1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Krakau: Krakau: Der Mann, der den Bagel in die Heimat zurückbrachte

Krakau Krakau: Der Mann, der den Bagel in die Heimat zurückbrachte

Von Eva Krafczyk 28.07.2006, 11:29
Nava de Kime hält in Krakau in seinem Bistro «Bagelmama» einen Bagel in der Hand. (Foto: dpa)
Nava de Kime hält in Krakau in seinem Bistro «Bagelmama» einen Bagel in der Hand. (Foto: dpa) dpa

Krakau/dpa. - Nava de Kime rührt, würzt, schmeckt ab. In derkleinen Küche seines Bistros "Bagelmama", nur durch einen Tresen vomGastraum getrennt, riecht es verführerisch nach dem Chili con Carne,das auf kleiner Flamme auf dem Gasherd vor sich hin köchelt. Kuba,Navas Assistent, bestreicht währenddessen einen Teigkringel mitFrischkäse und Lachsstückchen. Lox Bagel - ganz so, wie deramerikanische Rucksacktourist es aus der Heimat kennt. Doch souramerikanisch, wie der junge Mann glaubt, sind die "Brötchen mit demLoch" nicht.

"Man kann sagen, ich habe den Bagel in die Heimat zurückgebracht",grinst Nava und fährt mit der Hand durch die grauen Locken. Denn dasGebäck, das jüdische Auswanderer in die USA brachten, stammtursprünglich aus der Region Krakau oder einem galizischen Stetl -ganz klar ist das nicht. Geplant war die "Mission Bagel" keineswegs."Wenn mir jemand vor fünf, sechs Jahren gesagt hätte, dass ich hinterder Krakauer Synagoge Bagel verkaufe, hätte ich ihn für verrückterklärt," gibt der Chef der "Bagelmama" zu.

Aber Nava hat schon so manche Veränderung und prompte Wendung inseinem Lebenslauf, der so bunt ist wie seine deutsch-irisch-italienisch-schottischen Vorfahren. Der aus Chicago stammendeAmerikaner studierte ursprünglich Design und arbeitete in New Yorkbei einem Fernsehsender. "Ein Fernsehjob, mit Fernsehgeld", erinnerter sich an finanziell gute und sichere Zeiten.

Doch irgendwann habe er genug gehabt von Eitelkeiten und Intrigen."Ich fragte mich - wozu das alles? Es muss doch noch irgendwasanderes geben." Das andere, das war für ihn erst mal Europa. Nava,der sich seit seiner Studentenzeit auch mit Musik über Wassergehalten hatte, packte seine Gitarre und zog durch den altenKontinent.

In Amsterdam blieb er 15 Jahre - die Lockerheit und Toleranz derNiederländer, die Stadt mit ihren Grachten, all das gefiel dem Exil-New-Yorker. Da er schon immer gerne gekocht hatte, hängte erirgendwann die Gitarre an den Nagel und machte seinen eigenenCatering-Betrieb auf.

Bis ihn vor mehr als fünf Jahren ein Freund nach Krakau einlud.Die südpolnische Königsstadt, die sich inzwischen als "neues Prag" zuZiel von Touristen und selbst ernannten Bohemiens entwickelt, wardamals noch für viele Westeuropäer eine unbekannte Größe. Kazimierz,der alte jüdische Stadtteil, in dem auch "Bagelmama" in einerSeitenstraße gleich hinter der Tempel-Synagoge liegt, wurde geradeerst "entdeckt", nachdem Steven Spielbergs Dreharbeiten zu"Schindlers Liste" Interesse an dem Viertel geweckt hatten.

Auch Nava hatte nicht vor, zu bleiben. "Ich kam für zwei Wochen",erinnert er sich. In diesen zwei Wochen änderte sich sein Lebenallerdings gewaltig, als er Tamara Romaniuk, seine Lebensgefährtinkennen lernte. Danach stand bald fest, dass sie ihr gemeinsames Lebenin Krakau aufbauen würden, denn ihre zwei Kinder wollte Tamara nichtins Ausland verpflanzen. Inzwischen hat die Patchwork-Familie einHaus gebaut, das mittlerweile zu 90 Prozent fertig ist.

Nur einmal im Jahr kommt die Erinnerung an alte Wanderjahre. Dannpackt Nava seine Kochutensilien zusammen, schließt "Bagelmama" fürsechs Wochen und geht mit seinen Mitarbeitern nach Paris, um währendder French Open das Catering für einen amerikanischen Fernsehsenderzu übernehmen. "Man kann sagen, ich bin dann der Leibkoch von JohnMcEnroe", lacht er.

Für Amerikaner, die im Ausland leben, wie auch für polnischeStudenten mit Vorliebe für alles Amerikanische ist Bagelmama einefeste Adresse. "Neulich hatte ich hier ein paar US-Diplomaten ausBukarest, die kamen mindestens zwei Mal täglich und bestellten beimir vor ihrer Heimreise noch extra 150 Rohbagel zum Mitnehmen",erinnert sich Nava, dessen Spezialität Bagel und Tex-Mex Gerichtesind, an besonders gute Kunden. "Oh Mann, war ich nervös, als diesich zur Bagel-Übergabe um zwei Stunden verspäteten. MeineGefriertruhen waren voll, da hätte kein Bagel mehr reingepasst."

Navas Stammkunden kommen nicht nur zum Essen, viele haben im Laufder Jahre Informationen rund um den Bagel gesammelt. "Während desersten Weltkriegs war nur ein paar Häuser weiter ein Bäcker, der PanBejgel hieß", erfuhr Nava auf diese Weise. "Und in den KrakauerUrkunden ist der Bagel erstmals im Jahr 1610 erwähnt."

