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Jugendliche als Richter: Teen Courts in Hessen

Von Angela Schiller 19.05.2008, 09:58

Wiesbaden/dpa. - Jugendliche richten über gleichaltrige Straftäter: Das amerikanische Modell der Teen Courts macht auch in Hessen Schule. Das Pilotprojekt in Wiesbaden ist knapp drei Jahre nach dem Start so erfolgreich, dass es auf Limburg ausgedehnt werden soll.

Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren, sagte Projektleiter Rolf Nucklies in Wiesbaden: «Nach den Sommerferien wird es mit dem ersten Fall losgehen.» Derzeit würden etwa 20 Jugendliche aller Schulformen im Alter von 14 bis 19 Jahren für die Aufgabe in Limburg ausgewählt und geschult.

Die Straftaten, mit denen sich die «Schülerrichter» befassen müssen, sind zu 90 Prozent Ladendiebstähle - vom Lippenstift bis zum MP3-Player. Aber auch Schwarzfahren, Fahren ohne Führerschein, Sachbeschädigung, Missbrauch von Notrufen oder Körperverletzung gehören zu den Delikten. Die Staatsanwaltschaft kann solche «leichten Fälle» den Teen Courts aus jeweils drei Schülern zuweisen. Wenn die Beschuldigten die vom Schülergremium vorgeschlagene Maßnahme erfolgreich hinter sich bringen, wird das Verfahren im Regelfall ohne Erhebung einer Anklage eingestellt.

Grundidee des «kriminalpädagogischen Jugendprojekts» ist, dass sich jugendliche Täter im Gespräch mit Gleichaltrigen eher vom Unrecht ihrer Tat überzeugen lassen. «Am Anfang ist es ihnen meist peinlich, aber dann ist das Eis meist schnell gebrochen», sagt Nucklies. Viele seien sogar froh, dass ihnen endlich jemand einmal richtig zuhöre und ihnen Hilfestellung zur Bewältigung ihrer Probleme anbiete. Der Diplomsportler Nucklies hält sich bei den meist 40- bis 60-minütigen «Verhandlungen» im Hintergrund. Da er im Gegensatz zu den Schülern die Akte des «Angeklagten» kennt, kann er bei Bedarf eingreifen: «Wenn ich merke, dass geschwindelt wird, kann ich ihnen sagen: Fasst doch da nochmal nach!»

Bei den Sanktionen sind die bisher tätigen 24 «Schülerrichter» in Hessen sehr kreativ. So musste ein Ladendieb, der Schreiner werden wollte, die Ahndung von Diebstählen im Mittelalter recherchieren - und einen Handpranger bauen. Ein Jugendlicher, der mit seinem frisierten Mofa zu schnell gefahren war, musste den Bremsweg mit 45 Stundenkilometern berechnen und bei der Versicherung nachfragen, welcher Schaden bei einem Unfall übernommen worden wäre. Andere Delinquenten mussten auf ein T-Shirt einen Spruch gegen Diebstahl sticken oder malen. Zum Strafenkatalog gehören auch das Einkassieren des Handys, das Ablegen eines Sportabzeichens oder die Arbeit im Altenheim.

Seit dem Start des Modellprojekts in Wiesbaden wurden 130 Fälle von den Teen Courts behandelt. Nur jeder zehnte Straftäter wurde rückfällig - die Quote im Jugendstrafrecht liege bei knapp 80 Prozent, sagte Oberstaatsanwalt Hans-Josef Blumensatt. Allerdings seien beide Zahlen kaum vergleichbar: Die Schülergerichte urteilten nicht über Intensivtäter. «Wir haben hier den unteren Bereich der Kriminalität - und die Täter sind bereit mitzuwirken.» Deshalb seien Teen Courts nur eine sinnvolle Ergänzung, aber kein Ersatz für Jugendgerichte.

Die Wiesbadener CDU-Bundestagsabgeordnete Kristina Köhler lobt die engagierte Arbeit in der hessischen Landeshauptstadt. «Wenn das Projekt in Limburg auch erfolgreich ist, werde ich mich dafür einsetzen, dass es auf ganz Hessen ausgedehnt wird», sagt Köhler. Auch bundesweit versuche sie, dafür zu werben - denn bislang gibt es Teen Courts nur in einigen wenigen Städten mit Schwerpunkten in Bayern, Nordrhein-Westfalen sowie in Hamburg.