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Jugend Jugend: Klatschen, Tratschen, Lästern

Von Vivien Rehder 20.11.2002, 10:55
Lästern ist normal: Jugendliche stärken ihr Selbstbewusstsein oft beim Tratschen auf Kosten Dritter. (Foto: Stolt/dpa/gms)
Lästern ist normal: Jugendliche stärken ihr Selbstbewusstsein oft beim Tratschen auf Kosten Dritter. (Foto: Stolt/dpa/gms) Stolt

Freiburg/Hamburg/dpa. - Drei Mädchen bummeln durch die Hamburger Innenstadt. Im Gedränge stöckelt eine auffällig gestylte Frau in engen Lacklederhosen, knappem Leopardenfell-Top und grellem Make-Up auf sie zu. Sie zieht verstohlene Blicke auf sich, und kaum ist die schrille Erscheinung außer Hörweite, bricht Gekicher und Geschnatter unter den Mädchen aus: «Habt Ihr die gesehen?» Das Urteil ist schnell gefällt: «krass», «bescheuert», «nicht ganz dicht».

Jugendliche können gnadenlos sein - besonders in ihrem Urteil über Nicht-Anwesende. In vertrauter Runde ziehen Teenager oft genüsslich über Dritte her. Ob im Klassenzimmer, im Sportverein oder im Läster-Chatroom auf der «Bravo»-Internetseite - getrascht wird überall. Für die Betroffenen ist Klatsch nicht angenehm, dabei werden sie oft nur zufällig zu Opfern: Teenie-Idole wie Britney Spears kann es ebenso leicht treffen wie die ehemals beste Freundin.

Geläster, das auf den ersten Blick hinterhältig und gemein wirken kann, ist meist überhaupt nicht böse gemeint, sagt der Familien- und Jugendpsychologe Helmut Wetzel von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. «Wenn Jugendliche über andere herziehen, geht es nicht darum, jemandem zu schaden», so der Therapeut. «Vielmehr sind Klatsch und Tratsch für Teenager ein Mittel, Bestätigung für ihre Identität zu finden und den Zusammenhalt in der Gruppe zu stärken.»

Lästern über andere sei normal und gehöre zum Erwachsenwerden dazu, sagt auch der Jugendpsychologe Laszlo Pota aus Hamburg. «Jugendliche in der Pubertät sind auf der Suche nach eigenen Normen, Werten und Standpunkten.» Deshalb sei es für junge Menschen wichtig, sich mit anderen zu vergleichen, mit Gleichaltrigen auseinander zu setzen und so Distanz oder Gemeinsamkeiten zu finden.

Und Pota betont die positiven Seiten des Klatsches: «Es hilft auch, sich in einer schnelllebigen Welt zu behaupten, außerdem hat es etwas Erleichterndes.» Gerade Jugendliche stehen zwischen Erwartungen von außen und der eigenen Unsicherheit stark unter Druck. Deshalb sei Lästern ein willkommenes Ventil. «Das ist oft besser als direkte Aggressionen.»

Auch für das Selbstbewusstsein und die Selbstbestätigung kann Tratschen hilfreich sein, sagt Psychologe Wetzel, der selbst zwei Töchter im Teenie-Alter hat. «Jugendliche tratschen und lästern besonders gern über andere, wenn es um Bereiche geht, die sie selbst verunsichern.» So lästerten Mädchen mit Vorliebe über Figur und Schönheitsmängel Gleichaltriger, während sich bei Jungen alles um die Männlichkeit drehe.

«Der ist schwul» sei unter Jungen in der Pubertät das beliebteste aller vernichtenden Urteile, so Wetzel. «Dabei geht es aber nicht wirklich darum, ob jemand homosexuell ist.» Jungs suchten die Bestätigung ihrer eigenen Männlichkeit, indem sie andere als schwul bezeichnen.

Lästern sei vor allem Mädchensache, sagt hingegen Psychologie-Professor Thomas Bliesener von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. «Wer hinter dem Rücken lästert, greift den anderen damit indirekt an.» Das sei ein typisch weibliches Verhalten. «Jungs und erwachsene Männer attackieren ihre Gegner lieber direkt - mit Worten oder körperlicher Gewalt.» Offene Aggression von Frauen sei dagegen gesellschaftlich nicht akzeptiert - daran orientierten sich auch Mädchen im Teenageralter.

«Jugendliche festigen auch ihre Bindungen untereinander, indem sie gemeinsam über Dritte herziehen», sagt Bliesener. «Wenn man jemanden schlecht macht und mit Gerüchten gezielt ausgrenzt, kann das die eigenen Beziehungen zu den Freunden stärken.» Auch in dieser Hinsicht seien Mädchen die größeren Lästermäuler, weil feste, intime Beziehungen für sie wichtiger seien als für Jungen. «Mädchen legen Wert darauf, sich ihrer besten Freundin anzuvertrauen und Geheimnisse mit ihr teilen zu können», sagt der Psychologe. Jungen bräuchten dagegen eher eine größere, lockere Gruppe, mit der sie Fußball spielen und etwas unternehmen könnten.

Entscheidend beim Lästern ist laut Bliesener die Absicht, die dahinter steht: «Wenn es nicht gezielt geschieht, um jemandem zu schaden, ist Lästern harmlos.» Aber auch ohne böse Absicht wird Klatsch und Tratsch für die Opfer schnell verletzend. Als Spielregel für den fairen Umgang empfiehlt der Jugendberater und Therapeut Laszlo Pota, öfter mal ein offenes Wort zu wagen. Sein Rat an Jugendliche: Mehr miteinander als übereinander reden und mehr Toleranz für andere aufbringen - auch wenn sie Lacklederhosen zum Leopardenfell-Top tragen.