Selbst-Diagnose Selbst-Diagnose: «Doktor Google» macht viele erst richtig krank

Hamburg/Mainz/dpa. - Dasssich sein Verdacht später als unbegründet erwies, konnte ihn kaumberuhigen - er litt Todesängste. Für Mediziner ein typischer Fall:Denn die zahlreichen Krankengeschichten aus der Gerüchteküche desInternets hinterlassen bei vielen ein mulmiges Gefühl. Und wer wieSchäller ohnehin zur Hypochondrie neigt, fühlt sich nach einemGesundheitscheck im Netz schnell kränker als zuvor.
«Das Internet ist oft die erste Anlaufstelle für Menschen mitKrankheitsängsten - die Hemmschwelle ist hier einfach niedriger»,sagt die Psychologin Gaby Bleichhardt, die an der Mainzer Universitätzu dem Thema forscht. Die Gefahr sei dabei, dass sich im Netz zujedem Symptom gleich eine passende Krankheit als Erklärung findenlasse. «Dadurch verschlimmert das Internet die Ängste der Betroffenenoft noch.» Hypochonder erhielten so im Handumdrehen passende Belegefür ihren Krankheitsverdacht: Bauchschmerzen deuten dann auf einMagengeschwür hin, und ein Kribbeln in den Fingern wird zum erstenAnzeichen von Multipler Sklerose.
Das Web ist dabei nicht nur die perfekte Fundgrube fürHypochonder, manchen macht es erst zum eingebildeten Kranken. Sokönnten die vielen Krankheitsgeschichten im Netz auch Ängste beiMenschen wecken, die sich bisher keine übermäßigen Gedanken über ihreGesundheit machten, sagt Bleichhardt. Das beobachtet auch Prof.Detlev Nutzinger, der in einer Klinik in Bad Bramstedt Betroffenebehandelt. «Das Problem ist ja, dass Laien zwar unglaublich vielemedizinische Informationen im Netz bekommen, ihren Wahrheitsgehaltaber kaum einschätzen können. Das verunsichert viele.»
US-Forscher wie Brian Fallon von der Columbia Universität in NewYork haben für dieses Phänomen schon ein neues Fachwort erfunden: die«Cyberchondrie». Seinen Studien zufolge ist der Hypochonder von heutemeist ein «Cyberchonder» - Betroffene tun nichts anderes mehr, als imInternet ihre Symptome zu prüfen. Jörn Schäller kann das bestätigen:«Das ist quasi eine unendliche Spirale. Ohne die nötige Disziplin,den PC rechtzeitig auszuschalten, kann das schnell zur Sucht werden.»
Der 35-Jährige, der in Hamburg eine Hypochonder-Selbsthilfegruppegegründet hat, ist mit seinem Problem nicht allein. Laut Bleichhardtleiden schätzungsweise rund sieben Prozent der Deutschen unterKrankheitsängsten, betroffen ist also jeder 14. Bürger. Laut einerStudie der Weltgesundheitsorganisation ist das Phänomen weltweitbetrachtet in Deutschland besonders weit verbreitet - nicht zuletztder Komiker Harald Schmidt gilt als bekennender Hypochonder.
Das klingt für manchen amüsant, ist für Betroffene oft aberbitterer Ernst. Denn Hypochonder seien keine Simulanten, erklärtNutzinger. «Die Betroffenen haben messbare Schmerzen.» Oft führe dieFurcht Patienten sogar in einen Teufelskreis: «Die Angst vor einerKrankheit verschlimmert die Symptome dann tatsächlich.» Hypochondermacht ihre Panik vor dem Kranksein also häufig wirklich krank. Einsolches Leiden habe dann oft schlimme Folgen im Alltag: So bleibenBeruf und Familie bei Betroffenen oft auf der Strecke, weil sich fürsie alles nur noch um die eigene Gesundheit dreht.
Betreiber von Medizin-Portalen weisen die Schuld von sich: «Wirwollen Menschen keine Angst machen - es geht darum, mögliche Symptomeund Krankheiten besser verständlich zu machen», sagte KatharinaLarisch von «Netdoktor.de» in München. Allerdings sollten Surfernicht alles glauben, was sie im Internet an Krankheitsgeschichtenlesen. «Vorschnelle Diagnosen wie Durchfall plus Bauchschmerzengleich Darmkrebs sind natürlich Unsinn.»
Zudem ist laut Bleichhardt nicht jeder gleich ein Hypochonder, deraus Sorge über eine mögliche Erkrankung im Netz nach einem Symptomsucht. «Denn Angst vor Krankheiten hat wohl jeder - krankhaft wirddiese Angst aber erst, wenn sie Betroffene über einen Zeitraum vonmindestens einem halben Jahr ständig beschäftigt.»