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WM-Entzug WM-Entzug: Was mache ich jetzt ohne Fußball?

Von Rebecca Erken 14.07.2014, 14:30
Ein Rausch für die Ewigkeit: Der WM-Sieg ist mehr als ein schneller Kick.
Ein Rausch für die Ewigkeit: Der WM-Sieg ist mehr als ein schneller Kick. dpa Lizenz

Mehr als einen Monat lang haben wir fast täglich Fußball geschaut, immer nur von Spiel zu Spiel gelebt, während sonst so wichtige Termine zur Nebensache wurden. An- und Abpfiff bestimmten unseren Alltag - ohne unsere Dosis Fußball am Abend konnten wir einfach nicht ins Bett. Der WM-Spielplan diktierte in vielen Büros auch den Dienstplan, eine der wichtigsten Herausforderungen der letzten Wochen erwartete uns nicht am Morgen, denn der Vortrag vor den Chefs war ein Klacks gegen die Herausforderungen der Nacht.

Was wird aus uns Fußballfan-Workaholics?

Hier waren unsere Kernkompetenzen als Fans gefragt: Mitfiebern, mitbangen, mitfeiern – dann die große Belohnung, die für viele mehr Wert ist als eine Gehaltserhöhung: Deutschland ist Weltmeister und damit wir alle, aber was jetzt? Was sollen wir, die Fußballfan-Workaholics, jetzt eigentlich machen?

Gemeinsames WM-Schauen gibt Halt

 „Das gemeinsame WM-Schauen hat natürlich Halt gegeben“, sagt Fedor Weiser. Der Sozialwissenschaftler beschäftigt sich in seinem zusammen mit Thomas Schneider herausgegebenen Buch „Fußball als Droge“ eingehend mit dem Thema. Weiser hat in der Drogenhilfe gearbeitet und lange Zeit das Frankfurter Fanprojekt geleitet, das die Kommunikation zwischen Fußballfans, Polizisten und Vereinsverantwortlichen fördert.

Bei der Mehrzahl kein krankhafter Zustand

Dass die haltgebenden gemeinsamen WM-Momente jetzt erst einmal zu Ende sind, könne ein Gefühl von Leere entstehen lassen, so der Fußballfanexperte: „Aber das ist etwas ganz Gesundes“, sagt Weiser. Man müsse sich darüber im Klaren sein, dass sich die meisten Fans nicht in einem pathologischen Zustand befinden, wie der Mitarbeiter des Instituts für Berufs- und Sozialpädagogik in Pohlheim erklärt. „Schließlich bedauern die meisten Fans, dass die WM zu Ende ist. Sie haben etwas Schönes verloren.“ Insofern ist das, was sich bei vielen wie ein Entzug anfühlt, also nichts Krankhaftes.

Dies sei bei wirklich süchtigen Fans anders: Ihnen fehlt ihre Dosis Fußball auch, aber mitten in der Sommerpause der Bundesliga erklären sie laut Weiser dann oft: „Gott sei Dank, ist das vorbei.“ Sie sind erleichtert, dass die Saison vorüber ist, ihre Fußballsucht empfinden sie als Last. Außerdem könne die Phase der Fußball-Abstinenz sich bei ihnen auch in einer gewissen Aggressivität auswirken.

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WM-Ende scheint wie das Ende der Lieblingsserie

Trotzdem fühlt sich das Ende der WM für viele Fußball-Aficionados so an, als sei ihre Lieblingsserie gerade abgesetzt worden oder als hätten sie die letzte Seite in einem fesselnden Buch gelesen. Klar, man wollte unbedingt wissen, wie es ausgeht, aber das Ende – wenn auch viel schöner als erwartet – bleibt schließlich ein Ende.

Behutsamer Entzug durch WM-Nachberichte

Doch Weiser weiß Rat: So könne man sich von der vollen WM-Dosis ganz behutsam entwöhnen. Der Entzug sei wegen der vielen Nachberichte - auch über die große WM-Feier in Berlin - nämlich ohnehin ein schleichender. Die WM-Droge wird langsam heruntergefahren.

Auf die Ersatzdroge Bundesliga ausweichen

Und: Im Gegensatz zu manchen anderen Suchtmitteln ist die Droge Fußball immer wieder verfügbar, wie Weiser erklärt. Fans können sich jetzt schon auf die Bundesliga freuen, die in wenigen Wochen beginnt, die zweite nämlich schon am 1. August und die erste am 22. August. Um den DFB-Pokal wird erstmals  am 15. August gespielt. Die  Mannschaften sind jedenfalls schon mitten in der Vorbereitung. Berichte darüber, welche Teams welche Spieler verpflichten, fördern die Vorfreude und lassen den Spannungsbogen wieder ansteigen. So sei schnell wieder ein neues Identifikationsobjekt gefunden, so der Sozialwissenschaftler: „der heimische Verein.“

Das Mysterium entzaubern

Was außerdem helfen kann: Das Mysterium um die deutsche Mannschaft ein wenig zu entzaubern. Wenn Fans ihre Idole auf einen zu hohen Sockel stellen, verlieren sie schnell ein realitätsgerechtes Verhältnis, weiß der Fan-Experte. Das habe er auch in seinen Studien beobachtet: Je näher Fans ihren Idolen kommen, umso mehr erkennen sie, dass es sich bei den Spitzensportlern auch nur um Menschen handelt. Die Verehrung – und damit auch das Suchtpotenzial – werden so etwas gedämpft.

Dies lasse sich auch auf das Finale übertragen, in dem die Verwundbarkeit der DFB-Elf so offensichtlich war wie in keinem anderen Deutschlandspiel: personifiziert in dem blutenden Bastian Schweinsteiger und dem beinahe K.o. geschlagenen Christoph Kramer.

Ewiger Rausch statt schneller Kick

Die wohl wichtigste Strategie für eine Überwindung der WM-Sucht: Unser WM-Drogentrip war nicht umsonst, denn das ganze Anfeuern und Mitfiebern hat etwas gebracht. Deutschland ist tatsächlich seit 24 Jahren wieder Weltmeister geworden.  „Das ist etwas Bleibendes, etwas Unvergängliches“, sagt Weiser – ganz im Gegensatz zu dem schnellen Kick, den ein Fan von Spiel zu Spiel, von Etappensieg zu Etappensieg bekommt. Hier ist wieder der identitätsstiftende Halt ausschlaggebend. „Der WM-Triumph hat durchaus etwas Tragendes“, so der Experte, „das kann einem niemand mehr nehmen.“ 

Zum Weiterlesen: Schneider, Thomas (Hrsg.) und Weiser, Fedor (Hrsg.): Fußball als Droge. Deutscher Sportbund (2002).

Rauschhafter Zustand: Die Fans der deutschen Nationalmannschaft sind im Siegestaumel - ein Gefühl, nach dem man süchtig nach werden kann.
Rauschhafter Zustand: Die Fans der deutschen Nationalmannschaft sind im Siegestaumel - ein Gefühl, nach dem man süchtig nach werden kann.
dpa Lizenz
Selbst das schönste Ende ist und bleibt ein Ende - auch für die deutschen Fans.
Selbst das schönste Ende ist und bleibt ein Ende - auch für die deutschen Fans.
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Die Verwundbarkeit der DFB-Elf zeigte sich im Finale: personifiziert in dem blutenden Bastian Schweinsteiger und dem beinahe K.O.-geschlagenen Christoph Kramer.
Die Verwundbarkeit der DFB-Elf zeigte sich im Finale: personifiziert in dem blutenden Bastian Schweinsteiger und dem beinahe K.O.-geschlagenen Christoph Kramer.
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