Laborküche: Die Erlebniswelt der Molekularköche
Hamburg/dpa. - Wer beim Eisessen buchstäblich Dampf ablassen will, für den ist die molekulare Küche genau das Richtige. Sie stellt viele Gesetzmäßigkeiten auf den Kopf: Suppe ist fest, Gemüse kommt als Gelee, der Cocktail wird als Drops auf Löffeln gereicht.
Dem Gast bleibt die Aufgabe, «heraus zu schmecken, was ihm vorgesetzt wird. Oft ist nicht mehr erkennbar, was auf dem Teller liegt», meint der Dortmunder Restaurantkritiker Hans Böddicker. Die Küche verspricht vollkommen neue Geschmackserlebnisse. «Aromen werden verbessert, verfeinert, intensiver», erläutert Böddicker. Physik und Chemie machen es möglich. Biochemische und physikalisch-chemische Prozesse werden im Labor analysiert, ihr Einfluss während der Zubereitung von Speisen und Getränken untersucht.
Die Forscher tüfteln die Rezepte mit aus. Physiker Thomas Vilgis zerlegt in Mainz Rote Bete, Tomaten oder Fenchel in ihre Bestandteile. «Dem Polymer ist es egal, in welcher Flüssigkeit es hinterher wieder andockt. Für uns ist es interessant, zu sehen, wie der Prozess gesteuert wird und was dabei herauskommt», erläutert der Experte vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung. Auf Basis solcher Erkenntnisse fabrizieren Köche später hauchdünne Rote-Bete-Carpaccio oder Spaghetti aus Käse und Sellerie.
Die Tricks funktionieren auch dank Gelier- und Verdickungsmitteln wie dem aus Rotalgen gewonnenen Agar-Agar, Alginat oder Johannisbrotkernmehl. «In der Lebensmittelindustrie sind sie längst gängig. Jetzt sind die Methoden so ausgereift, dass sie in der Küche eingesetzt werden können», sagt Andrea Lambeck von der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) in Bonn.
Den Lebensmitteln schadet die ungewöhnliche Behandlung nicht: «Die Qualität wird nicht beeinflusst. Der Nährwert bleibt gleich.» Allerdings: «Die Grundprodukte müssen frisch sein», ergänzt der Koch Juan Amador aus Langen (Hessen). Er gehört zu den wenigen Küchenchefs in Deutschland, die ausschließlich Molekular-Gerichte anbieten.
Der für seine Molekularcocktails bekannte Heiko Antoniewicz aus Bergkamen vergleicht die Herstellung eines «Spooncocktails» - Kügelchen mit eingekapselter flüssiger Aperol-Füllung, angerichtet auf einem Löffel - mit der Produktion von Spritzgebäck: «Das braucht Übung.» Und das richtige Werkzeug: Antoniewicz und Amador greifen zu Pipette, Spritzen und Siphon, um ihre Kreationen in Form zu bringen.
Hobbyköche benötigen außerdem Messbecher, Einhängethermometer und Dosierlöffel. Unverzichtbar ist eine Präzisionswaage zum Abwiegen der Zutaten. «Wegen der geringen Mengen muss sie im Nach-Kommabereich einstellbar sein», erläutert Gabriele Randel. Ihre in Bremerhaven ansässige Firma «biozoon» bietet Molekular-Zubehör für Einsteiger an.
Im Restaurant müssen Neugierige für ein komplettes Menü um die 150 Euro auf den Tisch legen. Dafür erleben sie eventuell den spektakulären Effekt des Kochens mit flüssigem Stickstoff - es brodelt, dampft und zischt. Aus dem Nebel zaubert Juan Amador in Minutenschnelle Sorbet oder Eis hervor.
«Ganz alte Rezepte bauen auf den Wundern von Chemie und Physik auf», rückt CMA-Frau Lambeck den Eindruck gerade, molekulare Küche sei etwas vollkommen Neues. Beispiel Mayonnaise: Das im Ei enthaltene Lezithin verbindet als Emulgator die sonst unvereinbare wässrige und ölige Phase. «Das ist der ganze Zauber», so Lambeck. Sternekoch Juan stellt fest: «Spiegelei braten ist auch ein chemischer Prozess.»
Literatur: Thomas Vilgis, Die Molekül-Küche - Physik und Chemie des feinen Geschmacks, Hirzel Verlag, ISBN-13: 978-3-7776-1370-3, 19,80 Euro; Juan Amador, Tapas - Das Kochbuch, Tre Torri, ISBN-13: 978-3-9379-6338-9 39,90 Euro
Restaurant von Juan Amador: www.restaurant-amador.de
Molekular-Zubehör: www.biozoon.de
Gourmet-Caterer: www.bosfood.de
Kulinarischer Blog: www.gourmetrics.de