Hausmannskost Hausmannskost: Renaissance der deutschen Küche

Ebnisee/Naurath/dpa. - Die deutsche Küche erlebt bei Feinschmeckern und Spitzenköchen eine Renaissance. Nach Nouvelle Cuisine, Cross-Over, Sushi und exotischen Fleischgerichten kehren Genießer zurück zu den Wurzeln. Auch Fernsehköche und Verleger von Kochbüchern haben deutsche Küchenklassiker wiederentdeckt. Dabei sind Rouladen, Braten, Sülzen und hausgemachte Eintöpfe nicht nur in Landgasthöfen gefragt: Frisch zubereitete Gerichte mit Produkten aus der Region geben in Zeiten von Lebensmittelskandalen und fragwürdigen Zusatzstoffen in Fertigprodukten auch Hobbyköchen daheim Sicherheit.
«Zurück zu Mutters Küche mit Rezepten von heute» nennt Fernsehkoch Alfred Biolek den Trend in seinem mit Eckart Witzigmann zusammengestellten Kochbuch «Rezepte, wie wir sie mögen». Klassiker wie Linseneintopf, Wurstsalat, Blutwurst mit Bratkartoffeln, Hühnerfrikassee und Königsberger Klopse kommen hier zu neuen Ehren.
«Wir müssen uns endlich darauf besinnen, auf die Esskultur in Deutschland stolz zu sein», fordert Ernst-Ulrich Schassberger von der Initiative Eurotoques Deutschland in Ebnisee bei Freiburg. Bisher seien nur Anfänge zu bemerken. Schon seit 1986 hat sich Eurotoques der Bewahrung des kulinarischen Erbes verpflichtet. Hier zu Lande gehören ihr 420 Restaurants an, die gemäß der Eurotoques-Philosophie eine traditionell-handwerkliche Küche mit unverfälschten Lebensmitteln vorzugsweise aus der Region und der Saison anbieten.
In den kargen Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg dachte niemand an ausgefeilte Rezepturen. Wer schwer arbeitete, wollte einfach satt werden. In den Jahren des Wirtschaftswunders galt die Vorliebe beim Essen dem Italiener, Jugoslawen und Griechen um die Ecke. Nach und nach kamen chinesische Restaurants in die Städte. Später wurde Exotisches beim Thailänder, Inder oder Mexikaner selbstverständlich. Dann galt Suhsi als schick. Deutsche Gerichte verschwanden zusehends von der Speisekarte.
In die deutsche Spitzengastronomie zog durch Vorreiter Eckart Witzigmann Mitte der achtziger Jahre die Nouvelle Cuisine ein. Kleine Portionen, leichte Gerichte und viel Dekoration für das Auge - fast alles französisch oder international angehaucht. «Wir lernten Ikebana auf dem Teller und Gemüseschnitzereien», sagt Sternekoch Harald Rüssel vom «Landhaus St. Urban» in Naurath/Wald bei Trier. Danach eroberte Cross-Over die Teller. Im Kochtopf sammelten sich Einflüsse aus aller Welt. Von deutscher Küche jedoch fehlte jede Spur.
«Inzwischen gibt es einen klaren Trend zu regionalen Produkten und zur deutschen Küche», sagt Sternekoch Rüssel, der auch der Vereinigung Jeunes Restaurateurs d'Europe in Deutschland vorsteht, einem Zusammenschluss von jungen Spitzenköchen. «Der kürzeste Weg der Produkte in die Küche ist der beste Weg.» Für den Vordenker ist eine spannende und interessante Zeit angebrochen. Der Meisterkoch verwendet in seinem Landhaus fangfrischen Fisch aus der Mosel, Käse aus der Eifel oder dem Hunsrück sowie heimisches Steinofenbrot. Das Fleisch liefern zwei Metzger aus der Umgebung, mit denen Rüssel auch rustikale Wurstsorten kreiert. «Wir haben hier zu Lande eine wunderbare Wurst- und Brotkompetenz», sagt er.
Auch Herbert Langendorf vom Historischen Landgasthof «Zur Traube» in Meddersheim (Rheinland-Pfalz) gehört zu den Köchen, die sich zu unverfälschten regionalen Gerichten bekennen. Sauerkrautsuppe, geschmorte Rinderbäckchen, Ochsenschwanz, Kalbsnierchen oder gebratene Blutwurst mit Kartoffelsalat stehen auf seiner Speisekarte. Um von diesen exotischen Gerichten aus der Heimat zu kosten, nehmen Gäste aus Mainz, Wiesbaden oder Frankfurt/Main den weiten Weg bis nach Meddersheim in Kauf. «Es ist die Rückbesinnung auf das, was es nur noch in wenigen alten Landgasthöfen gibt.» Jeder esse Schmorgerichte gern, aber kaum jemand koche sie noch selbst.
Immer mehr Verbraucher bevorzugen Lebensmittel von Produzenten, zu denen sie Vertrauen haben, ist Schassbergers Beobachtung: «Die Leute sind durch die Lebensmittelskandale angekratzt.» Bei seinen Gästen bemerkt Harald Rüssel eine «neue Bescheidenheit. Sie möchten, dass das, was sie essen, seinen Preis wert ist.» Für Profiköche allerdings sei es immer noch riskant, sich offen zu deutschen Wurzeln zu bekennen, wenn sie mehrere Sterne im Koch-Olymp anstreben.
Hobbyköche am Herd zu Hause können ihre neue Heimatliebe ganz offen ausleben. Viele haben ihren Appetit auf Fremdes gestillt. Galt Hausmannskost vor einiger Zeit noch als zu fett und zu langweilig, kommen abgespeckte Klassiker bei Familie und Gästen gut an. Aber nur wenige wissen noch, wie Rouladen, Schweinebraten oder ein schmackhaftes Gulasch zubereitet werden. «Bei uns wird kaum noch selbst gekocht. Da haben wir unglaublich Nachholbedarf», so Schassberger. Er empfiehlt Kochkurse zur Auffrischung der Kenntnisse.
«Bei allen Klassikern müssen Korrekturen angebracht werden», sagt Axel Rühmann, Vizepräsident des Verbandes der Köche Deutschlands in Frankfurt. Wer nicht mehr schwer körperlich arbeitet, sollte leicht und fettarm essen. Bei der Zubereitung sollte deshalb tierisches Fett durch pflanzliches Öl ersetzt werden. «Sauerkraut bleibt zwar Sauerkraut, aber das Schweineschmalz fällt weg.» Leberknödel schmecken auch dann gut, wenn eine Hälfte vom Schwein und eine vom Geflügel sei. Die neue Lust an abgespeckter Hausmannskost macht für den Experten jedoch nur dann Sinn, wenn alles tatsächlich hausgemacht, also frisch zubereitet ist.