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Zement für das neue Knie Wie Prothesen bei schmerzenden Kniegelenken helfen können

Von Bärbel Böttcher 13.09.2019, 08:00
Die Orthopädin Dr. Sabine Schmitt mit dem Modell eines künstlichen Kniegelenks.
Die Orthopädin Dr. Sabine Schmitt mit dem Modell eines künstlichen Kniegelenks. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Es war der deutsche Chirurg Themistocles Gluck, der 1891 erstmals den Versuch unternahm, Menschen künstliche Kniegelenke aus Elfenbein einzusetzen. Der schlug jedoch fehl. Bei den Patienten traten Infektionen auf. Es dauerte dann noch Jahrzehnte, bis sich ein entsprechendes Operationsverfahren etablierte.

„Vor allem in den vergangenen 30, 40 Jahren hat sich, was Material und Design angeht, auf dem Gebiet der Knieendoprothesen viel verbessert“, sagt Dr. Sabine Schmitt, Chefärztin der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiterin des Endoprothetik-Zentrums der Maximalversorgung am Krankenhaus Martha Maria in Halle-Dölau. Hier werden jährlich etwa 380 Knieendoprothesen implantiert. Hinzu kommen 40 bis 50 sogenannte Wechsel-Operationen. Die werden nötig, wenn sich eine Prothese gelockert hat.

Das Wort „Endo“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „innen“. Endoprothesen sind also Implantate, die dauerhaft im Körper verbleiben. Doch in welchen Fällen ist der Einsatz eines künstlichen Kniegelenks überhaupt nötig? Die MZ beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.

Was ist die Ursache für schmerzende Knie?

„Das Knie ist ein sehr komplexes Gelenk. Es besteht nicht nur aus Knochen, sondern auch aus Knorpel, Bändern und Sehnen. Dann sind da noch die Menisken, die eine Pufferfunktion zwischen Ober- und Unterschenkel haben“, erklärt Chefärztin Sabine Schmitt. Alle diese Strukturen unterliegen dem Verschleiß oder könnten bei einem Unfall Schaden nehmen. „Und dann müssen die repariert werden“, fügt sie hinzu.

Bei kleineren Verletzungen sei die Arthroskopie, die sogenannte Knopflochchirurgie, das Mittel der Wahl. Wenn sich aber eine Arthrose ausbildet, seien andere Therapien angesagt. Arthrose ist der Verschleiß des Knorpels im Knie. Normalerweise sind die Knochen des Gelenks von Knorpel überzogen. Sie gleiten zusammen mit der Gelenkflüssigkeit glatt hin und her. Ist diese Knorpelschicht unterbrochen oder aufgeraut, reiben die Knochen gegeneinander. Der noch vorhandene Knorpel reibt sich schneller auf. Ist er ganz verschwunden, läuft Knochen gegen Knochen. Und das ist der typische Arthroseschmerz.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Operation?

„Wenn die konservative Therapie ausgereizt ist“, sagt die Orthopädin. Dazu gehören die Medikamentengabe, Physiotherapie oder die Verschreibung von Pufferabsätzen, die beim Laufen dämpfend wirken. Das alles könne die Arthrose zwar nicht rückgängig machen, aber die Operation hinauszögern.

„Wenn die Arthrose im Knie jedoch so weit fortgeschritten ist, dass die Patienten nicht nur beim Gehen, sondern auch im Ruhezustand Schmerzen haben, wenn sie nachts wegen der Schmerzen aufwachen und auch das Röntgenbild die degenerativen Veränderungen zeigt, dann ist der Zeitpunkt für einen Gelenkersatz gekommen“, sagt die Ärztin.

Sollte der Ersatz des Kniegelenkes so weit wie möglich hinausgeschoben werden?

„Ja, so weit wie möglich“, sagt Sabine Schmitt. Wobei das „wie möglich“ individuell sehr verschieden sein könne. Sie verweist darauf, dass es zunehmend ältere Patienten mit hohen Ansprüchen an ihre Lebensqualität gibt. „Die wollen nicht nur einmal in der Woche einen Stadtbummel machen, sondern Radtouren unternehmen, Sport treiben. Und das möglichst beschwerdefrei“, sagt sie. Natürlich müssten das Röntgenbild, die klinischen Symptome und der individuelle Leidensdruck ein einheitliches Bild ergeben. Sei das der Fall, sollte operiert werden.

Welche Arten von Knieprothesen kommen im Falle einer OP zum Einsatz?

Welche Art von Prothese eingesetzt wird, hängt davon ab, an welcher Stelle der Gelenkverschleiß auftritt. „Ist nur ein Teil des Gelenks betroffen, kann eine sogenannte Hemischlitten-Prothese eingesetzt werden“, erklärt Sabine Schmitt. Das ist eine Teilprothese. Es wird nur die verschlissene Hälfte des Gelenks ersetzt.

