Sucht oder Genussmittel? Sucht oder Genussmittel?: Schonfrist lässt Deutschlands Raucher weiter qualmen

Berlin/dpa. - Mediziner und Nikotingegnerverweisen auf die gesundheitlichen Folgen des Rauchens und forderneinen Eingriff des Gesetzgebers. Tabakkonzerne und Gastronomen warnendagegen vor den wirtschaftlichen Auswirkungen eines Rauchverbotes inRestaurants oder Kneipen und führen die persönliche Freiheit desEinzelnen für das Rauchen ins Feld. Die Berliner Politik steckt - wieso oft - in einer Zwickmühle.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD),schließt ein gesetzliches Rauchverbot zwar vorerst aus, will sichdiese Möglichkeit aber «offen halten». Auch CDU-GesundheitsexperteHermann-Josef Scharf will kein Bekenntnis für ein Rauchverbotabgeben: «Wir setzen auf den mündigen Bürger. Die Menschen müssenselbst entscheiden, was das Richtige für sie ist.» Detlef Parr vonder FDP warnt gar vor einer «Treibjagd auf Raucher», wie es sie inItalien oder Spanien gebe. «Diese Genussmittel sind immer Bestandteilunserer Gesellschaft gewesen und lagen in der Eigenverantwortung desEinzelnen.»
Das hält die Leiterin des WHO-Kollaborationszentrum fürTabakkontrolle im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg,Martina Pötschke-Langer, für ein vorgeschobenes Argument: «Man kannnicht bei einem Süchtigen von Eigenverantwortung reden.»
In den Überlegungen der Politik mag die Tabaksteuer eine zentraleRolle spielen. 13,6 Milliarden Euro spülte sie 2004 in die Kassen desBundes und war damit nach der Mineralölsteuer die zweitstärksteVerbrauchssteuer. In Zeiten knapper Kassen benötigt der Fiskus dieEinnahmen dringend, um Haushaltslöcher zu stopfen.
Die Anti-Rauch-Aktivisten wollen diese Argumente nicht geltenlassen. «Die Politiker wiegeln ab und reden das Problem klein», sagtder Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Nikotinforschung,Knut-Olaf Haustein. Der Wissenschaftler verweist auf denvolkswirtschaftlichen Schaden, der jährlich durch das Rauchenentstehe. «17 Milliarden durch tabak-assoziierte Erkrankungen»,rechnet Haustein vor.
Die Deutsche Krebshilfe wirft der Bundesregierung sogar eineBlockadehaltung im Kampf um den besseren Schutz von Nichtrauchernvor. Deutschland habe sich mit seiner Tabakpolitik der vergangenenJahre in Europa isoliert, kritisiert der Verband. Als Grund für dasZögern des Gesetzgebers haben die Nikotingegner den starken Einflussder Tabaklobby ausgemacht. Durch die finanzielle Macht der Konzernewürden politische Entscheidungen beeinflusst.
Der Sprecher des Tabakkonzerns Reemtsma, Lars Großkurth, erklärt:«Wir versuchen schon, uns Gehör zu verschaffen.» Auch BritishAmerican Tobacco (BAT) argumentiert heftig gegen ein Rauchverbot. «Esmuss möglich sein, dass Erwachsene, die sich bewusst für den Konsumvon Tabakprodukten entscheiden, auch in der Öffentlichkeit rauchendürfen», sagt BAT-Sprecher Rainer Stubenvoll. Rauchverbote träfenstattdessen die Gastronomie.
Das befürchtet auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband(DEHOGA). Um ein gesetzliches Rauchverbot abzuwenden, verpflichtetesich der Verband im vergangenen Jahr zur Einrichtung vonNichtraucherbereichen in zahlreichen Speisegaststätten. Doch währendin neun von zehn Restaurants bis März 2008 die Hälfte der Plätze fürNichtraucher reserviert sein muss, blieben Kneipen und Discothekendavon ausgeschlossen. «Dort gehört Rauchen einfach dazu. Für vieleder kleinen Kneipen wäre ein Rauchverbot existenzgefährdend», sagtDEHOGA-Sprecherin Stefanie Heckel.
Im Widerstreit der Argumente ringt die Politik um eine klareHaltung. Der bislang von der Bundesregierung vertretene «Mix ausGesetzen und Prävention» habe sich bewährt, versichert dieDrogenbeauftragte Bätzing. Doch sie sagt auch: «Wir haben noch vielzu tun.»

