Regionale Küche: Palmen in Ostfriesland
Schatteburg/dpa. - Mit Bäumen ist Ostfriesland wenig gesegnet, und Palmen fallen dort erst recht in die Exoten-Rubrik. Im kleinen Ort Schatteburg jedoch liegt, verborgen hinter Hecken und Hofresten, ein kleiner «Palmengarten».
Darin wächst ein Dutzend selten gewordener Grünkohlsorten, unter anderem die «Ostfriesische Palme». Für Landwirt Reinhard Ehrentraut ist Grünkohl eben nicht gleich Grünkohl: Gut 25 alte Sorten des Wintergemüses hat er bei einer Inventur Ostfrieslands in den vergangenen Jahren aufgespürt. Der Bio-Bauer sammelt auch andere Nutzpflanzen aus früherer Zeit und züchtet sie für begeisterte Hobbygärtner.
Für eine Bestandsaufnahme hat Ehrentraut kleine Dörfer und vereinzelte Höfe abgegrast und dabei immer wieder neue Entdeckungen gemacht: «In kaum einer Region Deutschlands gibt es so viele unterschiedliche Gemüsesorten wie hier in Ostfriesland.» Am Ende standen 200 selten gewordene Namen auf der Liste - von der Ackerbohne bis zur Winterheckenzwiebel.
Die Vielfalt im Nordwesten hat ihren Grund in der traditionellen Selbstversorger-Mentalität der Ostfriesen. Über Jahrhunderte lieferte das kleine Beet hinter dem Haus auch in schlechten Zeiten wertvollen Grundstoff für die tägliche Mahlzeit. Die alten Gewohnheiten hätten in Ostfriesland vielleicht länger überdauert als in anderen Regionen, glaubt Ehrentraut. Doch das Erbe dieser Bio-Kultur ist in Gefahr: wenn die Großeltern sterben, die Gärten verfallen oder internationale Konzerne Patente anmelden. Auch durch Höfesterben und Landflucht als Folge der modernen Arbeitswelt geht wertvolles altes Saatgut verloren. Viele noch vor 20 Jahren übliche Sorten werden nicht mehr angebaut und sterben aus.
Biobauer Ehrentraut und der Verein «Dreschflegel» setzen sich daher bundesweit für die Erhaltung alter Nutzpflanzen ein. Das Thema geriet vor einigen Jahren durch den Rechtsstreit um die Kartoffelsorte «Linda» in die Schlagzeilen: Als ein Pflanzenzuchtunternehmen die beliebte «Linda» vom Markt nehmen wollte, hagelte es Proteste von Verbrauchern und Landwirten.
«Die Gesellschaft ist sensibler geworden für gesunde Ernährung», ist sich Ehrentraut nach diversen Lebensmittelskandalen sicher. «Vor zehn Jahren kam die Bio-Welle, inzwischen sind wir auf einem neuen Niveau.» So entdeckten junge Familien mit Kindern die Lust am eigenen Anbau, Schulen legten spezielle Lehrgärten an. «Ruhe und Erholung finden und beim Anbauen den eigenen Geschmack entdecken - das bietet gestressten Menschen eine ganz neue Lebensqualität.» Auch regionale Identität kommt hinzu - das ostfriesische Nationalgericht «Updröged Bohnen» macht etwa schon beim Anschauen neugierig: Dabei werden die Hülsenfrüchte auf Fäden gezogen und zum Trocknen aufgehängt.
Vielfalt statt Einheitsgeschmack hängt beim Grünkohl von der Sorte, aber auch vom Rezept ab. Ehrentraut kennt wild-kohlige bis mild-süßliche oder Brokkoli-artige Varianten, mittlere bis mannshohe Pflanzen, feinkrause bis glatte Blattstrukturen. Und zur klassischen Variante mit Wurst oder Kasseler gibt es längst vegetarische Alternativen: «Grünkohl-Pizza ist interessant, etwa mit Schalotten oder als Salat mit Walnüssen.»
Auch muss nicht das ganze Haus nach Grünkohl riechen: «Nicht eine Stunde kochen, sondern 15 bis 20 Minuten dünsten, dann sind die Blätter weich.» Gegen bitteren Geschmack hilft auch Frost, sagt Kohl-Verkäuferin Henriette Freerk vom Biolandhof in Südarle: «Alternativ kann der Kohl sonst in die Tiefkühltruhe. Aber es gibt inzwischen auch milde Sorten.»
Verein «Dreschflegel»: www.dreschflegel-saatgut.de