Als Oberflächenersatz wird die durchgehende Prothese bezeichnet. Das heißt, der Orthopäde ersetzt die abgenutzten Gelenkflächen, also den geschädigten Knorpel, sowohl auf der Seite des Oberschenkels als auch auf der des Unterschenkels. Voraussetzung dafür ist, dass die Bänder im Knie noch intakt sind. Ist das nicht der Fall, kommen sogenannte gekoppelte Knieprothesen zum Einsatz. „Hier ist die Unterschenkelkomponente mit der Oberschenkelkomponente verbunden. Das ersetzt dann die Bänder, die die beiden Teile normalerweise zusammenhalten“, sagt Sabine Schmitt.

Welches Material wird für die Knieprothesen verwendet?

Der Standard sind heute Metallprothesen mit einer Kobalt-Chrom-Legierung. Diese Art Legierung, die auch Spuren von Nickel enthält, kann Allergien hervorrufen. „Für Patienten mit nachgewiesener Kobalt- oder Nickelallergie gibt es Prothesen mit einer Titan- oder Keramikbeschichtung“, sagt die Orthopädin. Zwischen die Metallkomponenten komme dann, quasi als Gleitfläche, eine Polyethylenscheibe.

Wie wird die Knieprothese befestigt?

„Um die Prothese am Knochen zu befestigen, werden sie in der Regel zementiert“, sagt Sabine Schmitt. Dafür gibt es einen speziellen Knochenzement. Die Orthopädin sieht es als einen großen Vorteil an, dass die Prothesen, sobald der Zement hart ist, fest und belastbar sind. Das dauere etwa zehn Minuten. „Patienten, die morgens operiert worden sind, stehen meist am Nachmittag auf und dürfen ihr Bein bis zur Schmerzgrenze belasten“, sagt sie. „Die Prothese auf dem Knochen sitzt fest, allerdings verursacht die OP-Wunde in den Weichteilen des Frischoperierten Beschwerden“, fügt sie hinzu.

Die Alternative wäre eine zementfreie Operation. Hier müsse sich die Prothese allmählich mit dem Knochen verbinden. Dafür sorgt ihre aufgeraute oder gitterförmige Oberfläche. Es besteht jedoch die Gefahr, dass es dabei zu Problemen kommt. Und bis das Bein voll belastet werden kann, dauert es einige Wochen. Deshalb wählt die Orthopädin diese Methode beim Kniegelenkersatz nur, wenn Patienten nachweislich gegen einen der Inhaltsstoffe des Knochenzements allergisch sind.

Welche Komplikationen können auftreten?

Die Ärztin nennt erst einmal die allgemeinen OP-Risiken: Thrombosen, Embolien, die Nerven- oder Gefäßverletzung. „Die schwerwiegendste Komplikation ist allerdings die Infektion“, sagt sie. Das könne während der OP passieren. Aber die empfindliche Endoprothese sei auch im weiteren Verlauf gefährdet.

Schon ein Zahninfekt könne wie viele andere Krankheiten dazu führen, dass das Gelenk über die Blutbahn infiziert werde. „Da müssen die Betroffenen sehr aufpassen und relativ großzügig mit der Einnahme von Antibiotika sein“, betont Sabine Schmitt. Ein entzündetes Kniegelenk sei eine Katastrophe. Die Prothese müsse dann raus. Sie könne erst nach Abklingen der Infektion ersetzt werden.

Eine weitere Komplikation sei die Lockerung. Allerdings haben Studien ergeben, dass nach 20 Jahren bei 90 Prozent aller Betroffenen die Prothese noch intakt ist. Nur fünf Prozent müssen vor dem 15. Jahr nach der OP ausgewechselt werden.

Was sollen die Patienten nach der OP beachten?

„Übung ist es, was das postoperative Ergebnis ausmacht“, sagt Sabine Schmitt. Natürlich setze bereits in der Klinik neben der Behandlung des Wundschmerzes die Mobilisation ein. „Danach empfehlen wir eine Reha, um die Beweglichkeit des Gelenks wieder herzustellen.“ Ziel sei es, mindestens eine Beugung im Winkel von 90 Grad hinzubekommen. „Damit kann man gut Treppensteigen oder Fahrradfahren“, sagt die Ärztin. Aber das erfordere Training und sei Patientenaufgabe. „Wir haben dann unsere Arbeit getan.“

Einen Rat hat Sabine Schmitt noch: Die Prothese sollte alle zwei bis drei Jahre, kontrolliert werden. Nur so seien Abnutzungserscheinungen zeitig zu erkennen. Ihre Erfahrung: Viele warten, bis die Prothese kaputt ist. (mz)

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