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Hamburger Popkurs - Talentschmiede für Musiker

Von Dorit Koch 16.08.2007, 09:33

Hamburg/dpa. - Die Band Wir sind Helden hat es geschafft - die Popkurs-Teilnehmer träumen noch davon. Einst besuchten auch die Helden den renommierten Studiengang an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.

Die Bandmitglieder fanden sich hier zusammen und starteten dann mit Liedern wie «Guten Tag», «Müssen Nur Wollen» oder «Die Zeit Heilt Alle Wunder» ihren Siegeszug in die Charts. Doch während die Band ihr drittes Album herausgebracht hat, werden die Nachwuchsmusiker im Unterrichtsraum erst einmal auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Draußen scheint die Sonne vom wolkenlosen Himmel, drinnen doziert PR-Profi Elfi Küster über die Schattenseiten des Showgeschäfts: «Das Musik-Business ist hart!», sagt sie und legt in noch härterem Ton nach: «Vergesst nie: Kein Mensch da draußen wartet auf Euch!»

Doch wer erst einmal einen Platz im Popkurs ergattert hat, lässt sich so leicht nicht unterkriegen. Die Beispiele dafür, dass die Ausbildung als eine der erfolgreichsten Talentschmieden in Deutschland gilt, sind nahezu jeden Tag in den Medien präsent. Der Studiengang, der in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag feiert, kann viele prominente Absolventen vorweisen, die den Weg nach oben geschafft haben: Musical-Star Ute Lemper oder Sänger Michy Reincke gehörten zu den ersten Teilnehmern in den 80er Jahren, Chansonnier Tim Fischer und Musiker der Bands Seeed oder Die Happy studierten hier in den 90er Jahren, Mitglieder der Gruppe Revolverheld trafen sich im Kurs 2002. Andere stehen mit Rosenstolz, Annett Louisan, Stefan Gwildis oder Roger Cicero auf der Bühne.

Zwischen 50 und 60 hoffnungsvolle Talente dürfen jährlich an den sechswöchigen Kursen, die auf zwei Staffeln im März und August aufgeteilt sind, teilnehmen. Ausgewählt aus rund 600 Bewerbungen von Vokalisten, Instrumentalisten, Songwritern und Performern - nach strengsten Kriterien. «Wer hierher kommt, muss sein Handwerk schon beherrschen. Bei uns bekommt er den Feinschliff», erklärt Katja Kaye Bottenberg von der Geschäftsleitung. «Vor allem aber erhält er die Chance, andere Profi-Musiker zu treffen, sich mit ihnen auszutauschen und gemeinsam zu spielen.» So ist der Stundenplan denn auch prallvoll gefüllt mit Groove-Kursen, Workshops wie «Gesang für Nichtsänger», «So viel Reim muss sein» oder «Englisch Texten» sowie jeder Menge Bandproben.

«Den ersten Eindruck kann man nur einmal machen» heißt Küsters Workshop. Die erfahrene PR-Frau weiß, wovon sie spricht. Seit mehr als drei Jahrzehnten ist sie im Geschäft, betreut mit ihrer Agentur KüsterCom Künstler wie Cicero oder Gwildis. Den hoffnungsvollen Talenten, die sich im Seminarraum vor ihr drängen, erzählt sie einige Anekdoten aus Interviews und von Fotoshootings. Interessiert lauschen die Nachwuchskünstler, wenn Küster ihnen von der Medienstrategie einiger Stars berichtet. «Madonna etwa ist ein Profi im Umgang mit Journalisten», erzählt sie über den Pop-Star, der seit mehr als 20 Jahren Erfolge feiert. «Medienarbeit ist zu wichtig geworden, als dass Ihr sie komplett aus den Händen geben könntet. Betrachtet sie als Euer ureigenstes Ding», legt sie den Studenten ans Herz.

