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Zu schön um wahr zu sein? 500 Jahre Schweden: Zwischen Bullerbü und Kriminalität

Schweden bleibt für Viele ein Sehnsuchtsort. Das hat nicht zuletzt mit idyllischen Erzählungen von Astrid Lindgren und Popmusik von Abba zu tun. Gleichzeitig haben die Skandinavier ihre eigenen Probleme - und das seit geraumer Zeit nicht zu knapp.

Von Steffen Trumpf, dpa 05.06.2023, 11:17
Gamla Stan, die Altstadt von Stockholm Schweden ist und bleibt für viele Deutsche ein Sehnsuchtsort. Gleichzeitig haben die Skandinavier ihre eigenen Probleme.
Gamla Stan, die Altstadt von Stockholm Schweden ist und bleibt für viele Deutsche ein Sehnsuchtsort. Gleichzeitig haben die Skandinavier ihre eigenen Probleme. Steffen Trumpf/dpa/Archivbild

Stockholm - Hach, Schweden! Nur wenige Staaten der Erde haben ein solch positives Image wie das skandinavische Land im Norden der EU. Das liegt unter anderem an der Bullerbü-Idylle, mit der die große schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren einst auch unzählige Deutsche begeistert hat, an fröhlichen Pop-Ohrwürmern von Abba, an überdurchschnittlich schönen Menschen und irgendwie auch an Ikea.

„Schweden hat ein zu gutes Image!“, bemerkte Moderator Tommi Schmitt jüngst im Spotify-Podcast „Gemischtes Hack“, nachdem Schweden wieder einmal den Eurovision Song Contest gewonnen hatte. Schmitt war sich sicher: Wäre Schweden mit dem deutschen Song angetreten, dann wäre es niemals Letzter geworden. Anders als Deutschland also.

Schweden, beliebter als andere? Gerade unter Deutschen ist es ein absolutes Sehnsuchts- und Reiseland. In Stockholm hört man derzeit wieder überdurchschnittlich viel Deutsch, wenn Touristen durch die Altstadt Gamla Stan pilgern. „Keiner macht mehr Malle, alle fahr'n nach Schweden“, stellte Rapper Marteria schon im Song „Kids“ fest.

Ein Land, ein König, eine Epoche

Dieses Land wird nun in gewisser Weise 500 Jahre alt. Am Dienstag (6. Juni) ist es fünf Jahrhunderte her, dass Gustav Wasa im Jahr 1523 in Strängnäs zum König von Schweden gewählt wurde und Schweden eine neue Epoche einleitete, in der es aus der Kalmarer Union mit Dänemark und Norwegen ausschied und sich zum Nationalstaat entwickelte.

Eine große Rolle spielt das Jubiläum unter Schwedinnen und Schweden nicht. Historiker merken zudem an, dass das Land viel älter ist. Das schwedische Königshaus wirbt jedoch dafür, dass der Nationalfeiertag am 6. Juni diesmal - noch dazu im 50. Thronjahr von König Carl XVI. Gustaf (77) - größer gefeiert wird als sonst. Carl Gustaf und die aus Heidelberg stammende Königin Silvia (79) tun dies in Strängnäs und dann in Stockholm, wo sie auch bei der offiziellen Nationaltagsfeier im Freilichtmuseum Skansen dabei sind. Was für ein Land sie dann hochleben lassen werden? Ein ohne Frage sehr schönes - aber auch eines, das heute mit gleich mehreren Problemen zu kämpfen hat.

Außer Frage steht, dass Schweden mit seinen Wäldern und Seen ein Land voll natürlicher Schönheit ist. In dem Wohlfahrtsstaat sind viele Dinge in der Nachkriegszeit zudem sehr richtig gelaufen: Schweden ist wohlhabend, der Staat sichert ab, Frauen und Männer sind gleichgestellter als in den meisten anderen Ländern. Im aktuellen Weltglücksbericht liegt Schweden auf einem guten sechsten Platz.

