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Im Zweifel im (Straßen- Im Zweifel im (Straßen-)Recht: Rechtsanwalt beantwortet Fragen zu Bußgeldern

Von Max Hunger 17.06.2020, 06:00

Leipzig - Seit der neue Bußgeldkatalog am 28. April in Kraft getreten ist, greifen in Deutschland härtere Strafen für Temposünder: Wer etwa innerorts mit 21 Kilometern pro Stunde zu viel geblitzt wird, dem droht nun ein Monat Fahrverbot.

In vielen Fällen lässt sich die Strafe jedoch abmildern oder ganz abwenden, meint Rechtsanwalt Christoph Lattreuter. Mit seiner Kanzlei WKR-Rechtsanwälte in Leipzig hat sich der „Geblitzt.de“-Gründer unter anderem auf Bußgeldrecht spezialisiert. Im Facebook-Live-Chat hat er die Fragen der MZ-Leser beantwortet.

Liane Geipel: Ich bin außerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit 27 Kilometern pro Stunde (km/h) zu viel geblitzt worden. Das Strafmaß finde ich sehr hoch. Bestehen für mich Möglichkeiten, die Strafe zu mildern?

Lattreuter: Wir haben hier ungefähr eine Erfolgschance von 35 Prozent. Beurteilen kann man das aber erst, wenn man die Akte gesehen hat. Deshalb ist mein Rat: Gehen Sie zum Anwalt und lassen Sie sich zumindest die Bußgeldakte schicken. In vielen Fällen ist etwas zu machen.

Anita Pflug: Ich wurde mit mehr als 20 km/h zu schnell in einer 30er-Zone geblitzt. Ich bin aus einer Nebenstraße eingebogen, von der aus das Schild schwer einsehbar ist. Aufgrund einer Thrombose bin ich auf den Führerschein angewiesen. Gibt es einen Weg, das Fahrverbot zu umgehen?

Lattreuter: Grundsätzlich wäre es ein Argument, wenn Sie das Schild nicht sehen können. Aber man muss intensiv prüfen, ob der Fahrer das Verkehrszeichen nicht sehen konnte - oder es einfach übersehen hat. Wenn jemand tatsächlich auf den Führerschein angewiesen ist, gibt es oft Möglichkeiten, ihn zu behalten. Eventuell gegen eine höhere Geldbuße. Sie sollten das aber aktiv anbringen. Spätestens das Gericht wird definitiv darauf eingehen. Es wird aber ein Beweis dafür benötigt. In diesem Fall ist ein Gutachten vom Arzt hilfreich, das belegt, dass Sie wirklich auf den Führerschein angewiesen sind.

Tanja Erhardt: Ich wurde in einer 70er-Zone außerorts mit 13 km/h zu schnell geblitzt. Ich habe das Schild nicht gesehen, da ich durch ein riesiges Werbeschild abgelenkt war. Das stand etwa auf der Höhe des Verkehrsschildes. Ist das ein Grund für einen Einspruch und kann es passieren, dass es durch den Einspruch teurer wird?

Lattreuter: Man kann versuchen, dagegen vorzugehen, aber eigentlich ist das Abgelenktsein kein Argument. Ich habe als Autofahrer auf die Schilder am Straßenrand zu achten. Es gab aber schon Fälle, bei denen besonders provokante Werbeschilder für Unfälle gesorgt haben. In diesen Fällen kann es bei einer Strafbemessung berücksichtigt werden. Im vorliegenden Fall glaube ich nicht, dass es bei einem Einspruch teurer wird. Grundsätzlich ist auch das aber möglich. Denn bei einem Einspruch wird die Strafe von einem anderen Mitarbeiter immer neu gewürdigt.

Lutz Werner: Ich wurde per Videoaufzeichnung durch einen PKW im laufenden Verkehr auf der Autobahn gefilmt. Die Aufzeichnung wurde mir nicht gezeigt. Was kann ich tun?

Lattreuter: Als Betroffener habe ich das Recht, das Video zu sehen. Ein Anwalt kann es sich in die Kanzlei bestellen, ein Mandant muss dazu meist in die Bußgeldstelle kommen. Anhand des Videomaterials sollte man beurteilen, ob sich ein Einspruch lohnt. Bei der Messung durch hinterherfahrende Autos gilt hierbei meist ein höherer Toleranzabzug. Grundsätzlich sind die Videomessungen sehr genau, daher wird es eher schwierig.

