Leben rund ums Stövchen: Das Nationalgetränk der Ostfriesen
Norden/Aurich/dpa. - Echte Ostfriesen interessiert Kaffee nicht die Bohne. Tee ist in ihrer Heimat zwischen Dollart und Jadebusen Identität stiftendes Lebenselixier. 300 Jahre Tradition stecken dahinter und haben den Umgang mit dem Blätteraufguss strengen Regeln unterworfen.
Deren Unkenntnis bringt Fremde auf Besuch in Ostfriesland schnell in peinliche Situationen. Denn «för 'n lecker Koppke Tee» ist es mit einem Beutel im Becher nicht getan. Das wäre wie Bier aus Büchsen oder Wein aus Getränkekartons.
Anke Zimmer weiß, wie es richtig geht. Die Mitarbeiterin des Teemuseums in der Stadt Norden nördlich von Emden zeigt Besuchern eine echte ostfriesische Teezeremonie. «Pro Person gehört ein Teelöffel Tee in die Kanne. Und wenn man's gut meint, noch einen zusätzlich 'für die Kanne'», erklärt Zeremonienmeisterin Zimmer. Der Aufguss solle die Blätter gerade bedecken. Erst nach dem Ziehen werde nachgegossen - so viel, wie Tassen ausgeschenkt werden.
Doch wenn der Tee in die Tasse soll, wird es erst richtig kompliziert. «Zuerst muss der Kluntje hinein», erläutert die Expertin. Im Teewasser knistert der Kandisbrocken geheimnisvoll. «Die typische ostfriesische Teetasse ist klein, gedrungen und dünnwandig», sagt Zimmer. Tee im Becher sei ein Ding der Unmöglichkeit. Der nächste Schritt führt zum Sahnelöffel mit seinem rechtwinklig verlaufenden Stiel. Er wird am Tassenrand entlang geführt und träufelt die Sahne hinein. «Und zwar entgegen dem Uhrzeigersinn», betont Zimmer, «weil damit die Zeit angehalten wird». Früher im armen Ostfriesland, sagt Zimmer, habe die Sahne auch Hunger gestillt.
Sind die Wölkchen da, die sich mit der Sahne bilden, heißt es abwarten und Tee trinken. Dabei umzurühren, würde Unkenntnis offenbaren. Denn der Löffel diene in die Tasse gelegt nur als Signal, dass Nachschenken unerwünscht ist. Den Tee gelte es in drei Stufen zu trinken, bis am Ende der süße Kluntje erreicht ist. «Die hart arbeitenden Leute im protestantischen Ostfriesland gönnten sich früher keine Pausen - bis auf die Teezeiten», berichtet Zimmer. «Da durfte man mal nichts machen und sich an der Teetasse festhalten.»
«Teetieden» nennen die Ostfriesen ihre Teepausen. Vier sind es pro Tag - ein Leben rund ums Stövchen. Der Jahresteeverbrauch der Deutschen liege im Schnitt bei 250 Gramm, weiß Zimmer. «Aber in Ostfriesland sind es 2700 Gramm.» Im «Buch vom ostfriesischen Tee» ist sogar zu lesen, dass die Nazis im Zweiten Weltkrieg den Menschen im «ostfriesischen Teetrinkerbezirk» eine weitaus größere Ration Tee zugestanden als anderswo - um sie «einigermaßen bei Laune halten» zu können. Das Buch gibt auch Erklärungsversuche für die Entwicklung der Teekultur: Wind und Wetter, Ostfrieslands abgeschiedene Lage und vor allem das schlecht schmeckende, brackige Wasser in der Gegend.
Uwe Rolf aus Aurich macht seit 30 Jahren Geschäfte mit dem Nationalgetränk. Nach eigenen Angaben verkauft er mit seinen 21 Mitarbeiter 120 Tonnen Tee pro Jahr - vor allem an Fachgeschäfte in ganz Europa. «Der Ostfriese ist hochempfindlich», weiß Rolf. «Er hat den Anspruch, dass seine Teemischung jedes Jahr gleich schmeckt.» Der «Geschmacksführer» echter Ostfriesen-Tees stamme aus Assam in Indien, verrät er. Weitere Teesorten würden zugemischt.
Die heutige Kaffeekultur mit «Coffee to go» an jeder Ecke findet Rolf eher fade. «Früher haben sich die jungen Leute noch zum Tee verabredet», seufzt er. Er hält es mit George Orwell, dem Schriftsteller aus der britischen Teetrinkernation, der vor rund 60 Jahren notierte: «Tee ist eine der tragenden Säulen der Zivilisation». Dem kann Rolf nur beipflichten. «Obwohl viele Engländer ja nur heißes Wasser mit Milch trinken», sagt er. Die einzig wahre Teekultur Europas finde sich in Ostfriesland.
Ostfriesisches Teemuseum: www.teemuseum.de
Ostfriesen-Tees: www.uwe-rolf.de