Bizarres Bild

Und gleichzeitig ist Schweden heute alles andere als eine reine Friede-Freude-Zimtschnecken-Nation. In das Idyll haben sich längst gesellschaftliche Probleme gemischt, die sich nicht mal eben schnell mit dem beim Billy-Regal mitgelieferten Inbusschlüssel lösen lassen.

Vor allem der Kampf gegen kriminelle Gangs treibt das als so friedlich geltende Land seit Jahren um. „Wenn Sie das mit dem Bild vergleichen, das die Leute von Schweden haben, dann ist das natürlich sehr bizarr, dass wir all das hier haben. So sehen es die Schweden übrigens auch selbst“, sagt die Historikerin Elisabeth Elgán von der Universität von Stockholm.

Es geht in erster Linie um die Markthoheit im Drogengeschäft, immer wieder sind junge Einwanderer involviert. „Es wird in Schweden im Moment viel über die Probleme mit den vielen nach Schweden kommenden Einwanderern gesprochen“, sagt Elgán. „Aber ich würde nicht sagen, dass die Bandengewalt und die Schießereien eine Konsequenz davon sind.“ Es handle sich vielmehr um ein Phänomen des globalisierten Drogengeschäfts, in dem es um das schnelle Geld gehe.

„Paradigmenwechsel“

2022 gab es fast 400 Schusswaffenvorfälle im Land, also im Durchschnitt mehr als einen pro Tag. 62 Menschen wurden dabei getötet, so viele wie noch nie in einem Jahr. Kein anderes EU-Land habe in der Hinsicht auch nur annähernd ein solch starkes Problem wie Schweden, bilanzierte Ministerpräsident Ulf Kristersson. Seine konservative Regierung hat den Gangs den Kampf angesagt - dennoch sind 2023 bereits bis Ende Mai 18 weitere Menschen durch Schüsse getötet worden.

Apropos Kristersson: Er steht für ein Novum in der schwedischen Politik, das viele im Land kritisch sehen. Seine seit Herbst 2022 amtierende Regierung arbeitet eng mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten zusammen, die bei der Parlamentswahl im September mit über 20 Prozent der Wählerstimmen erstmals zweitstärkste Kraft hinter den abgelösten Sozialdemokraten wurden.

Seitdem geht ein Rechtsruck durchs Land, Schwedendemokraten-Chef Jimmie Åkesson spricht gerne von „Paradigmenwechsel“. Ausgerechnet im Land von Klimaaktivistin Greta Thunberg wurden seitdem die Mittel für den Umweltschutz beschnitten. Mehr Geld aus dem Staatshaushalt fließt dafür in Subventionen für Verbrenner und den Straßenverkehr, wie die größte schwedische Umweltorganisation Naturskyddsföreningen moniert. „Die Politik der Regierung und der Schwedendemokraten führt zu einem starken Anstieg der Emissionen“, kritisierte die Vereinigung.

„Wie steht es um den Rest?“

Åkesson säte zuletzt außerdem offen Zweifel an der schwedischen EU-Mitgliedschaft. Diese Kampagne könnte zu einer problematischen Angelegenheit werden, warnt Elgán. Dabei bemüht sich Schweden derzeit eigentlich darum, in ein anderes internationales Bündnis zu gelangen, nämlich in die Nato. Nachbar Finnland hat den Sprung in das westliche Militärbündnis längst geschafft, Schweden dagegen hängt weiter an der Blockade der Türkei fest und wartet auch auf die Zustimmung Ungarns.

All das kratzt auch am schwedischen Selbstverständnis. „Bald funktioniert nur noch Loreen in Schweden“, schrieb der politische Chefredakteur der Zeitung „Aftonbladet“, Anders Lindberg, nach dem erneuten ESC-Sieg der Musikerin. „Singen können wir also. Und Musik in die ganze Welt exportieren“, stellte er fest. „Aber wie steht es eigentlich um den Rest unseres nationalen Selbstbildes?“