Raritäten Raritäten: Schätze unter schwarzem Schimmel

Eltville/dpa. - Licht wäre auch wenigbekömmlich für das, was in ihnen liegt. Im Rheingauer KlosterEberbach lagert Deutschlands größter Weinbaubetrieb Flaschen aus drei Jahrhunderten - darunter Raritäten, die bei Versteigerungen vier-,manchmal sogar fünfstellige Summen erzielen.
«Unsere Schatzkammer», sagt Dieter Greiner, Chef der HessischenStaatsweingüter, und während seine Worte nachhallen, bilden sichWölkchen vor seinem Mund. 8 Grad im Winter, 11 bis 12 im Sommer -wärmer wird es nicht in dem Klosterkeller. 90 ProzentLuftfeuchtigkeit machen die Kühle zur Kälte, die überall hinkriecht.Auch ohne Frost werden Fußsohlen zu Eis.
Wo es für den Menschen so ungemütlich ist, kann Wein entspanntruhen. Dicke Steinmauern und das dahinter liegende Erdreich schützenihn vor raschen Temperaturwechseln. Denn die würden ihm zusetzen,sagt Greiner: «Weil das die Luft aus dem Wein 'rein- und'rauspresst.» Luft aber ist dem Wein ein noch ärgerer Feind alsLicht, denn Sauerstoff reagiert mit den Farb- und Aromastoffen. DieFrische verflüchtigt sich und weicht dem, was Weinexperten«oxidativen Geschmack» nennen - ein gelehrterer Ausdruck für«schmeckt alt».
Bei guten Bedingungen kann Wein jedoch uralt werden, und dabeisogar noch gewinnen, weil viele Geschmacksnuancen sich erst langsamentwickeln. Der Doyen des Eberbacher Kellers wurde geerntet, alsNapoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht stand: Er stammt aus dem Jahr1806. Die ältesten Stammbewohner sind 1857er Auslesen aus Rauenthalund Rüdesheim. Sie haben den Keller noch nie verlassen.
Solche Raritäten lagern in den oberen Regalen dicht unter derDecke. Identifizierbar sind sie nur noch anhand der Nummernplakettenan den Fächern: Die Etiketten sind längst vermodert, um die Flaschenhat sich das «schwarze Kellertuch» gelegt - ein dicker Schimmelbelag,der in Weinkellern aber ein gern gesehener Gast ist. Denn«Cladosporium cellare» reguliert die Luftfeuchtigkeit, ohne den - fürandere Schimmelarten typischen - muffigen Geruch zu verbreiten. AlsNahrung reicht ihm ein bisschen Alkoholdunst. Das schwarze Kellertuchist ein Zeichen für optimale Lagerverhältnisse. In Eberbach hängt esin dicken Lappen vom Gewölbe. Ausgebreitet hat es sich, alsder Keller noch zum Vergären genutzt wurde und die Luft mit Alkoholgeschwängert war; doch seit dort nur noch Flaschen lagern, nagt essozusagen am Hungertuch.
Persönlich hat sich Weingutschef Greiner bis ins Jahr 1882zurückprobiert. Begeisterung huscht über sein Gesicht, als er denGeschmack des über 100-jährigen Assmannshäuser Spätburgunders zubeschreiben sucht: «Das war gewaltig.» Der Weingutschef ist sicher,dass auch der 1857er «immer noch top» sei. Schließlich überlässt mandie Keller-Schätze nicht einfach sich selbst. Auch in einem Wein-Altersheim gibt es Pfleger. In Eberbach ist ein Winzermeisterkomplett damit ausgelastet, die Bestände zu kontrollieren.
Vor allem prüft er den Zustand der Korken: Weisen äußere Nässe undein sinkender Füllstand darauf hin, dass der Verschluss undicht istund Flascheninneres verdunstet, bekommen die Flaschen neue Korken. Jenach Jahrgang ist das alle 30 bis 40 Jahre fällig. Die Flasche wirdkomplett entleert, der Wein läuft durch einen Membranfilter in einefrisch gespülte neue Flasche, bekommt mit der Pipette noch einTröpfchen Schwefellösung gegen die Essigsäurebakterien und dann einenneuen Korken. Eine Flasche wird geopfert, um den Pegelstand ihrerJahrgangs- und Lagengenossen aufzufüllen. Bei Einzelflaschen fülltman mit Glasperlen nach; der Wein soll möglichst hoch im Flaschenhalsstehen, um die Kontaktfläche zum Luftsauerstoff klein zu halten.
Meist bleibt bei solchen Umkork-Aktionen eine angebrochene Flascheübrig. Daraus stellt Greiner dann Weinproben zusammen, die allerdingsnicht immer der pure Genuss sein müssen. Der Weingutschef verziehtdas Gesicht, als er vom Umkorken eines 1955ers erzählt, der nach allden Jahren nichts von seiner berüchtigten Säure verloren hatte: «Daswar - anstrengend. Nicht alles ist ein Spitzenjahrgang, nur weil esin der Schatzkammer lagert.»
