Pflegefamilien gesucht Pflegefamilien gesucht: Glück mit Hindernissen

Familie gilt vielen als wichtigster Wert überhaupt. Wer im eigenen Leben zufrieden ist, möchte etwas von seinem Glück weitergeben - vielleicht an ein Pflegekind. Die schwierige Aufgabe lässt sich durchaus meistern, wenn man sich von vornherein auf Probleme und Krisen einstellt. Pflegefamilien werden auch in Sachsen-Anhalt dringend gesucht.
Pflegeeltern sollten Freude an Kindern haben, geduldig und einfühlsam sein und ausreichend Zeit für ein Miteinander haben. Gesicherte finanzielle Verhältnisse und ausreichend Wohnraum werden ebenfalls vorausgesetzt.
Leicht ist die Aufgabe meist nicht. Elisabeth Helming, Expertin für Familienpflege beim Deutschen Jugendinstitut in München, erklärt: „Etwa 30 Prozent der Pflegekinder sind verhaltensauffällig. Sie und ihre Betreuungspersonen benötigen professionelle Hilfe.“ Aggressivität, Aufmerksamkeitsstörungen und gestörtes Sozialverhalten können selbst hochmotivierte Pflegeeltern an ihre Grenzen bringen. „Auch deshalb werden 42 Prozent der Pflegeverhältnisse abgebrochen. Zwei Drittel der Pflegekinder werden später stationär in Heimen aufgenommen“, erklärt die Expertin für Familienpflege. Dass Pflegekinder adoptiert werden, ist eher die Ausnahme.
Vor der Vermittlung steht ein sogenanntes Eignungsfeststellungsverfahren.
Thomas Bärthlein, der beim Rummelsberger Pflegekinderdienst Herkunftsfamilien, Pflegeeltern und Kinder betreut, erklärt: „Zurecht geben die Jugendämter strenge Auswahlkriterien vor. Wir wählen potenzielle Pflegeeltern sorgfältig aus und entscheiden uns auch einmal gegen Interessenten.“
Altersbeschränkungen werden meist flexibel gehandhabt, sodass auch Großmütter die Pflege ihrer Enkel übernehmen können. In der Regel aber sollen Pflegeeltern mit Blick auf ihr Alter zum Kind passen. Ganz wichtig: Sowohl das Kind wie die angehenden Pflegeeltern dürfen einen Vermittlungsvorschlag ablehnen, wenn die Chemie nicht stimmt.
Irmela Wiemann, Psychotherapeutin und Pflegeelternberaterin, hat mehrere Bücher über Pflege- und Adoptivkinder verfasst. Die Psychologin rät Familien, die Pflegekinder aufnehmen wollen, sich zwei Dinge klarzumachen: „Am wichtigsten ist, ob sie bereit sind, die Herkunftsfamilie zu akzeptieren.“ Nur selten kommt diese Familie aus einer heilen Welt.
Der zweite zentrale Aspekt, den angehende Pflegeeltern berücksichtigen sollten, ist laut Wiemann, dass Pflegekinder oft seelisch verletzt sind. Dies kann den Alltag erschweren. „Die Kinder haben Verunsicherung und Beziehungsabbrüche erlebt, tolerieren Nähe oft nur schwer.“
Allen Problemen zum Trotz leisten Pflegefamilien viel. Experten sind sich einig, dass Pflegekinder einen großen Vorteil gegenüber Heimkindern haben - sie sind trotz schlechter Erfahrungen bindungsfähiger. Und das gilt als einer der wichtigsten Faktoren für ein gelingendes Leben.
2225 Pflegekinder im Land
Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl der Pflegekinder in Sachsen-Anhalt mit 2 225 einen Spitzenwert, wie aus Zahlen des Landesjugendamts in Halle hervorgeht. Fünf Jahre zuvor waren es nicht einmal 2000. Es gibt zwar auch mehr Pflegefamilien - 2012 waren es 1 340 und damit 70 mehr als fünf Jahre zuvor. Allerdings suchen die Kommunen händeringend nach Eltern, die sich diese Aufgabe zutrauen. „Wir sagen den Eltern ganz klar, was sie erwartet und dass es nicht leicht ist“, betont Birgit-Patricia Eilenberger vom Fachzentrum für Pflegekinderwesen Sachsen-Anhalt. Die Pflegeelternschule, die ebenfalls im Fachzentrum in Bernburg angesiedelt ist, bereite die Männer und Frauen auf Themen wie Alkoholmissbrauch in der Schwangerschaft und die Folgen, Beziehungsthemen und Traumata vor. „Die denken, wir wollen sie vergraulen“, sagt Eilenberger. Jeder soll aber von den Problemen wissen, die auftreten können.
Traumatische Erfahrungen
Bevor die künftigen Pflegeeltern aber geschult werden können, müssen Kommunen sie finden. Und das ist nicht einfach. „Im Vergleich zu Vorjahren ist es schwieriger geworden, Kinder in geeignete Pflegestellen zu vermitteln“, heißt es etwa aus dem Jugendamt in Magdeburg. Die schwierigen Familiensysteme, aus denen die Kinder kämen, würden immer komplexer. Die Folge seien soziale Verhaltensauffälligkeiten, vielfältige Beeinträchtigungen und Behinderungen. Beate Kletschka von der Zentralen Adoptionsstelle im Landesjugendamt sagt: „Fast alle Kinder haben traumatische Erfahrungen gemacht, sie wurden von ihren eigenen Eltern getrennt.“ Man müsse dem auch gewachsen sein. Es würden vor allem Pflegefamilien gebraucht für junge Kinder. Die Kinder seien dort in der Regel besser aufgehoben als im Heim. Erziehungsprofis müssten Pflegeeltern nicht sein, sagt Eilenberger. „Ruhe und Ordnung sind für die Kinder das Wichtigste, die Freiheit von Angst, ein Nest und Sicherheit.“ Die Grundbedürfnisse sollen erfüllt werden, erst dann kommt die Erziehung.