Jutta Mehler: Ich bin mit 22 km/h laut digitalem Tachostand in einem verkehrsberuhigten Bereich geblitzt worden. Welche Geschwindigkeit wird hier angesetzt?

Lattreuter: Grundsätzlich gilt hier Schrittgeschwindigkeit. Die liegt bei ungefähr zehn km/h. Der Blick auf den Tacho hilft hier aber wenig. Die tatsächliche Geschwindigkeit kann je nach Alter des Autos unterschiedlich stark variieren - auch bei einem digitalen Tacho. Was zählt, ist die digitale Messung des Radargerätes.

Thomas Brosig: Ich wurde in einer verkehrsberuhigten Zone geblitzt. Das Blitzerfahrzeug stand entgegengesetzt zur Fahrbahn in einer Einbahnstraße im Parkverbot. Ist das Ordnungsamt berechtigt, beim Aufstellen mobiler Blitzer gegen die Straßenverkehrsordnung zu verstoßen?

Lattreuter: Ja. Selbst, wenn ein Verstoß der Behörde vorläge, hätte das keine Auswirkungen auf das Vergehen. Sie können aber die Messung selbst überprüfen lassen.

Stephan Nespetha: Ich wurde mit 22 km/h zu schnell in der Ortschaft geblitzt. Ich bin Wiederholungstäter, die Frist des letzten Verstoßes läuft im August aus. Muss ich mit einem längeren Fahrverbot rechnen?

Lattreuter: Nein, es bleibt bei einem Monat. Früher war es so, dass bei einem zweiten Verstoß innerhalb eines Jahres mit mehr als 25 km/h zu viel der Führerschein weg war. Das gibt es nach dem neuen Recht nicht mehr.

Tania Hauer: Im September 2019 bin ich in Polen geblitzt worden. Bis jetzt habe ich keine Strafe bekommen. Wie lange dauert es, bis Bescheide aus dem Ausland kommen?

Lattreuter: Dass der Bescheid noch nicht da ist, liegt am langen Weg aus dem Ausland. Meistens wird die Strafe aber kommen. Die Hoffnung, einer Strafe zu entgehen, wenn man im Ausland geblitzt wurde, erfüllt sich selten. Die deutschen Behörden stellen meist ein entsprechendes Dokument in deutscher Sprache zu.

Frank Schäfer: Ich wurde mit dem Motorrad in einer 120er-Zone gefilmt. Ein Auto hat mich von hinten bedrängt. Ich habe beschleunigt, um mehr Abstand zu bekommen. Das Filmmaterial zeigt bei 180 km/h einen Abstand von weniger als drei Metern zum Fahrzeug hinter mir. Was kann ich tun?

Lattreuter: Durch die Nötigung des anderen Fahrers haben Sie sich als Motorradfahrer in einer Notlage befunden. Aber das müssen Sie gegebenenfalls auch beweisen können. In solchen Fällen kann eine sogenannte Dashcam helfen, die den laufenden Verkehr filmt. Die Aufnahme kann der Betroffene vor Gericht vorlegen.

Bernd-Ulrich Hasse: Was passiert bei einer Abstandsmessung? Ich wurde bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h überholt. Der Überholende ist aber nur 25 Meter vor meinem Auto wieder eingeschert.

Lattreuter: Bei Abstandsverstößen wird über eine längere Strecke von mehr als 100 Metern gemessen. Derjenige, der das Messgerät auswertet, wird dann sehen, dass der andere Fahrer eingeschert ist. Dann wird er das Messfoto in der Regel aussortieren. Wenn die Behörde darauf nicht eingeht, schauen Sie sich das Material selbst oder mithilfe eines Anwalts an.

Sandra König: Was kann ich gegen ein mögliches Fahrverbot tun, wenn ich beruflich auf meinen Führerschein angewiesen bin?

Lattreuter: Diesen Umstand sollten Sie unbedingt bei der Bußgeldstelle oder bei einem Gericht darlegen. Wenn jemand auf den Führerschein angewiesen ist, gibt es oft die Möglichkeit, diesen zu erhalten.

Allerdings müssen Sie gegebenenfalls beweisen können, dass Ihr Arbeitgeber zwingend Ihre Mobilität verlangt und Ihnen andernfalls ohne Führerschein die Kündigung droht. (mz)