Grundsätzlich ist sie aber für die besseren Qualitäten reserviert.Erstmals erwähnt wird sie als «Cabinet» im Jahr 1730. Damals blickteKloster Eberbach bereits auf rund 600 Jahre Weinbautradition zurück.Zisterzienser aus Burgund hatten sich 1136 im Rheingauniedergelassen. Auf den sanft zum Rhein abfallenden Südhängen fandensie ähnlich gute Bedingungen wie in ihrer Heimat. Um die beste ihrerLagen, den Steinberg, zogen sie sogar eine schützende Steinmauer, wieman sie sonst nur in Burgund kennt. Bald war Kloster Eberbach einführender Wirtschaftsbetrieb mit weit gespannten Handelsbeziehungenund eigenen Schiffen, die den Wein rheinabwärts zumHauptumschlagplatz Köln transportierten.
Irgendwann begannen die Mönche, einen Teil ihrer besten Tropfenfürs «Cabinet» zurück zu halten. Es diente als Schwankungsreserve fürschlechte oder mäßige Jahre, in denen «Cabinet»-Weine bis zumDreifachen dessen erzielten, was die übrigen Klosterweine erbrachten.
Das ist im Grunde bis heute so geblieben. Wie schon seineVorgänger, lagert Greiner jedes Jahr ungefähr so viel neu ein, wie erentnimmt. Selbst in schlechten Jahren haben Greiners Vorgängerversucht, wenigstens eine Mindestmenge lagerungswürdigen Spitzenweinszu erzeugen - auch wenn sie dafür die Beeren einzeln im Büro verlesenmussten, wie es 1965 geschah. Der Jahrgang gilt als der miserabelsteder deutschen Weingeschichte; dennoch wanderte auch damals eineTrockenbeerenauslese der Staatsweingüter in die Schatzkammer: «Ichbin überzeugt, dass das die einzige 1965er Riesling-Trockenbeerenauslese in Deutschland ist», sagt Greiner.
Seit 1892 gibt es nur zwei oder drei fehlende Jahrgänge. Und derWeingutschef ist immer auf der Suche, um Lücken zu schließen.Schließlich existieren bei Sammlern noch Eberbacher Flaschen vomAnfang des 18. Jahrhunderts.
Schon Greiners Vorgänger haben stets ein Geheimnis daraus gemacht,wie viel Flaschen tatsächlich in der Schatzkammer schlummern. Derseit sechs Jahren amtierende Geschäftsführer hält es nicht anders:«Ich verstehe es zwar nicht, aber man muss manchmal auch Traditionenpflegen, die man nicht versteht.» Um wenigstens einen Hinweis zugeben, hebt er den Arm in Brusthöhe: «So hoch stand hier das Wasserim Sommer. Danach mussten wir 30 000 Flaschen spülen.» Bei heftigenRegenfällen hatte sich im Frühjahr 2005 ein unter dem Klosterhindurchführender Bachkanal verstopft. Wasser und Schlamm ergossensich ins Kloster.
Allein die Reinigung der Schatzkammer kostete fast hunderttausendEuro. Doch es hätte schlimmer kommen können: Schließlich blieben dieFlaschen in ihren Regalen. Hätte das Wasser sie durcheinandergewirbelt, hätte niemand mehr sagen können, was drin ist.
Eine touristische Attraktion ist die Schatzkammer nicht. Nur fünfoder sechs Mal pro Jahr führt Greiner Besucher in den Keller,manchmal kommt auch Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) alsAufsichtsratschef des Weinguts mit besonderen Gästen. Der Pop-SängerChris de Burgh und Englands Thronfolger Prinz Charles waren schon da,aber es gibt kein Gästebuch, das so etwas vermerkt. Lediglich die Zu-und Abgänge an Flaschen werden penibel notiert.
«In der Summe eine lohnende Sache», urteilt der Geschäftsführerüber seine Schatzkammer. Braucht er eine Attraktion für dieregelmäßigen Weinversteigerungen im Kloster Eberbach, muss er nur inden Keller gehen. 1986 schaffte eine Flasche aus der Schatzkammersogar einen Weltrekord: Die 1893er Neroberger TrockenbeerenausleseCabinet ging für 35 000 Mark (rund 17 600 Euro) weg. Und in diesemJahr ersteigerte ein Weinliebhaber eine Flasche Steinberger RieslingTrockenbeerenauslese aus dem Jahr 1920 für immerhin 10 000 Euro plusMehrwertsteuer.
Aber solche Spektakel sind für Greiner nicht der einzige Sinn desAufbewahrens: Auf kaum eine andere Weise lasse sich besserdemonstrieren, dass auch Weißwein hohe Lagerfähigkeit - immerhin einwesentliches Qualitätskriterium - aufweisen kann.
Voraussetzung sind laut Greiner vollreife Trauben, die um die 100Grad Oechsle auf die Most-Waage bringen (was in der Regel derQualitätsstufe «Auslese» entspricht). Dann bekommt der Weinentsprechend viel Alkohol, Zucker und Säure - allesamt zuverlässigeKonservierungsstoffe, die Bakterien im Zaum halten und Oxidationverhindern. Die Gärungs-Hefe steuert weitere, der Alterungvorbeugende Substanzen bei. Eichenfässer, in denen manche Weinereifen, kräftigen sein Immunsystem mit Gerbstoffen.
Berechnen lässt sich das alles aber nicht, sagt Greiner: «ZumGlück gibt's keine Formel.» Lieber verlässt sich der Weingutschef aufZunge und Gaumen. Welches Alter ein Wein erreichen könne, zeige sich,wenn man ihn nach zwei bis drei Jahren probiere: «Es kommt auf dasGeschmacksbild an - Aroma, Struktur, Abgang. Aber genau beschreibenkann ich's nicht.»