Nicht nur Studenten hören dem PR-Profi zu, gleich in der ersten Reihe sitzt Jane Comerford. Die Sängerin der Country-Band Texas Lightning («No No Never»), die mit TV-Komiker Olli Dittrich am Schlagzeug im Jahr 2006 für Deutschland beim Eurovision Song Contest angetreten ist, gehört fast seit Anfang an zu den Stamm-Dozenten. Der Erfolg solcher Absolventen wie Wir sind Helden locke Bewerber mit ähnlichen Zielen an. «Unsere Teilnehmer wollen den Erfolg, aber dabei unangepasst bleiben», sagt die gebürtige Australierin. «Wir bringen Musiker, die bereits ein hohes Niveau haben, zusammen. Das ist unglaublich spannend und inspirieren», meint Comerford, die in ihren Workshops Gesangstipps gibt. Und nicht nur dort: ProSieben holte sich Comerford in die Jury seiner «Popstars»-Castingshow.

«Man kann den einen oder den anderen Weg zum Erfolg wählen - beide sind legitim», sagt Comerford über Popkurs und TV-Show. Eine Startrampe in die Charts bieten beide Formen. Doch während die TV-Castings manchen Kandidaten fast über Nacht ins Scheinwerferlicht katapultieren, setzt der Popkurs weniger auf den schnellen, wohl aber auf den anhaltenden Erfolg. Mit Musik, die nicht wie ein Remake von längst Dagewesenem klingt, sondern mit eigenwilligen Kompositionen, Arrangements und Texten aufhorchen lässt. «Der Popkurs ist ein Labor, in dem sich die verschiedensten Künstler und Genres treffen und Neues entstehen lassen», erläutert Geschäftsleiterin Bottenberg. «Popmusik entsteht durch Entdeckerfreude: Nimm 50 möglichst unterschiedliche Typen und steck' sie zusammen», erklären die Professoren Peter Weihe und Anselm Kluge das Prinzip des Kurses.

Hochschul-Präsident Elmar Lampson hebt das «unakademische Konzept» hervor, der Kurs sei weitgehend von Formalitäten befreit. Die Atmosphäre, die zwischen Hörsaal, Probenraum und Studio herrscht, beschreibt Diane Weigmann (Lemonbabies) im Jubiläumsheft: «Der Popkurs ist gefühlt irgendwas zwischen Klassenfahrt und "Fame".» Zwar tanzt niemand wie im Film ausgelassen auf Autos herum, steif geht es dennoch nicht zu. Gerade noch verfolgen die Teilnehmer den Vortrag des Plattenfirmenchefs Heinz Canibol (105Music), da stehen sie kurz darauf schon wieder gemeinsam im Probenraum. Experimentierfreude wird groß geschrieben, die Theorie aber ebenso wenig vernachlässigt wie das Feierabendbier an der Alster. «Genau die richtige Mischung zwischen konzentrierter Ernsthaftigkeit und Komasaufen», meint Pierre Baigorry (Seeed).

«Für mich war der Popkurs ein ganz, ganz großer Glücksfall, weil ich dort meine Band kennen gelernt habe», plaudert Wir sind Helden-Sängerin Judith Holofernes. «Ich hatte vorher die Hoffnung fast aufgegeben, solche Leute noch zu finden.» Als ein «böllerndes Feuerwerk von Eindrücken und Inspirationen» hat Jon Flemming Olsen (Texas Lightning) den Kurs in Erinnerung behalten. Michy Reincke nennt die Zeit einen «Glücksfall», gründete er doch an der Hochschule seine Band Felix de Luxe. Jakob Sinn von Revolverheld ist sich sicher, dass die Band ohne die Zeit an der Hochschule so nie entstanden wäre. «Bei all dem Casting-Wahn bin ich froh, dass es den Popkurs gibt, denn hier geht es nicht um den schnellen Erfolg, sondern darum, langfristig im Musikbusiness erfolgreich zu sein.»

