1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Kinder brauchen Freiheiten

Kinder brauchen Freiheiten

Von Anja Schäfers 19.10.2007, 15:51

Köln/Hamburg/ddp. - "Viele Eltern sind zutiefst verunsichert", sagt Albert Wunsch, Dozent für Erziehungswissenschaft an der Katholischen Fachhochschule Köln. Häufig kamen Kinder in ihrem bisherigen Alltag kaum vor und klare Erziehungsregeln, an die sie sich halten könnten, gibt es nicht mehr. Viele Paare bekommen zudem erst in einem Alter Kinder, in dem sie nicht mehr so unbedarft an die Erziehung herangehen und zur Überbehütung neigen.

"Kinder können meist viel mehr als ihre Eltern glauben", sagt Wunsch. Um das zu erkennen, müsse man sein Kind öfter gewähren lassen. Dann entdeckt man vielleicht im Lebensmittelladen, dass der Dreijährige den Nachtisch holt, den die Familie immer isst. "Für den nächsten Supermarktbesuch kann man dann vereinbaren, dass er für den Joghurt zuständig ist", sagt Wunsch. Übertriebene Vorsicht bei der Erziehung schränke die Entwicklung eines Kindes ein. "Überbehüten fördert Unselbstständigkeit", betont der mehrfache Vater und Großvater. Ein Kind müsse zum Beispiel einmal ohne Jacke im Regen spielen dürfen und erleben, dass man dabei nass und kalt werden kann. Bei einer Erkältung sind dann Bett und Wärmflasche die Alternative zur Geburtstagsfeier des Freundes. "Viele Mütter und Väter sollten mutiger werden", sagt auch Silke Pfersdorf, Autorin des Buches "Erziehungsfalle Angst". Selbst das ungeschickteste Kleinkind könne zum Beispiel lernen, die Suppe umzurühren, ohne sich zu verbrennen. Wer sein Kind jede Minute beaufsichtige und vor allem Unheil schützen wolle, gebe ihm indirekt zu verstehen: Du kannst nichts alleine und brauchst bei allem die Hilfe von Erwachsenen. "Am Gängelband von Mutter und Vater kann ein Kind nicht reifen", unterstreicht Pfersdorf.

Zur Entwicklung gehöre unbedingt dazu, Fehler machen zu dürfen und Frustrationen zu erleben. Oft übertragen Eltern unbewusst ihre Ängste auf den Nachwuchs. So gehen Kinder zunächst furchtlos auf Tiere zu und wollen sie streicheln. Wenn ihr Wunsch pauschal mit einem "Das ist zu gefährlich" abgelehnt wird, werden sie jedoch ängstlich. "Kinder verstehen durchaus, dass es auch misstrauische oder schlecht gelaunte Tiere gibt", sagt Pfersdorf. Daher könne man abmachen, dass das Kind immer erst den Besitzer fragen muss, bevor es ein Tier streichelt.

Bei der Erziehung ihrer Kinder stehen viele Eltern unter einem enormen gesellschaftlichen Druck. Medienberichte über Verkehrsunfälle oder Sexualstraftaten suggerieren ihnen etwa, dass die Welt für Kinder gefährlicher geworden sei. "Meist hat aber die Anzahl der Vorfälle nicht zugenommen, es wird nur ausführlicher darüber geschrieben", sagt Pfersdorf.