Die Bagel-Historiker fanden heraus, dass der Ur-Bagel aus Krakauoder Umgebung stammt. Wegen der nötigen Ruhezeit des Teiges ist derBagel für die Einhaltung der Sabbatruhe besonders geeignet - keinWunder also, dass osteuropäische Juden Ende des 19. Jahrhunderts ihreBagel-Rezepte in der neuen Welt weiter pflegten und dem Gebäck dortzu einer bis heute anhaltenden Popularität verhalfen.

Der Bagel stillte nicht nur Hunger, er soll auch als Glücksbringerund Schmerzenströster gegolten haben. Nach den Krakauer Urkunden ausdem 17. Jahrhundert jedenfalls bekamen Frauen bei der Geburt einenBagel, in den sie während der Wehen beißen konnten.

Einer anderen Legende nach soll der Name von dem Wort "Bügel"stammen und an einen Steigbügel in Teigform erinnern, den eindankbarer Wiener Bäcker 1683 für den polnischen König Jan Sobieskinach dessen Sieg über das türkische Heer gebacken hatte.

Straßenverkäufer in Krakau und anderen polnischen Städten bietennoch immer "bejgel" in ihrer Urform an - härter und unprätentiöserals ihre modernen Nachfolger. "Bei mir sind die Bagel noch echteHandarbeit" preist Nava seine Produkte. Er habe allerdings fünfBäcker "verschlissen", bis er einen fand, der seinen Ansprüchengenügte. Die Herstellung ist zwar aufwendig - der Teig wird gekühlt,gekocht und erst dann gebacken -, doch mit einem Krakauer Hotel fandder Bäcker einen zusätzlichen Großkunden, der sich regelmäßig mit denHefekringeln in sieben Geschmacksrichtungen eindeckt.

Bei "Bagelmama" ist es hingegen viel überschaubarer als imFrühstücksraum eines Vier-Sterne-Hotels. Vier Tische, ein paarBarhocker - damit ist der Gastraum voll. Über den Tresen hinwegkönnen Nava und seine Mitarbeiter mit den Stammkunden plaudern, undhungrige Besucher mitverfolgen, wie Bagel, Tortillas oder Salatefertig gestellt werden. Nach fünf Jahren ist das kleine Lokal nichtnur im Viertel bekannt, dank Eintragungen in den "Reisebibeln" derRucksacktouristen kann sich Nava über mangelnde Nachfrage nichtbeklagen.

"Ich überlege immer wieder, ob ich ein größeres Lokal suchensollte", sinniert er. "Aber ich mag es so, wie es hier ist. Und dieKosten-Nutzen-Rechnung muss auch stimmen - Krakau wird langsamunbezahlbar." Schuld seien die "Immobilienhaie", viele von ihnen ausdem Ausland, die in der südpolnischen Stadt Altbauten aufkaufen,sanieren und teuer vermieten wollen - vorzugsweise als Touristen-Appartement oder an ausländische Geschäftsleute. DerQuadratmeterpreis für arg renovierungsbedürftige Altbauten inKazimierz ist mittlerweile höher als für Immobilien in der WarschauerInnenstadt.

Als eine lärmende Gruppe amerikanischer Teenager in das Lokaldrängt, sieht es so aus, als ob ein größeres Lokal in der Tat dasGebot der Stunde wäre. Die Jugendlichen sind nach dem mehr alszweistündigen Morgengottesdienst in der benachbarten Synagogehungrig. Doch noch während Nava und Kuba alle Hände voll zu tunhaben, um Bestellungen aufzunehmen und Bagel zu belegen, taucht dieentrüstete Betreuerin der Gruppe auf. "Da seid ihr ja!" ruft sie."Wir brechen sofort auf - Lunch gibt es im Hotel!"

So schnell sich die "Bagelmama» gefüllt hatte, so leer ist es nunwieder. Nava verdreht die Augen. "Es ist immer das gleiche mit denBusladungen von Touristen. Nie haben die kids Zeit zum Bestellen." Dasind ihm die regelmäßigen Besuche von Besuchern wie Bernard Offenbesonders lieb. Der rüstige 77-jährige mit dem schlohweißenPferdeschwanz bestellt seinen Lachsbagel ("Das Übliche...") und lässteinen 50-Zloty-Schein auf dem Tresen liegen. "Das ist dann gleich fürdie nächsten Tage."

Der in den USA lebende Holocaust-Überlebende verbringt seiteinigen Jahren einige Monate in Krakau, seiner Geburtsstadt. DasSchicksal seiner Familie, die Erinnerungen an Getto und fünfKonzentrationslager verarbeitete er in einer Filmtrilogie. Offen, dermehr als 50 Mitglieder seiner Familie verlor, führt auch in diesenWochen wieder junge Polen und Besucher aus aller Welt durch Podgorze- den Stadtteil, in dem er geboren wurde, und der im ZweitenWeltkrieg zum Getto der Krakauer Juden wurde.

Anders als für Offen und die jungen Israelis und US-Juden, für dieein Besuch in Krakau vor allem eine Reise in die Vergangenheit ist,ist Kazimierz für die meisten Bagel-Kunden einfach nur szenig undtrendy. Nava findet daran nichts Schlimmes. "Als ich das erste Malhierher gekommen bin, wusste ich gar nichts von der Geschichte vonKazimierz. Aber im nach Hinein passt es gut, im alten jüdischenViertel Bagel zu verkaufen. Ein bisschen setzen wir damit ja auch dieTradition von Pan Bejgel fort."

Zwei Touristinnen aus den Niederlanden essen im Bistro «Bagelmama» in Krakau ihre Bagels. (Foto: dpa)
Zwei Touristinnen aus den Niederlanden essen im Bistro «Bagelmama» in Krakau ihre Bagels. (Foto: dpa)
dpa