Scheinbar ganz kleine Tipps für die Karriere, die aber für das Auftreten eines Künstlers in der Öffentlichkeit extrem wichtig sind, trichtert Elfi Küster den jungen Talenten ein. «Überlegt Euch, was Ihr anzieht, ob Ihr ein Piercing tragt oder nicht, ob und wie Ihr Euch schminkt», sagt sie und empfiehlt: «Gebt niemandem die Hand, wenn sie vor Aufregung schweißnass ist - das alles spricht eine Sprache.» Ganz wichtig für die Vorbereitung sei es, mit großer Sorgfalt die Biografie des Künstlers zusammenzutragen und immer glaubwürdig zu bleiben. «Niemals dürft Ihr in einem Interview lügen», betont sie, «denn alles, was Ihr sagt, bleibt in den Archiven und wird irgendwann wieder rausgekramt.» Generell gelte auch hier: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

Zu Küsters «Schützlingen» gehört Roger Cicero. Der Swingmusiker, der Deutschland in diesem Jahr mit seinem Song «Frauen regier'n die Welt» im Grand-Prix-Finale vertreten hat, ist zu einer Fragestunde an die Hochschule gekommen. «Ich habe gelernt, wenn man eine Tür zuschlägt, öffnet sich eine andere. Aber erst einmal muss die Tür auch wirklich zu sein», erzählt er über seine Ausdauer im bisweilen harten Musikeralltag, wenn man noch weit von Charts und großen Konzerthallen entfernt ist. Ob er noch Lampenfieber habe, wie er damit umgehe, wollen die Teilnehmer wissen. «Damit kann man nicht umgehen, das hat man halt. Dagegen anzukämpfen, lohnt nicht», sagt der Musiker. Entspannt sitzt er auf einer Stuhllehne und nimmt auch im Hörsaal die Baskenmütze nicht ab.

Prominente Unterstützer hat der Popkurs gefunden - braucht er aber auch mehr denn je. Seit drei Jahren muss sich der Studiengang, für den 15 Stamm-Dozenten sowie Gastreferenten arbeiten, selbst finanzieren. Das gelang zunächst durch private Sponsoren und soll künftig durch eine eigene Stiftung geschehen. «1,5 Millionen Euro soll das Stiftungskapital betragen», sagt Geschäftsleiterin Bottenberg. Neben der Stadt haben unter anderem Medienunternehmer Frank Otto und Rockmusiker Peter Maffay ihre Beteiligung zugesagt, was Bottenberg glücklich macht. «Wir können jegliche Unterstützung gebrauchen.» Hochschulpräsident Lampson betont, wie wichtig es ihm sei, «dass Pop und Klassik nicht nur im selben Haus gelehrt und gelebt werden, sondern auch voneinander lernen und sich gegenseitig befruchten können.»

In welcher Form das gelingt, zeigen die Popkurs-Absolventen stets beim großen Abschlusskonzert - genau beobachtet von so manchen Musikproduzenten auf der Suche nach neuen Stars. Nicht jeder Musiker schafft es auch danach ins Rampenlicht. «Dennoch findet ein großer Prozentsatz später in der Musikbranche seinen Platz», berichtet Comerford. Ob als Studiomusiker oder beim Musical, im Musikverlag oder in einer Plattenfirma. «Ihr steht vor einem verdammt engen Nadelöhr, aber Ihr könnt es schaffen», macht Elfi Küster den Teilnehmern Mut und gibt ihnen eine wichtige «Hausaufgabe» gleich mit auf den Weg: «Überlegt Euch, was an Euch besonders ist. Man muss nicht attraktiv sein, man muss eine Aura haben.» Und Hartnäckigkeit. Die Musiker sollten selbst aktiv werden und nicht darauf warten, entdeckt zu werden. «Sonst landet Euer Ziel im Sarg für begrabene Träume.»

Weitere Informationen: www.popkurs-hamburg.de