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Landwirtschaft von Morgen: Ökolandbau in Kassel studieren

Von Susanne Scheerer 19.07.2007, 10:04

Kassel/dpa. - Kassel ­ Frei laufende Hühner, Mastschweine, die sich das ganze Jahr über draußen suhlen sowie Kühe, die im Stall umherspazieren und sich lustvoll von einer elektrischen Bürste den Rücken massieren lassen.

So sieht es auf der Staatsdomäne Frankenhausen aus, einem Vorzeige-Bio-Hof, der den 600 Agrarwissenschaftlern der Kasseler Universität seit 1998 als Versuchs- und Wirtschaftsbetrieb dient. Dazu gehören auch Familien, die ihr Bio-Gemüse eigenhändig ernten und ein Professor, der mit seinen Studenten im Baumschatten über optimale Fruchtfolgen als Voraussetzung für gesunde Pflanzen im ökologischen Landbau diskutiert.

Neben den Studierenden aus dem In- und Ausland, die hier arbeiten und forschen, kümmern sich zwei Landwirte um die Viehhaltung sowie das Acker- und das Grünland. 320 Hektar umfasst das Areal. Die Bio-Produkte (Milch, Fleisch, Obst und Gemüse) werden vermarktet. Abnehmer sind die Handelsketten tegut und Alnatura. Die Bio-Milch wird von der Upländer Bauernmolkerei verarbeitet.

«Wer einmal durch einen Käfighennenstall gelaufen ist, der kauft diese Eier nie mehr», glaubt Jürgen Heß. Der Professor für Ökologischen Land- und Pflanzenbau lehrt seit 1997 am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften, der zu den Leuchttürmen der Kasseler Hochschule gehört, weil er europaweit einzigartig in seiner Radikalität ist: Erst 2005 hat der Wissenschaftsrat dem Studiengang seine Sonderstellung bescheinigt. Denn Professuren für Ökolandbau existieren mittlerweile auch an anderen Agrarfakultäten. Dass sich aber ein ganzer Fachbereich konsequent dem ökologischen Prinzip verschrieben hat, das gibt es nur an der Uni Kassel ­ und zwar schon seit 1997.

«Keine andere europäische Universität hat einen vergleichbar stringenten Ansatz in der Ökologischen Landwirtschaft», sagt Heß, der im selben Jahr von Wien nach Kassel wechselte. Damals gab es in der Außenstelle im nordhessischen Witzenhausen gerade mal zwei Professuren. Heute sind es 20. «Seit mehr als zehn Jahren findet eine Entideologisierung des Faches statt. Zuvor haben Wissenschaftler vor allem versucht zu beweisen, dass Ökolandbau nicht funktionieren kann», berichtet Heß. Heute wächst die Nachfrage schneller als die Ressourcen. Das betrifft auch den Bedarf an qualifizierten Lehrkräften. Viele der in den vergangenen zehn Jahren nach Kassel berufenen deutschen Professoren mussten aus dem Ausland zurückgeholt werden. Das Fach habe sein Müsli-Image aus der Anfangszeit verloren. «Ökolandbau ist Mainstream», sagt Heß.

Das spüren auch die Landwirte. Schrumpelten Bioäpfel in der Pionierzeit des Ökolandbaus wurmstichig vor sich hin, glänzt die Ware heute in den Auslagen der Lebensmittelgeschäfte ebenso makellos wie herkömmlich erzeugte Ware. Heß warnt deshalb schon vor einer «Konventionalisierung» des Ökolandbaus. Es handele sich um eine «Gratwanderung zwischen Professionalisierung und Konventionalisierung». Er erinnert daran, dass die oberste Maxime die Stabilität des ökologischen Systems sei: «Der Ökolandbau gibt sich Restriktionen, damit das System stabil bleibt. Je robuster es ist, desto weniger Stützungsmaßnahmen braucht es von außen.»

Nun ist Deutschland neben Dänemark zwar führend in der Forschung, hat aber Nachholbedarf bei der Umstellung der Betriebe. Gerade mal fünf Prozent beträgt der Anteil des Biolandbaus hierzulande. In Österreich und in der Schweiz liegt er höher. «Der Markt wächst schneller als das Angebot», sagt Heß und sieht eine Ursache dafür im Wegfall staatlicher Beihilfen, die es den Bauern früher erleichtert hatten, von der konventionellen Erzeugung auf die sehr viel arbeitsintensivere und damit teurere ökologische Produktion umzustellen.

Die Kasseler Agrarwissenschaftler lassen sich davon nicht beirren. In Modellbetrieben wie der Staatsdomäne Frankenhausen vor den Toren Kassels wird die Landwirtschaft von Morgen entwickelt. Hier entstehen Methoden, die es schon heute Bauern in fernen Entwicklungsländern ermöglichen, mehr aus dem Boden herauszuholen als es ihr konventionelles Wirtschaften zulässt. Der ökologische Landbau, ist sich Jürgen Heß sicher, hat seine Grenze noch lange nicht erreicht.

Weitere Informationen: www.uni-kassel.de/agrar/ (dpa)