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Pubertät Pubertät: Wenn aus der niedlichen Tochter ein Grufti wird

Von Bettina Levecke 16.08.2006, 13:21
Lederhose, Nietengürtel, Punk-Frisur: Wenn Sohn oder Tochter zum Grufti mutieren, sollten Eltern gelassen bleiben und Verständnis zeigen. (Foto: dpa)
Lederhose, Nietengürtel, Punk-Frisur: Wenn Sohn oder Tochter zum Grufti mutieren, sollten Eltern gelassen bleiben und Verständnis zeigen. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Schmallenberg/dpa. - Die Pubertät hält für Eltern vieleÜberraschungen bereit. Plötzlich kleidet sich die Tochter von Kopf bis Fuß in Schwarz. Aus ihrem Zimmer dringen sakrale Klängemittelalterlicher Musik, auf dem Boden verstreute Buchstaben undZahlen sind die Überbleibsel vom Gläserrücken mit denGrufti-Freunden. Der Sohn ist Punk und zeigt den Eltern jeden Tagaufs Neue seine Ablehnung der ganzen blöden Spießerwelt. EinIrokesenhaarschnitt, Nietenarmbänder und Springerstiefel runden denneuen Auftritt ab.

Nicht nur die äußerlichen Veränderungen ihrer Kinder machen Elternschwer zu schaffen: Rebellion pur steht nun auf der Tagesordnung.Diskussionen und Streit über Alltagsfragen sind kaum zu vermeiden,ehemals feste Grenzen werden ständig überschritten. «Eltern müssen indieser Phase viel aushalten», sagt Klaus Fischer, Sozialpädagoge inSchmallenberg (Nordrhein-Westfalen). Die Abgrenzung von derErwachsenenwelt und den Eltern ist jedoch ein ganz normaler undwichtiger Entwicklungsschritt: «Anders zu sein und sich gegenüber dersozialen Umwelt auszutesten, gehört zum Weg in die Eigenständigkeit.»

Die Jugendlichen strampeln sich frei aus der engen Beziehung zuden Eltern und wollen die Welt auf ihre eigene Art und Weiseentdecken. «In der Pubertät findet die körperliche, emotionale undverstandesmäßige Verselbstständigung statt», erklärt derPubertätsexperte und Autor Peer Wüschner aus Bad Reichenhall.

Ob Grufti, Punk, Mittelalter- oder Heavymetal-Fan, besonders dieextremen Formen der Veränderungen ermöglichen Jugendlichen einegrößtmögliche Abgrenzung. Um sich aus dem elterlichen Kokon zubefreien und erwachsen zu werden, suchen sie fortlaufend Reibung undAuseinandersetzung: «Erst diese schwer nachzuvollziehende, nervendeund manchmal auch verletzende Überprüfung des Rollenvorbildes Elternermöglicht die Bildung eines eigenen Standpunkts», erklärt Wüschner.

Eltern würden auf diese anstrengende Entwicklungsphase gerneverzichten, doch sie legt einen wichtigen Grundstein auf dem Weg indie Welt der Erwachsenen: «Pubertierende, die diese Sturm- undDrangphase nicht durchmachen dürfen, können sich nicht richtigentwickeln», sagt Wüschner.

Die extremen Veränderungen des Kindes bereiten vielen ElternSorgen, und der Familienfrieden wird auf eine harte Probe gestellt.Doch anstatt sich täglich über den pubertierenden Nachwuchsaufzuregen, sollten Eltern gelassen bleiben, empfiehlt diePsychologin Helga Gürtler aus Berlin. «Verständnis ist besonderswichtig.» Strenge Verbote und schlaue Vorträge führten hingegen zunichts.

Das tägliche Treffen mit der Clique, der Wochenendausflug aufsRockfestival, der Wunsch nach einem Piercing oder Tattoo: Elternsollten sich über die Interessen und Aktivitäten des Kindesinformieren und den Dialog suchen, rät Gürtler: «Reagieren Sie nichtgleich mit Angst und Widerstand, sondern hören Sie sich die Motiveihres Kindes an.» Denn gemeinsame Gespräche über Gedanken und Wünschestärken die familiäre Beziehung.

«Extreme Abgrenzung ist auch immer ein Zeichen von starkerUnsicherheit», sagt Fischer. «Wenn Eltern ihr Kind so annehmen, wiees ist, bekommt es genau die Rückendeckung, die es so stark sucht.»Geschmacksfragen über das neue Äußere des Kindes dürfen mit demnötigen Respekt diskutiert werden, radikale Verbote hingegen bewirkenoft das Gegenteil: «Wenn die Eltern sich weigern ihr Kind aufgrundder extremen Kleidung mitzunehmen, machen sie alles nur nochschlimmer», warnt Gürtler.

Wichtig ist, dass Eltern die Meinung des Kindes ernst nehmen. Wennder Sohn den Vater als Kapitalisten einstuft und gesellschaftlicheAnarchie fordert, gilt es, ruhig zu bleiben: «Eltern sollten dieeigene Position sachlich vertreten, aber auch offen für dieKritikpunkte sein: Oft ist da viel Wahres dran», sagt Fischer. Auchwenn manches böse Wort auf die Eltern nieder prasselt: «Dieablehnende Haltung der Kinder gegenüber den Eltern ist nur eineDurchgangsphase», sagt Wüschner.

Ob okkulte Praktiken, nächtliche Besuche auf dem Friedhof, dieMutprobe mit der Clique: «Solange der Bezug zur Realität bestehenbleibt, ist das alles nicht schlimm», sagt Fischer. Gefährlich wirddie pubertäre Abgrenzung, wenn grundlegende Wesensveränderungenstattfinden, erklärt Gürtler: «Jugendliche, die nur noch im Zimmerhocken, Freunde und Schule vernachlässigen oder kriminell auffälligwerden, brauchen Hilfe.» Eltern sollten sich dann nicht scheuen,professionelle Unterstützung bei Beratungsstellen zu suchen.