Training für Menschen mit Riechstörungen
Jena/dpa. - Sven P. kann seit Jahren wegen einer Allergie kaum noch etwas riechen. Die Nasenschleimhäute des 40-Jährigen sind ständig geschwollen. Bei Rainer B. (44) ist der Geruchssinn nach einem schweren Sturz in der Dusche vor zwei Jahren ganz verschwunden.
Beide haben sich an diese Störung gewöhnt. «Allgemein wird der Verlust des Riechsinnes für weniger wichtig gehalten als Sehen, Hören und Schmecken», sagt der Direktor der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten am Universitätsklinikum Jena, Orlando Guntinas-Lichius. Trotzdem bedeutet das Fehlen dieses Sinnes eine wesentliche Einbuße an Lebensqualität.
Da die bisherigen medikamentösen Therapien zu keinem durchschlagenden Erfolg geführt haben, will die Jenaer Klinik jetzt Patienten mit einem Riechtraining von ihrem Übel befreien. Es gehört zu einer Studie, an der die Jenaer gemeinsam mit weiteren Zentren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teilnehmen. «Es gibt erste Hinweise, dass das Riechvermögen verbessert werden kann, wenn die Betroffenen regelmäßig Duftstoffe einatmen», erklärt der Professor. Die Mediziner nehmen an, dass das Riechtraining zum einen eine verbesserte Auswertung der Duftinformation im Gehirn, zum anderen aber auch eine vermehrte Neubildung von Riechrezeptoren in der Nase bewirken kann. Dabei nutzen die Mediziner eine Einmaligkeit der menschlichen Riechsinneszellen - ihre Regenerationsfähigkeit. Keine anderen menschlichen Nervenzellen erneuern sich ständig neu.
Die Riechgymnastik für die Studie ist denkbar einfach. Die Probanden müssen 16 Wochen lang jeweils morgens nach dem Frühstück und abends nach dem Abendbrot an vier Riechstiften schnuppern. Die Duftnoten sind angenehm - Rose, Eukalyptus, Gewürznelke und Zitrone sollen den Riechzellen wieder auf die Sprünge helfen. Das Riechtraining ist allerdings nur für Patienten gedacht, die nach Infekten der oberen Luftwege oder einer Grippe an gestörtem sowie aufgehobenem Geruchssinn leiden. Erste Ergebnisse sollen Anfang kommenden Jahres vorliegen.
Rund 80 000 Menschen jährlich erleiden Schätzungen zufolge in Deutschland eine Riechstörung. Bei den meisten von ihnen verschwindet die Störung nach einiger Zeit wieder. Anders als beim Seh- oder Hörtest beruht der Geruchstest hauptsächlich auf der Befragung der Betroffenen. Die objektive Prüfung ist schwierig und nur wenigen Zentren in Deutschland vorbehalten. In Jena wird derzeit im Kernspintomographen getestet, wie Reaktionen des Riechhirns nachweisbar sind.
Die Ursachen einer Riechstörung sind nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde vielfältig. Selten sind sie angeboren. Am häufigsten kommen die Störungen nach Virusinfektionen oder Schädelverletzungen vor. Schuld können aber auch Nasenpolypen, Entzündungen der Nasennebenhöhlen, Störungen des Hormonhaushaltes oder Zahnerkrankungen sein. Riechstörungen können nach den Worten des Dresdner Professors Thomas Hummel aber auch auf andere Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Mangel- oder Fehlernährung sowie Parkinson hindeuten. Da das Riech- und das Gedächtniszentrum im Gehirn eng beieinander liegen, registrierten Mediziner vor dem Ausbruch der Alzheimer-Krankheit den Verlust des Geruchssinnes.
Ein gesunder Mensch kann 10 000 verschiedene Düfte riechen. Dabei besteht ein Duft aus mehreren hundert oder tausend Komponenten. Zum Riechen gibt es in der Nase rund drei Millionen Riechsinneszellen, von der jede Zelle auf einen bestimmten Duftstoff spezialisiert ist. Im Vergleich zu den Tieren sind die Menschen allerdings schlechte Riecher. Der Hund verfügt über bis zu 250 Millionen Riechzellen. Duft gilt als die älteste Form der Kommunikation unter Lebewesen. Experten beklagen, dass der menschliche Geruchssinn in der heutigen stark visualisierten Welt eher verkümmert und sich zurückbildet.
Für den Juristen Rainer B. ist mit dem Verlust des Geruchssinnes auch ein wesentlicher Teil seines Geschmackssinnes verloren gegangen. «Schokolade schmeckt nur noch süß», klagt er. Das ganz spezielle Schokoladenaroma kann er nicht mehr wahrnehmen. Daneben hat der Familienvater ein wichtiges Alarmsystem seines Körpers eingebüßt. Seine Nase warnt ihn nicht mehr vor Bränden, dem Austritt chemischer Dämpfe oder verdorbenen Lebensmitteln.
Weitere Informationen: www.hno.uniklinikum-jena.de/Riechtraining.html