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Namibia Namibia: Zurück in die Steinzeit

Von ekkehart eichler 15.03.2013, 18:24
Die San sind fabelhafte Jäger und Bogenschützen. Das zeigen sie gern ihren Gästen.
Die San sind fabelhafte Jäger und Bogenschützen. Das zeigen sie gern ihren Gästen. eichler Lizenz

Halle/MZ - Es sieht spielend leicht aus: Zwei bis auf einen Lendenschurz nackte Männer stecken einen Stock in ein Holz und reiben diesen so geschwind mit den Handflächen, dass es im Loch zu qualmen beginnt. Aus Rindenfasern formt einer der beiden ein kleines Nest, mit dem er die aufflackernden Flämmchen aufnimmt. Ein paar Mal behutsam pusten und mit trockenen Zweigen füttern - und schon lodert ein Feuer auf, mit dem sich die beiden sogleich ein Belohnungs-pfeifchen entzünden.

Einen Mangetti-Baum weiter. Hier klemmt ein Mann Pflanzensprösslinge in einen Stock, den er mit den Füßen gegen einen Stein presst. Dann zieht er kräftig an einem Ende des Stängels und zerfasert ihn in feinste Stränge. Diese werden getrocknet und weiterverarbeitet, etwa zu Seilen und Bogensehnen. Wie die Pfeile hergestellt werden und woraus das Gift für den betäubenden Schuss hergestellt wird, erfahren wir später bei einem anderen Profi.

Willkommen in der Steinzeit, willkommen bei den San! Einem Volk, dessen Kultur 44 000 Jahre alt sein soll – das jedenfalls glauben Forscher mit neuen Analysen von Höhlenfunden beweisen zu können. Damit existierten die San nicht nur mehr als doppelt so lange wie bisher angenommen; sie könnten sogar den Beginn der menschlichen Kultur an sich markieren.

Die von weißen Einwanderern als Buschmänner bezeichneten Steinzeitmenschen sind von zierlicher Gestalt, meist nicht größer als 1,60 Meter und von gelblich-hellbrauner Hautfarbe. Ihre uralte Sprache besteht unter anderem aus verschiedenen komplizierten Klicklauten - allein die Konversation ist ein für Mitteleuropäer faszinierendes akustisches Phänomen.

Die San sind berühmt als grandiose Spurenleser und fantastische Jäger, die ihre Beute durch pure Ausdauer zermürben. 40 Stunden etwa kann die Verfolgung einer großen Kudu-Antilope dauern, bevor das Tier erschöpft zusammenbricht. Diese traditionelle Hetzjagd, die übrigens auch die Aborigines in Australien praktizieren, wird als „Großer Tanz“ bezeichnet. Dabei werden die Jäger in ihrem Empfinden eins mit ihrer Beute. Versetzen sich in sie hinein, ahnen deren Wege voraus und erlegen sie mit dem Speer aus kurzer Distanz.

Die alte Jäger-und-Sammler-Kultur genau so wie früher und so authentisch wie möglich zu präsentieren, ist zentrales Anliegen des Historic Living Village der Ju/’Hoansi-San in Grashoek, etwa sieben Autostunden nordöstlich der Hauptstadt Windhoek. Initiiert vom namibischen Reiseleiter Werner Pfeifer und dem einheimischen Lehrer Ghau N!aici, wird dieses „Lebende Museum“ seit fast zehn Jahren selbstständig von den San betrieben und verwaltet. „Eine Erfolgsgeschichte für die auf der sozialen Leiter ganz unten stehenden San“, weiß Sonja Iwanek-Kirchner von der Living Culture Foundation Namibia. Diese Organisation aus Freiwilligen hat inzwischen vier weitere „Lebende Museen“ auf die Beine gestellt und so dafür gesorgt, dass traditionelle Kultur in Namibia am Leben erhalten wird.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Das „Lebende Museum“ hat sich zu einem kulturellen und touristischen Höhepunkt entwickelt und ist eine gute Einnahmequelle für die in großer Armut lebenden Dorfbewohner. Etwa 100 San haben einen regelmäßigen Verdienst, bis zu 500 Menschen profitieren vom Verkauf von Schmuck und Werkzeugen im eigenen Souvenirshop.

Zweitens funktioniert das Museum als eine Art Schule für Geschichte, „weil sich die San intensiv mit ihren Wurzeln beschäftigen sowie uraltes Wissen und Werte bewahren“, so die Ethnologin. Und nicht zuletzt steht das Museum für einen interkulturellen Austausch, weil sich viele Besucher – im letzten Jahr fast 3 000 – für die San zu interessieren begännen und verstünden, was diese Menschen so einzigartig macht. Das wiederum steigere den Stolz, die Würde und das Selbstbewusstsein.

Im Museum, das 500 Meter außerhalb des eigentlichen Dorfes liegt, haben sich heute etwa zwei Dutzend Männer, Frauen und Kinder eingefunden, um ihre Gäste auf eine faszinierende Reise mitzunehmen. In eine archaische Vergangenheit, die zugleich Potenzial für ihre eigene Zukunft hat. Begleitet von Dolmetscher Kanai läuft vor allem ein Mann zu Hochform auf. Nani zeigt, wie man Feuer macht und eine Schwerkraftfalle für Kleinwild baut. Wie man mit dem Grabstock Wurzeln ausbuddelt, die Wasser speichern. Wie die San mit eingekerbten Stöcken zählen. Oder wie ein Jäger geräuschlos durch den Busch pirscht und treffsicher seine Pfeile ins Ziel setzt.

Dabei entpuppt er sich als wahres Show-Talent, der seine Tätigkeiten und Fakten mit so viel Leidenschaft und Inbrunst an den Mann bringt, dass einem das Herz aufgeht. Allein sein Vortrag über die medizinischen Risiken und Nebenwirkungen einer bestimmten Knolle ist zum Brüllen komisch – wenn er mit Gestik und Mimik etwa Erbrechen und Durchfall simuliert. Während sich die Männer also richtig reinhauen, bleiben die Frauen distanzierter und weitgehend unter sich. Spielen mit den Kindern und widmen sich der Produktion von Schmuck- und Gebrauchsgegenständen. Eine wichtige Tätigkeit im Konzept, schließlich geht es auch darum, mit den Einnahmen aus dem Verkauf die Lebensqualität zu steigern, die Ernährung zu verbessern, letztlich ohne fremde Hilfe über die Runden zu kommen. Schwer genug im heutigen Namibia, wo die San im westlichen Buschmannland weder jagen dürfen noch nomadisieren können, weil ihr traditionelles Gebiet kommerzielles Farmland ist. Das macht sie abhängig von Nahrungshilfen der Regierung.

Und vor diesem Hintergrund versteht am Ende auch jeder, dass das „Lebende Museum“ der Ju/’Hoansi-San mehr bedeutet als nur ein paar Stunden fröhliche Folklore.

Die San können in Nullkommanichts Feuer entzünden
Die San können in Nullkommanichts Feuer entzünden
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