1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Kindermund: Kindermund: Wenn kleine Kinder Peinliches ausplaudern

Kindermund Kindermund: Wenn kleine Kinder Peinliches ausplaudern

Von Christiane Löll 12.01.2015, 11:45
Kinder sagen auch mal laut, was sie bei Erwachsenen aufgeschnappt haben.
Kinder sagen auch mal laut, was sie bei Erwachsenen aufgeschnappt haben. imago/blickwinkel stock&people

„Meine Mama blutet aus der Scheide! Deine auch?“: Solche für sie peinlichen, vom Kindermund ausgeplauderten Sätze hat die Berliner Bloggerin „Das Nuf“ ins Netz gestellt. „Ich habe nichts zu verbergen... . Wie falsch dieser Satz ist, das wird einem erst klar, wenn man ein flüssig sprechendes Kind im Kindergartenalter hat“, schreibt sie im Beitrag „Mama Leaks“. Denn spätestens ab da habe man keine Geheimnisse mehr vor anderen Eltern oder dem Kindergartenpersonal.

Kinder unterscheiden schlimme und schöne Geheimnisse

Wie kann es gelingen, mit solchen unangenehmen Situationen umzugehen? Und wann verstehen Kinder, dass man über bestimmte Sachen vielleicht nicht mit jedem spricht? Im Alter von fünf bis sechs Jahren verstehen Kinder noch nicht viel vom Hüten von Geheimnissen, sagt der Pädagoge Michael Schnabel. Aber: „Interessanterweise unterscheiden Kinder in diesem Alter schon zwischen schönen und schlimmen Geheimnissen.“

Untersuchungen bereits aus den 90er-Jahren zeigten demnach, dass jüngere Kinder der Ansicht sind, über schlimme Geheimnisse müsse man reden. „Diese Offenheit und das damit verbundene Vertrauen darf nicht enttäuscht werden. Vielmehr sollten Eltern ihren Kindern immer wieder erklären, dass das Gespräch über schlimme Geheimnisse sogar überlebenswichtig sein kann“, erklärt Schnabel, ehemals wissenschaftlicher Mitarbeiter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München.

Beim Ausplaudern von Details über Geschmacksfragen der Eltern geht es aber wohl nicht um den Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen. Es geht wohl eher um den Lernprozess, den Kinder durchlaufen: Was ist gesellschaftlich akzeptiert, was ist Privatsphäre und was nicht? Und auch die Entwicklung von Schamgefühlen hat etwas damit zu tun, ob Kinder vor anderen über die Körperhygiene ihrer Mama oder ihres Papas reden.

„Wenn Kinder etwas aus der Familie ausplaudern, dann ist es wohl in den meisten Fällen so, dass die Eltern nicht extra gewarnt haben „Erzähl das nicht weiter““, sagt die Professorin Bettina Schuhrke von der Evangelischen Hochschule Darmstadt. Die Psychologin hat unter anderem zu den Themen familiäre Schamregeln geforscht.

Fremdscham kennen erst Kinder im Vorschulalter

„Kinder haben eine andere Perspektive als Erwachsene: Sie verstehen noch nicht die komplizierten Regeln, dass etwas vor manchen Personen okay ist und vor anderen nicht.“ Schuhrke und Kollegen hatten vor mehreren Jahren in einer Studie 41 Familien befragt, und dabei gesehen, dass Kinder zwischen vier und sieben Jahren ein Gefühl von Selbstscham entwickeln, etwa was die eigene Nacktheit oder Toilettengänge angeht.

„Nachdem sie diese Selbstscham entwickelt haben, kommt auch noch etwas dazu, das wir die Fähigkeit zur Fremdscham nennen, also sich stellvertretend für andere zu schämen, aber auch Rücksicht auf andere zu nehmen.“ Diese Fähigkeit beginne etwa im Vorschulalter, die Psychologin nennt ein Beispiel: „Da war beispielsweise ein fünfjähriges Mädchen, das auf gar keinen Fall wollte, dass seine Mutter sich oben ohne an einem Strand sonnt, es war kein FKK-Strand. Sie hat bemerkt, dass andere am Strand bekleidet sind und wollte nicht, dass sich ihre Mutter bloßstellt.“

Wie reagieren Eltern richtig? Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Bettina Schuhrke ist überzeugt: Sämtlichen möglicherweise peinlichen Situationen, in denen Kinder etwas ausplaudern, kann man nicht vorbeugen. „Da müsste man sich mit seinen Aussagen und seinem Verhalten ja ständig kontrollieren.“ Wenn so etwas passiert, sei es wichtig, dass die Eltern reflektieren: Warum ist mir das überhaupt peinlich? Dann sollten sie mit dem Kind darüber sprechen und ihre Gefühle erklären.

Das sieht der Erziehungsberater Ulrich Gerth aus Mainz ähnlich: „Kommt es zu einer peinlichen Situation in der Kita, weil das Kind zum Beispiel ausplaudert, dass man die Mutter eines anderen Kindes nicht mag, dann liegen die Karten offen auf dem Tisch.“ In dieser Situation sollten die Erwachsenen offen damit umgehen. Mit dem Kind zu schimpfen, wäre falsch. Der Vorsitzende der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung plädiert dafür, so wenig Geheimniskrämerei wie möglich in der Familie zu betreiben. „Ich denke nicht, dass man Kindern sagen sollte „Das bleibt unter uns“. Es sollte keine Redeverbote geben.“

Nicht schimpfen, sondern mit dem Kind reden

Und wenn es wirklich etwas sei, was erst einmal in der Familie bleiben sollte, dann sei es wohl besser, das erst einmal unter den Eltern zu besprechen. Gerth empfiehlt außerdem einen kritischen Blick auf das eigene Verhalten: „Es gibt viele Situationen, wo in Anwesenheit der Kinder über drollige Situationen, Versprecher, Sprüche oder Fehler von ihnen gelacht wird. Das ist den Kindern oft nicht recht und sie fühlen sich unwohl.“

Verhielten sich Erwachsene so, lernten die Kinder womöglich: „Es ist ok, peinliche Dinge aus der Familie zu erzählen.“ Wichtig ist also auch, als gutes Beispiel voranzugehen und zu überlegen, was man selbst so über die Kinder ausplaudert. (dpa)

Auch wenn Tuscheln manchmal peinlich wird: Eltern sollten ihren Kindern kein Redeverbot erteilen.
Auch wenn Tuscheln manchmal peinlich wird: Eltern sollten ihren Kindern kein Redeverbot erteilen.
dpa-tmn Lizenz