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Kinder Kinder: Schmutziger Smalltalk

Von Tobias Schormann 02.03.2005, 09:18
Nicht immer harmlos: In Internet-Chats, die vor allem Kinder besuchen, treiben manchmal auch Pädophile ihr Unwesen. (Foto: dpa)
Nicht immer harmlos: In Internet-Chats, die vor allem Kinder besuchen, treiben manchmal auch Pädophile ihr Unwesen. (Foto: dpa) DAK/Wigger

Mainz/Köln/dpa. - «Pädophile suchen zunehmend gezielt in Chaträumen nach Opfern»,sagt Martin Döring von der Einrichtung Jugendschutz.net in Mainz, dieim Auftrag der Länder und der Kommission für Jugendmedienschutz dasInternet überwacht. Er und seine Kollegen haben von September bisNovember 2004 mehr als 50 Chat-Angebote für Kinder und Jugendlicheuntersucht, indem sie sich dort als Kinder ausgaben. «Die Ergebnissesind erschreckend - innerhalb kürzester Zeit kam es zu sexuellenBelästigungen», sagt Döring.

Internet-Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) registrierten2003 unter 600 Verdachtsfällen im Web 9 Fälle von Kindesmissbrauchund 365 aus dem Bereich Kinderpornografie. Insgesamt ist dieVerbreitung von Kinderpornografie im Jahr 2003 um mehr als 40 Prozentgestiegen. Auch hier spielt das Internet eine große Rolle, sagtBKA-Sprecher Dirk Büchner in Wiesbaden.

«Täglich werden mehrere tausend Kinder im Chat Opfer sexuellerGewalt», sagt Beate Schöning vom Jugendschutz-Verein Netkids inOsterholz-Scharmbeck bei Bremen. Darunter fallen verbaleBelästigungen, Cybersex-Angebote und exhibitionistische Handlungenbis hin zu Aufforderungen zu Treffen außerhalb der Internet-Welt. Vonzehn neuen Chat-Freunden versuchten ihrer Schätzung nach fünf bissieben, Kinder in sexueller Weise anzusprechen.

Auch ein Blick ins Ausland lässt Schlimmes ahnen: So nahmen inKanada laut einer Studie bereits im Jahr 2001 Pädophile in 97 Prozentder Fälle über das Internet Kontakt zu Kindern auf. In England sindnach einer Untersuchung der Universität Lancashire vom Juli 2003 mehrals die Hälfte der Chatter zwischen 9 und 16 Jahren bereits einmal ineinem Sex-Chat gelandet. Die Daten aus dem Ausland seien aufDeutschland übertragbar, sagt Schöning.

Viele Kontaktaufnahmen im Chat seien auf den ersten Blickeindeutig als sexuelle Anmache zu erkennen, sagt Ursula Enders vomOpferverband Zartbitter in Köln. Einige Kinderschänder gingen aberraffinierter vor: Erst versuchten sie mit dem Austausch vonPlaudereien und harmlosen Tierfotos, das Vertrauen der Kinder zugewinnen. Dann konfrontierten sie diese per E-Mail oder per Webcammit pornografischen Bildern, um später mit Angeboten wie «Willst dudir dein Taschengeld aufbessern?» den Missbrauch vorzubereiten.

Oft versuchten Pädophile sehr schnell, Kinder über Alter, Wohnortund Telefonnummer auszufragen, sagt Jugendschützer Döring. Elternsollten daher ihren Kindern einschärfen, niemals persönliche Angabenpreiszugeben. Auch sollten sie für ihre Kinder keine Chat-Namen wie«Tinchen12» wählen, die das Alter verraten. Hilfreich sei es, Kindernur bei moderierten Chats anzumelden, in denen sie bei ProblemenAlarm schlagen können. Auch spezielle Kindersicherungen auf demRechner seien ratsam, die lediglich ausgewählte Seiten zulassen.

Wichtiger als technische Hilfsmittel wäre jedoch der persönlicheBeistand der Eltern. Den leisten jedoch nur wenige - nach einerStudie des Europäischen Medieninstituts von 2003 lassen mehr als 70Prozent der Eltern weltweit ihre Kinder beim Surfen unbeaufsichtigt.«Der PC ist kein Babysitter», warnt Petra Piper von der Initiative«Schau hin!» in Hamburg. Gemeinsam zu surfen und über Probleme zusprechen, gehöre zu den zehn goldenen Regeln für die Internetnetzung.

Das Thema werde allgemein immer noch unterschätzt, sagtJugendschützer Döring. Von Seiten der Anbieter finde bisweilen zuwenig Kontrolle statt. Inzwischen haben einzelne Betreiber aberreagiert: Microsoft stellte im Herbst 2003 seine frei zugänglichenChat-Foren in Europa und Asien ein - unter anderem, um Pädophileneinen Riegel vorzuschieben. Auch Provider wie Arcor und T-Onlinebieten für Kinder kostenpflichtige Angebote, die gesichert werden.

Im konkreten Fall einer sexuellen Belästigung im Chatraum solltenEltern den Seitenbetreiber sowie die Polizei einschalten, so Döring.Verbieten sollten Eltern das Chatten aber nicht, rät Enders - denndann würden Kinder ihre Treffen im Chatraum nur verheimlichen.

Literatur: Den Ratgeber «Chatten ohne Risiko?» können Eltern unterwww.jugendschutz.net bestellen.