Problemzucht Problemzucht: Schäfers Hund
Halle (Saale)/MZ. - Der Deutsche Schäferhund scheint auf den Hund gekommen. Dass es nicht gut bestellt ist um dieses urdeutsche Kulturgut, belegt jedenfalls die Welpenstatistik des Verbandes für das Deutsche Hundewesen (VDH): Wurden bei der Dachorganisation deutscher Rassehundvereine 1998 noch 27 834 Welpen eingetragen, waren es im vergangenen Jahr nur noch gut halb so viele mit 14 501 Tieren.
Importverbot für Australien
Auch wenn im deutschen Fernsehen ein Deutscher Schäferhund als Kommissar Rex auf Verbrecher- oder auch nur Stullenjagd geht, im wirklichen Leben geben Diensthundeführer seinem belgischen Bruder Malinois längst den Vorzug. Der gilt als echt harter Hund. Triebstärker und gesünder sei der Belgier, rühmen ihn die Beamten von Polizeihundestaffeln zwischen Passau und Flensburg. Dabei war der Deutsche Schäferhund jahrzehntelang unangefochten gleichsam der Porsche unter den Gebrauchshunden und ein weltweiter Exportschlager dazu. Nur die Australier wollten lange Zeit nichts von dem Wundertier aus Deutschland wissen: Wegen seines alten Namens "Elsässer Wolfshund" befürchteten sie, er könne ihren Schafen gefährlich werden oder sich mit den australischen Wildhunden, den Dingos, vermischen. Ein 1929 verhängtes Importverbot hatte immerhin bis 1974 Bestand.
Missbrauchter Vierbeiner
Die Fähigkeiten des Deutschen Schäferhundes als instinktsicherer und treuer Beschützer und Berufsschnüffler machten ihn andernorts zum unentbehrlichen Partner nicht nur von Polizei und Zoll. Auch viele Armeen bedienten sich seiner vielfältigen Talente und machten so aus dem Gebrauchshund einen missbrauchten Hund. Allein im ersten Weltkrieg wurden 30 000 Schäferhunde an die deutsche Front geschickt. Im Zweiten Weltkrieg waren es weltweit sogar 200 000. Dazu mussten ungezählte Deutsche Schäferhunde ihre bedingungslose Treue im Einsatz als Minensuchhunde mit dem Leben bezahlen, andere verstärkten das zweibeinige Wachpersonal in den Konzentrationslagern der Nazis. Doch selbst dass Adolf Hitler Haus und womöglich Bett mit einem Deutschen Schäferhund namens Blondi teilte, hat dem Ansehen der Rasse nicht dauerhaft geschadet. Und auch die Tiere, die an der innerdeutschen Grenze ihren Dienst versahen, darauf gedrillt, Republikflüchtlinge zu stoppen, galten als ganz arme Hunde. Nach dem Mauerfall wurden sie zum Fall fürs Tierheim.
Die leidige Kampfhunddebatte ist am Deutschen Schäferhund spurlos vorüber gegangen. Dank seiner großen Lobby in Gestalt des mehr als 70 000 Mitglieder zählenden Schäferhundvereins, kurz SV genannt, ist er jedenfalls anders als Pitbull, Stafford und Co. in keinem Landeshundegesetz ausdrücklich als gefährlich gelistet. Das ist insofern bemerkenswert, als er und die unter seiner Mitwirkung entstandenen Mischlinge die Statistiken über Beißunfälle anführen. Dieser Umstand ist allerdings nicht seiner großen Gefährlichkeit, sondern seiner vergleichsweise (immer noch) großen Verbreitung geschuldet. Nein, am Kurseinbruch der Rasse haben ihre Züchter schon selbst tatkräftig mitgewirkt.
Der ursprünglich so kernige und gesunde Hund - in seinem äußeren Erscheinungsbild gleichsam die domestizierte Form des wilden Wolfes - hat mit allerlei genetischen und damit angezüchteten Defiziten zu kämpfen. So stiegen die Fälle von Hüftgelenksdysplasie im selben Maße an wie das Tier hinten "tiefer gelegt" wurde. Inzwischen haben sich die Züchter von diesem fragwürdigen Schönheitsideal verabschiedet, die Folgen sind trotzdem bis heute auf Röntgenbildern zu besichtigen.
Auch das Ausbildungswesen auf vielen Schäferhundplätzen mit Einzelboxen, Kasernenhofton, gepolsterten Figuranten und rigiden Abrichtungsmethoden ist in den Hochzeiten selbst ernannter Hundeversteher und telegener Hunde-Nannys so out wie der Rohrstock in der Volksschule. Ein Hund, der lernt zuzubeißen und selbst unter schmerzhaften Schlägen nicht loszulassen, erscheint nicht nur blöd, er entspricht heutzutage einfach nicht mehr dem Ideal eines vierbeinigen Freizeitpartners.
Wer sich einen Hund zulegt, der will keinen wehrhaften Beschützer, sondern einen hochsozialen Mitbewohner. Auf der Suche nach einem Vierbeiner, der mit Kindern, Katzen und am besten auch noch mit Kaninchen kompatibel ist, landet er dann beim Retriever, dem vermeintlich idealen Familienhund. Jedenfalls steigen die "Zulassungszahlen" beim VDH für diese und noch ein paar andere Modehunderassen kontinuierlich, wenn auch verglichen mit dem Deutschen Schäferhund in absoluten Zahlen auf bescheidenem Level.
Übrigens führt das vergleichsweise geringe Angebot an Welpen aus kontrollierter und verantwortungsvoller Zucht und ihr vermeintlich hoher Preis dazu, dass auch allerlei schlecht sozialisierte und kranke Golden oder Labrador Retriever von gewinn- aber nicht hundeinteressierten Vermehrern ihre Käufer finden - in der Folge eine sichere Einnahmequelle für Tierärzte und Hundeschulen. Dabei ist der Kaufpreis eines Hundes, selbst wenn er vierstellig sein sollte, noch der geringste Kostenfaktor in einem durchschnittlich zehn Jahre währenden Hundeleben.
Würden sich Hundeliebhaber vor dem Kauf ähnlich gut informieren wie sie es etwa bei der Anschaffung eines neuen Autos tun, sie müssten auch den Deutschen Schäferhund in die engere Wahl ziehen. Denn auch wenn die Polizei mit dem Malinois jetzt auf ein "schickeres" Modell umsteigt, ist der Deutsche Schäferhund trotz allem dank seiner unschlagbar breiten Zuchtbasis (beziehungsweise Stückzahl) ein ausgereiftes Serienprodukt, ein alltagstauglicher Allrounder, arbeitsfreudig aber nicht arbeitswütig wie der neue Favorit. Rin Tin Tins Nachfahren würden jedenfalls wie ehedem für ihre Menschen durchs Feuer gehen.
