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Stadt am Neckar Heilbronn: Wo man sich am „Leck mich am Arsch“ treffen kann

Heilbronn ist nicht gerade das naheliegendste Ziel für eine Städtereise. Eigentlich ziemlich schade - nicht nur wegen mancher schrägen Sehenswürdigkeit, die man erst auf den zweiten Blick findet.

Von Françoise Hauser, dpa Aktualisiert: 09.11.2022, 15:43
Das Rathaus auf dem Marktplatz wurde im frühen 15. Jahrhundert erbaut. Der Hingucker ist dessen Kunstuhr.
Das Rathaus auf dem Marktplatz wurde im frühen 15. Jahrhundert erbaut. Der Hingucker ist dessen Kunstuhr. Heilbronn Marketing Gmbh/Roland/dpa-tmn

Heilbronn - Mit etwas mehr als 125.000 Einwohnern darf sich Heilbronn immerhin Großstadt nennen. Von Touristen wahrgenommen wird die Stadt dennoch eher wenig - zu Unrecht.

Sie hat nicht nur eine spannende Geschichte, sondern auch einige teilweise bizarre Highlights zu bieten. Seien es eine seit Ewigkeiten falsch gehende Uhr, den Klerus in den Kakao ziehende Figuren an einer Kirche oder die in Stein gemeißelte Wut eines Amtsmitarbeiters.

Reich dank Blockade

Jahrhundertelang war Heilbronn eine wichtige Handelsstadt, die durch ein Privileg zu immensem Reichtum kam: 1333 erhielten die Bewohner von Kaiser Ludwig IV. das Verfügungsrecht über den Neckar.

Sie legten Mühlen und Wehre an, wodurch der Fluss die nächsten Jahrhunderte für Schiffe nicht passierbar war. Alle Güter, die per Schiff über den Neckar transportiert wurden, mussten fortan vor der Stadt abgeladen und dahinter wieder aufgeladen werden. Außerdem waren die Händler gezwungen, ihre Waren einige Tage im Rathaus zum Verkauf anzubieten. Wer dies umgehen wollte, musste sich freikaufen.

Kein Wunder, dass Heilbronn einst eine randvolle Stadtkasse hatte - und damit allerhand grandiose Bauten finanzierte.

Ziemlich schön und ziemlich falsch

Mit seinen Arkaden und der Freitreppe ist das im gotischen Stil erbaute Rathaus aus dem Jahr 1417 ein imposanter Bau. Die wirkliche Attraktion ist jedoch nicht das Gebäude selbst, sondern die Kunstuhr mit drei Ziffernblättern von Isaak Habrecht.

1579 bis 1580 wurde sie konstruiert und galt als wahres Wunderwerk. Bis heute ist die Uhr in Betrieb, und das obwohl sie schon mehr als 440 Jahre auf dem Buckel hat. Noch immer posaunen hier alle vier Stunden die Engel, stoßen die beiden goldenen Widder die Köpfe zusammen, kräht und flattert der mechanische Hahn.

Fast noch interessanter ist aber ein Aspekt, den man der Uhr nicht ohne Weiteres ansieht: Sie geht falsch - und das seit mehr als vier Jahrhunderten! Zwei Jahre nachdem sie gebaut worden war, ließ Papst Gregor XIII. dummerweise eine Kalenderreform durchführen, um Mondphasen und Kalender wieder in Einklang zu bringen.

Zehn Tage fielen dadurch weg, und der Sonnen- und Mondstand im Tierkreiszeichen der astronomischen Uhr am Heilbronner Rathaus ist der Zeit seither ungefähr eine Woche voraus.

Grandios und respektlos

Eine weitere versteckte Sensation liegt nur zwei Fußminuten vom Rathaus in der Fußgängerzone: Die Kilianskirche, deren älteste Teile auf das 13. Jahrhundert zurückgehen.

Die meisten Besucher schauen wegen des Altars von Hans Seyfer aus dem Jahr 1498 vorbei. Das filigrane Lindenholz-Kunstwerk ist unbedingt einen ausführlichen Blick wert, denn der Künstler machte sich die Mühe, jede Figur mit einem individuellen Gesicht zu versehen.

Mindestens genauso spannend sind die Turmverzierungen. Der Pfarrer mit gespaltener Zunge, Kleriker mit raubtierartigen Vorderbeinen und dem Hinterteil eines Skorpions. Ja, sogar ein Affe in Mönchskutte ist dabei. Und, quasi als Krönung, thront oben auf der Spitze kein Kreuz, sondern das „Männle“, ein steinerner Mann. Wie konnte das passieren?

Als der achteckige Turm 1508 bis 1529 zur Zeit der Bauernkriege gebaut wurde, brodelte es bereits in der Kirche. Die Zeit war reif für eine Änderung und der Baumeister Hans Schweiner wollte Gott und nicht der Kirche huldigen. Für den Klerus hatte er wenig übrig - und machte sich über ihn lustig.

Ein expliziter Treffpunkt

Sogar auf literarischen Spuren kann man in Heilbronn wandeln, zum Beispiel beim Spaziergang auf den Wartberg, den Hausberg der Stadt, dessen Aussicht schon Johann Wolfgang von Goethe begeisterte.

Ein beliebter Treffpunkt für die Wanderung ist der, nun ja, wenig literarische Meyle-Stein, der rechter Hand in eine Weinbergmauer der Wartbergsteige eingelassen wurde. „Leck mich am Arsch“ steht dort in allerschönster Schreibschrift in Stein gemeißelt. 1952 soll ihn ein Angestellter des Tiefbauamts hinterlassen haben, nachdem er vermeintlich von einem Winzer geprellt worden war.

Seither kann man sich in Heilbronn am „Leck mich am Arsch“ treffen - und tut es auch.

Heilbronn