Kaum Tränen bei Einschulung - Erfahrungen im Bildungshaus
Ulm/dpa. - Tränen fließen bei der Einschulung jetzt kaum noch an der Regenbogenschule in Ulm-Wiblingen. Die meisten ABC-Schützen kennen ihre neue Heimat schon ganz gut.
Schließlich haben sie im vergangenen halben Jahr bereits mindestens ein Mal wöchentlich in den Unterricht herein geschnuppert und ihre neuen Kameraden und Lehrer kennengelernt. Die Grundschule und der 200 Meter entfernte städtische Kindergarten haben auf Initiative der Stadt ein sogenanntes Bildungshaus gegründet, in dem Grundschul- und Kindergartenkinder gemeinsam lernen und spielen können.
Die beiden Einrichtungen ergänzen sich nach Ansicht der stellvertretenden Schulleiterin Viktoria Kloos gut. «Der Kindergarten hat zum Teil naturwissenschaftliche Angebote, die wir nicht haben und wir beobachten auch, wie gut unseren Kindern das Spielen tut.» Allerdings gehen die Schüler nicht nur zum Spaß an den Kindergarten zurück. Sie bekommen auch gezielte Aufgaben, müssen den Kleinen etwas vorlesen oder die Werkzeuge im Werkraum auf Vollständigkeit überprüfen. Dafür müssen sie sich durchaus vorbereiten und etwa die Texte etwa zu Hause üben - schließlich soll laut und flüssig vorgelesen werden.
Die Kindergartenkinder profitieren im Gegenzug davon, dass sie lernen, wie der Schulbetrieb funktioniert. Sie setzen sich etwa mit in die Klassen, bekommen kleine Arbeiten oder setzen sich gemeinsam mit den Erst- und Zweitklässlern an den Computer, um ein Sprachlernprogramm kennen zu lernen.
Chancen sieht Kloos in einem solchen Bildungshaus - wenn es mit Konsequenz umgesetzt wird - unter anderem für hochbegabte Kinder. Sie bekämen ihr geistiges «Futter» in der Schule, könnten aber weiterhin im Kindergarten bei ihren Freunden bleiben, wo die sozialen Kompetenzen stärker gelehrt würden. «Hochbegabte Kinder sind in sozialen Bereichen häufig eher unterentwickelt, weil alles ins kognitive schießt» sagt Kloos.
Was in Ulm seit Jahren gut funktioniert, soll nun auf das ganze Land ausgeweitet werden. Das Interesse ist groß: 93 Grundschulen und 134 Kindergärten hatten sich um 20 Modellprojektplätze beworben. In den kommenden sieben Jahren erhalten die teilnehmenden Grundschulklassen drei zusätzliche Lehrerwochenstunden. Das Bundesbildungsministerium stellt Mittel in Höhe von 3,71 Millionen Euro für eine Bewertung des Projektes bereit. Kindergärten und Grundschulen können sich durch so einen pädagogischen Verbund gegenseitig bereichern, heißt es in der Ausschreibung des Kultusministeriums Baden-Württemberg.
«Das Miteinander von Kindern verschiedener Altersstufen ist durch das fast weggefallene Geschwisterlernen ein pädagogischer Mehrwert, der im Bildungshaus gelebt und erprobt werden kann», heißt es weiter. Empirisch bewiesen ist der Mehrwert dieser sogenannten erweiterten Altersmischung (eAM) allerdings nicht. «Empirische Forschungsbefunde zu Formen der eAM haben Seltenheitswert», schreibt der emeritierte Professor für Allgemeine Pädagogik der Universität Tübingen, Ludwig Liegle, in einem jüngst erschienenen Fachartikel. Insbesondere gelte dies für die Frage nach den Auswirkungen auf die Entwicklungs- und Bildungsprozesse der Kinder.
Liegles Ansicht nach steht und fällt der Mehrwert solcher eAM mit der Qualität der Rahmenbedingungen und wie gut Kindergarten und Schule ihre verschiedenen pädagogischen Konzepte vereinbaren können. Diese Ansicht teilt auch Kloss. Zwar seien sie personell und finanziell von der Stadt sehr gut ausgestattet worden, aber «wir reiben uns oft», sagt sie - allerdings auf eine konstruktive Art und Weise. So gelte es etwa das Konzept des Kindergartens, das spielerische «Lernen durch Selbstbildung», mit dem systematischeren Ansatz der Schule, der die Bildung an die Kinder von außen heranträgt, zu verknüpfen. Dabei müssten die Schulen auch versuchen, der Selbstbildung mehr Raum zu geben.
An der Regenbogenschule und dem Kindergarten an der Lindauer Straße ist man dem Ideal schon etwas näher gekommen. Anlass für die Kooperation waren ernüchternde Erfahrungen nach Einschulungstests. Noch 1998 wurde jedes zehnte Kind zurück in den Kindergarten geschickt. «Da haben wir gemerkt, es gibt irgendwo ein Problem beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule», sagt Kloos. Dieses Problem ist durch die Durchlässigkeit verringert worden. Seit etwa zehn Jahren haben die beiden Einrichtungen ihre Kooperation ausgebaut - bis zum Bildungshaus das jetzt in ganz Baden-Württemberg Schule machen soll.
Weitere Informationen: www.kindergaerten-bw.de