Hunde brauchen ausreichend Freilauf
Kiel/dpa. - In manchen Großstädten und Kommunen gilt für Hunde ein genereller Leinenzwang. Begründet wird dies meist mit der Gefahr, die von unangeleinten Hunden ausgehen kann. Als Argument dienen dann häufig Beißstatistiken.
Hunde brauchen nach Einschätzung von Experten allerdings die Möglichkeit, sich auch einmal ohne Leine zu bewegen. Der Generalverdacht, dass Hunde gefährlich sein könnten, reiche auch nicht aus, um einen generellen Leinenzwang für alle Hunde zu erlassen, sagt Thomas Schröder, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Tierschutzbundes in Bonn.
Er verweist auf ein Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 27. Januar 2005 (Az.: 11 KN 38/04). Danach wird ein genereller Leinenzwang für Hunde, wie ihn die niedersächsische Stadt Hemmingen eingeführt hatte, als unverhältnismäßig eingestuft. In Einzelfällen könne mit entsprechenden Verfügungen gegenüber dem jeweiligen Hundehalter reagiert werden, argumentierte das Gericht.
«Der Deutsche Tierschutzbund begrüßt das Lüneburger Oberverwaltungsgerichts-Urteil als richtungweisend», sagt Schröder. «Die Vorstellung, ein ständig angeleinter Hund wäre automatisch unter der Kontrolle seines Menschen, ist auch falsch», sagt Dorit Urd Feddersen-Petersen, Fachtierärztin für Haustierkunde und Ethologin (Verhaltensforscherin) an der Universität Kiel. Denn Hundeleinen könnten etwa durch Reißen oder Losreißen des Hundes versagen. Sicherer seien gut erzogene, auf Menschen fixierte Tiere.
«Hunde verfügen als domestizierte Wölfe über ein ausgeprägtes Laufbedürfnis, das an der Leine nicht befriedigt werden kann», erläutert die Wisssenschaftlerin. Über die reine Fortbewegung hinaus nehmen sie beim Freilauf Umgebungsreize wahr, die ihr natürliches Bedürfnis zur Informationsaufnahme erfüllen.
Ein ständig angeleinter Hund kann sich laut Feddersen-Petersen aber nur auf Strecken bewegen, die sein Begleiter unter rein menschlichen Aspekten auswählt. Durch den Leinenzwang verringere sich die erfahrbare Reizvielfalt für den Hund. Durch fehlende Reizvielfalt könnten sich «gravierende Verhaltensstörungen» entwickeln.
Häufige Kontakte zu Artgenossen - ohne angeleint zu sein - sind für Hunde wichtig. «Fehlen diese Kontakte, kommt es zu Verhaltensstörungen durch sozialen Erfahrungsentzug», sagt Feddersen-Petersen. Angeleinte Hunde können soziale Kontakte zu Artgenossen nur bedingt und unter starken Einschränkungen erleben. Gesteigerte Aggressivität könne eine Folge sein. Gut geführte Hundeschulen und Welpen-Stunden seien eine gute Alternative insbesondere in Ballungszentren, in denen Hunde wenig Sozialkontakt zu Artgenossen haben könnten.
«Eine generelle Anleinpflicht besteht bundesweit nicht», erläutert Schröder. Jede Kommune könne Bestimmungen hierüber selbst erlasssen. Bei Hundebesitzern führe diese Regelung zu Verunsicherung. Denn schon bei einem Besuch in einer anderen Gemeinde wisse der Besitzer nicht, welche Vorschriften dort zu beachten sind.
Auch bei einem Umzug könne es Schwierigkeiten geben, da bundeseinheitlich nicht geregelt ist, welche Rassen als gefährlich gelten. In den verschiedenen Bundesländern schwanke diese Zahl zwischen sechs und zwölf. Daher ist es dem Tierschutzbund zufolge grundsätzlich ratsam, wenn sich die Halter bei der jeweiligen Gemeinde nach den aktuellen Regelungen erkundigen.
Aber auch in Gemeinden, in denen es keine generelle Leinenpflicht gibt, ist oft ein ausreichender Freilauf von Hunden nicht möglich. «Die Hamburger Hundeverordnung lässt zwar zu, dass Hunde ohne Leine in der Stadt mit Ausnahme von Einkaufszentren und Menschenansammlungen frei laufen dürfen», sagt Jule Thumser vom Verein Hundelobby Hamburg. Ein faktischer Leinenzwang bestehe allerdings durch die seit 1957 geltende Grünlagenverordnung. Danach muss jeder Hund in Parks und Grünanlagen angeleint werden.
«Kommunen, die in Innenstädten beispielsweise einen Leinenzwang verhängt haben, müssen ausreichend Auslaufflächen für Hunde schaffen», fordert Schröder. Und solche Flächen seien nur dann sinnvoll und im Alltag nutzbar, wenn sie zu Fuß oder zumindest mit dem Bus erreichbar sind. Nur mit dem Auto erreichbare Flächen außerhalb der Stadt hätten für viele keinen praktischen Nutzen. «Das Freilaufgebiet muss auch ausreichend groß sein, damit es nicht zu einer Reizüberflutung bei Hunden kommt», betont Feddersen-Petersen.