuchen, legen die Oldtimer auf dem Marktplatz von Genzano di Roma eine Pause ein. In der alten Bäckerei „Da Sergio“ kosten wir das typische Pane Genzano, ein Acht-Pfund-Holzofenbrot, und die „Pizza mit nichts“, die selbst ohne Belag so herzhaft knusprig schmeckt, dass man beim Probieren fast das Signal zum Aufbruch überhört.
Ein Stück fahren wir auf der Via Appia, jener römischen Straße, die in der Antike wegen ihrer Bedeutung für Handel und Militär zur Königin der Straßen erhoben wurde. Sie führt von Genzano in Richtung Castel Gandolfo. Der kleine Ort, 130 Meter hoch über dem See und 24 Kilometer südöstlich von Rom, ist übersichtlich: ein Rathaus, ein Brunnen, eine Straße mit Geschäften, ein paar Restaurants, am Hauptplatz die Pfarrkirche San Tommaso, erbaut vom großen Barockarchitekten Bernini.
Nicht weit davon der Palazzo, den wir nur von außen, von Italien aus, betrachten können. Denn die berühmte Sommerresidenz der Päpste, in die sich Benedikt XVI. nach seinem Amtsverzicht demnächst eine Zeitlang zurückziehen will, liegt hinter verschlossenen Toren auf vatikanischem Staatsgebiet. Der Park auf dem 55 Hektar großen Gelände, erfahren wir, warte mit einem eigenen Schwimmbad auf und werde zu zwei Dritteln landwirtschaftlich genutzt. Papst Johannes Paul II. habe hier vor allem Rotkohl anpflanzen lassen. „So etwas isst kein Italiener“, fügt die Reiseleiterin hinzu.
Die letzte Station für heute ist Nemi, ein malerischer Ort, an dessen Hängen Cäsar seinen Landsitz hatte und der dem unterhalb gelegenen Kratersee seinen Namen gibt. Im Vergleich zum Albaner See sei der Lago di Nemi zwar nur eine Pfütze, hören wir, aber an seinem Ufer gebe es ein bemerkenswertes Schiffsmuseum. Eins ohne Schiffe. Zu sehen sind jedoch die Modelle der beiden riesigen Schiffe, die Kaiser Caligula 37 bis 41 n. Chr. auf dem See erbauen ließ, die später versanken, 1929 bis 1932 von Mussolini geborgen und 1944 durch einen Brand zerstört wurden. Berühmt ist Nemi vor allem für seine Walderdbeeren, die hier fast jedes Geschäft und jedes Restaurant anbietet. Vom Ort aus sieht man unten am See die Gewächshäuser liegen, in denen die kleinen süßen Früchte heranwachsen. Dass sie wie die aus dem Walde schmecken, davon überzeugen sich jedes Jahr Tausende Touristen.
