1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Gesundheit
  6. >
  7. Interview: Wie kann man mit einer Depression glücklich leben?

Interview Wie kann man mit einer Depression glücklich leben?

Ulrike Michels hat seit Jahren Depressionen. Wie sie Wege findet, Zufriedenheit im Alltag zu erleben. Und warum Akzeptanz und Selbstfürsorge dabei elementar sind.

Von Interview: Bettina Lüke, dpa 09.12.2025, 00:05
Was, wenn eine psychische Krankheit chronisch ist? Selbsthilfe kann ein wirksames Werkzeug sein.
Was, wenn eine psychische Krankheit chronisch ist? Selbsthilfe kann ein wirksames Werkzeug sein. Tania Cervián/Westend61/dpa-tmn

Mönchengladbach - Psychische Krankheiten sind heilbar. Doch bei vielen Betroffenen sind sie immer da oder kommen immer wieder. Die Management-Expertin Ulrike Michels gehört dazu. Sie lebt seit mehr als zehn Jahren mit chronischer Depression – und das durchaus erfolgreich und glücklich. Eine „Richtungsentscheidung“ sei das, sagt Michels, die ein Buch zum Thema geschrieben hat.

Glücklichsein trotz Depression: Viele empfinden das als Widerspruch. Was sagen Sie dazu?

Ulrike Michels: Die Depression ist seit inzwischen elf Jahren mein täglicher Begleiter. Natürlich gibt es auch viele Tage, an denen ich mit der Situation kämpfe, weil ich die Erkrankung nicht „an den Hörnchen gepackt bekomme“ und zusätzlich meine Akzeptanz in dem Moment nicht aktivieren kann. Umso wichtiger ist es für mich aber, mein Leben an den Menschen, Werten und Aktivitäten auszurichten, die mich glücklich machen.

Genauso wichtig ist eine Selbstfürsorge, die mich so gesund wie möglich sein lässt. Wenn ich sagen kann „Ich habe ein wertvolles Leben und so gut wie möglich auf mich selbst aufgepasst“, dann bin ich glücklich – auch wenn die Depression mir auf den Füßen steht. Glück bedeutet nicht die Abwesenheit von Traurigkeit oder Leid, vielmehr ist es eine Richtungsentscheidung.

Wie erleben Sie Glück im Alltag – trotz Erkrankung?

Michels: Ich bin glücklich, wenn ich meinen Sohn in sein selbstständiges Leben begleiten kann. Er war vier Jahre, als ich erkrankte, heute 15, und wir haben uns gemeinsam einen Alltag erschaffen, in dem die Erkrankung zwar immer mit im Raum ist, aber nicht die Hauptrolle spielt. Ich bin stolz auf uns beide, dass wir das so geschafft haben.

Ich bin auch glücklich, wenn ich meinem Partner, meiner Oma und meinen Freunden ein Licht in den Tag stellen kann. Oftmals ist es nur eine kleine Nachricht, die zeigt: „Ich denke an Dich.“ Manchmal ist es auch ein gemeinsamer Spaziergang oder ein geselliger Abend. So sind wir verbunden und dieses Gefühl macht mich glücklich.

Neben dem Kontakt zu meinen Lieben bin glücklich, wenn ich die Kraft habe, zu schreiben und zu coachen. Ich lese gerne und liebe Kunst. Und wenn ich meinen Schweinehund überwunden und Sport gemacht habe, bin ich auch sehr zufrieden und fühle mich wohl.

Die Liste zeigt: Es sind nicht die großen Dinge. Es sind liebevolle Verbindungen und ein Fokus auf das, was mich stärkt. All das schenkt mir Glück.

Sie haben es schon gesagt: Selbstfürsorge und machen, was guttut. Warum ist das so wichtig? 

Michels: Manchmal ist es für Betroffene, auch mich, schon ein großer Kraftakt, sich zu duschen und anzuziehen. Aber gerade an diesen Tagen tut es besonders gut, wenn es mir gelingt. Denn es stärkt mein Selbstvertrauen.

Zur Selbstfürsorge zählt aber noch viel mehr: Arzt- und Therapietermine sowie die Medikamenteneinnahme diszipliniert wahrzunehmen, mir genügend Zeit für Schlaf und Ruhe zu geben, gesund und maßvoll zu essen, mich zu bewegen – auch und gerade wenn es durch die Antriebshemmung schwerfällt, soziale Kontakte pflegen. Es sind also eher die alltäglichen Dinge als das Bad bei Kerzenschein – wobei auch das natürlich guttun kann.

Die Akzeptanz der geringeren Leistungsfähigkeit ist ganz entscheidend. Denn wer sich verausgabt, gerät schnell in einen Überforderungsstrudel. Die Grundfrage lautet: Was brauche ich, damit es mir so gut wie möglich geht? 

Auch bei meiner Arbeit geht es oft um das „Warum“, und so kann ich auch ein „Wozu“ im Leben bestimmen – das Ziel, auf das ich mich immer wieder ausrichten kann. Werte sind der Kompass, mit dem ich das Ziel erreichen kann. Meine persönlichen Stärken sind meine Werkzeuge, die mir auf dem Weg helfen. Mein Netzwerk ist mein Unterstützungsteam. Wir setzen Prioritäten, unterscheiden nach dringend/nicht dringend, wichtig/nicht wichtig. Wir gleichen Fortschritte ab und stellen Erfolge sichtbar heraus.

Und was die Sprache angeht, lässt sich auch vieles verändern. Den Gedanken „Ich muss zum Arzt“ kann ich im Kopf umformulieren zu „Ich bin dankbar, dass ich einen Arzt habe, der mich betreut“ – und schon ändert sich mein Mindset. Auch das Wort „noch“ kann Wunder wirken: „Ich kann ja nicht“ wird zu einem „noch nicht“ und eröffnet die Möglichkeit, dass ein unangenehmer Zustand nicht für immer andauert. 

Marc Aurel sagte: „Auf Dauer nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an.“ Auch in der Linguistik gibt es ähnliche Theorien, die zeigen: Achte darauf, was Du denkst und Du kannst Deine Wahrnehmung beeinflussen, auch zum Positiven.

ZUR PERSON: Ulrike Michels studierte Wirtschaftswissenschaften und arbeitet als Coachin und Trainerin. Ihr Buch „Glücklich trotz Depression“ erschien 2025.