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Unfallchirurgie Unfallchirurgie: Jung männlich Opfer

Von Bärbel Böttcher 29.05.2015, 08:13
Dr. Matthias Horn, Unfallchirurg am Krankenhaus Martha-Maria in Halle-Dölau: „Manche kommen hierher wie in eine Autowerkstadt.“
Dr. Matthias Horn, Unfallchirurg am Krankenhaus Martha-Maria in Halle-Dölau: „Manche kommen hierher wie in eine Autowerkstadt.“ Andreas Stedtler„ Lizenz

Halle (Saale) - Der Sprung, den Eric Kasper an jenem Frühlingsnachmittag mit dem Mountainbike vollführte, war seiner Einschätzung zufolge nicht megagroß und auch nicht megaschwer. Drei Meter flog der 26-Jährige durch die Luft. Dann landete er unsanft auf dem Boden. Seinem staunenden Freund teilte er mit: „Ich habe mir gerade das Schlüsselbein gebrochen.“

Dr. Matthias Horn, leitender Oberarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Krankenhaus Martha Maria Halle-Dölau, bestätigte wenig später die Selbstdiagnose. Auf den Röntgenbildern, die er zeigt, ist eine ziemliche Trümmerlandschaft zu sehen. Die hat der Unfallchirurg zwei Tage nach dem Unfall durch operative Rekonstruktion beseitigt. Unter anderem setzte er dem jungen Mann eine Titanplatte ein, die das Schlüsselbein solange zusammenhält, bis es wieder zusammengewachsen ist. Nach zwei Jahren kann das Metall entfernt werden. „Wenn es nicht stört, kann es aber auch drinbleiben“, sagt der Arzt.

Aber warum hat der Chirurg mit der Operation zwei Tage gewartet? „Eine Schlüsselbeinfraktur muss nur in seltenen Fällen notfallmäßig operiert werden“, erklärt er. „Nämlich dann, wenn Gefäße und Nerven mitverletzt sind, die Haut perforiert ist oder zu perforieren droht.“ Bei Eric Kasper war das nicht der Fall. Er bekam zunächst einen Verband, mit dem die Schulter ruhiggestellt wurde, und Schmerzmittel. Die Operation konnte so in Ruhe geplant werden.

Knapp eine Woche nach dem Eingriff ist dem jungen Mann äußerlich nichts mehr anzusehen. Er kann sich normal bewegen. Er trägt keinen großen Verband und auch keine Schiene. „Genau das war das Ziel der Operation“, sagt Matthias Horn. Sicher könne so ein Bruch auch ohne Operation heilen. Dann müsste der Patient allerdings vier bis sechs Wochen einen Schulterverband tragen, der eine Bewegung unmöglich mache, fügt der Arzt hinzu. Hinterher gebe es mit Sicherheit Einschränkungen in der Beweglichkeit, die schwer zu beseitigen seien. „Der Vorteil der Operation ist, dass vom ersten Tag an mit einer Nachbehandlung - sprich: Physiotherapie - begonnen werden kann.“

Typischer Patient

In gewisser Weise ist Eric Kasper ein typischer Patient. Er ist jung. Und er ist männlich. „Es sind mehr Männer als Frauen, die wir in der Unfallchirurgie sehen“, bestätigt Matthias Horn. Und es seien zudem mehr jüngere als ältere Männer. Er verweist beispielsweise darauf, dass die Zahl der männlichen Verkehrstoten pro 100 000 Einwohner gerechnet etwa dreimal höher ist als die der weiblichen. Besonders stark betroffen sei da die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen. Und auch hier liege die Zahl der Verkehrstoten bei den Männern drei- bis viermal höher als bei den Frauen. Abgesehen davon, dass Männer überhaupt häufiger auf den Straßen unterwegs seien - etwa als Berufskraftfahrer - sie führen auch risikoreicher. „Und wer risikobereiter fährt, der läuft auch stärker Gefahr, in einen Unfall verwickelt zu werden“, sagt Matthias Horn. Das gleiche gelte übrigens für den Sport. „Wer Golf spielt, ist nicht so verletzungsgefährdet wie eben ein Mountainbiker“, unterstreicht er.

Auch wenn da ein Stück weit Verständnis des Mediziners mitschwingt, er findet es mitunter schon erschreckend, wie viel Leichtsinn im Spiel ist. Beispielsweise wenn Motorradfahrer zwar einen Helm tragen, aber ansonsten nur mit leichter Hose und T-Shirt bekleidet unterwegs seien.

Ein Fahrradfahrer braucht in der Regel zwar keine spezielle Kleidung. Viele seien aber ohne Helm unterwegs, sagt der Chirurg. Wobei das nun wieder mehr auf Frauen zutreffe, die sich um ihre Frisuren sorgten. „Männer sind da weniger eitel und sicherheitsbewusster“, meint er augenzwinkernd.

Aber wie auch immer. Die Unvernunft hat oftmals langfristige gesundheitliche Folgen. „Wer sich als junger Mensch Verletzungen im Bereich der Gelenke zuzieht, der muss damit rechnen, nach zehn bis 15 Jahren eine Arthrose im betroffenen Gelenk zu entwickeln, die ansonsten erst im Alter von 60 oder 70 Jahren auftreten würde“, sagt Matthias Horn. Zwar könne die Chirurgie zerstörte Gelenkflächen wieder herstellen. Aber mit Knorpelschäden, die für eine Arthrose verantwortlich seien, müsse immer gerechnet werden. Dabei ist das noch eine der harmloseren Folgen. Matthias Horn spricht von schweren Kopfverletzungen, bei denen es zu einer Schädigung des Hirngewebes mit allen vorstellbaren Folgen kommen kann. Er erinnert sich an den Fall eines 25-jährigen Motorradfahrers, dem nach einem Unfall im Verlauf der Behandlung der Unterschenkel amputiert werden musste.

Viele Patienten führten sich die langfristigen Folgen gar nicht vor Augen. „Manche kommen hierher wie in eine Autowerkstatt“, meint der Mediziner. „Altes Teil raus, neues Teil rein. Und es gibt drei Jahre Garantie.“ So sei es aber nicht. „Wir müssen den Patienten klar sagen, was auf sie zukommt“, betont er. Versprechungen, dass alles wieder gut wird, seien fehl am Platz. Trotz modernster Implantate, und minimal-invasiver arthroskopischer Techniken sei nicht alles wie neu herstellbar.

Eric Kasper hat, wie das im medizinerdeutsch heißt, eine gute Prognose. „Es ist zu erwarten, dass das Schlüsselbein völlig folgenfrei ausheilt - auch wenn er die Operationsnarbe und gegebenenfalls die Titanplatte als Erinnerung behält“, betont der Chirurg. Mit dem Mountainbiken muss der junge Mann allerdings erst einmal Pause machen. Mindestens ein Vierteljahr. Und auch wenn das dem Sportmanagement-Studenten schwerfällt, er will sich strikt daran halten.

Vorsichtiger fahren

Wird Eric Kasper in Zukunft nun vielleicht vorsichtiger fahren? „Ich glaube, es geht genau da weiter, wo es aufgehört hat“, sagt er. Der 26-Jährige, der versichert, niemals ohne speziellen Helm unterwegs zu sein, erzählt, dass er Fahrrad fährt, solange er denken kann. Sommers wie winters. Als Sechsjähriger hat er dann bei einem Familienurlaub in Österreich Mountainbiker beobachtet. Schon damals stand sein Entschluss fest: „Das will ich auch.“ Zwar hat der Student, der seit der achten Klasse eine Sportschule besuchte, erst einmal elf Jahre lang Basketball trainiert. Aber dann hat die Leidenschaft für den Extremsport gesiegt. Heute trainiert er in einer kleinen Gruppe, nicht nur in der Umgebung von Halle, sondern auch in den Bikeparks im Harz.

Matthias Horn bestätigt, dass das bei dem durchtrainierten jungen Mann kein Problem ist. Oftmals muss er Freizeitsportlern aber die Frage stellen, ob sie weiterhin ein so großes Risiko für die Gesundheit eingehen wollen. Er nennt das Beispiel einer Kreuzbandruptur - einer typischen Fußballverletzung. „Wir reparieren das, der Fußballer bekommt eine Kreuzbandersatzplastik“, sagt der Arzt. Spätestens nach einem halben Jahr könne er auch wieder dem Ball hinterherjagen. Doch die Gefahr, dass bei risikovollem Spiel auch der Ersatz kaputt gehe, die sei groß. „Die Voraussetzungen für eine erneute Operation sind beim zweiten Mal aber wesentlich schlechter. Die Rekonstruktionsmöglichkeiten seien nicht unendlich groß.

Aber der Chirurg kann und will niemandem das Fußballspielen verbieten, sondern lediglich aufklären. „Jeder muss für seinen Körper entscheiden, ob er das Risiko eingehen will, oder ob er sich vielleicht eine Sportart sucht, bei der die Gefahr einer solchen Verletzung wesentlich geringer ist“, betont der Unfallchirurg. Die jungen Männer müssten sich auch vor Augen halten, dass sie noch ein ganzes Berufsleben vor sich haben. „Wir können aber nur an die Vernunft appellieren, es mit der Risikobereitschaft nicht zu übertreiben.“

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