Polio-Ambulanz hilft bei Spätfolgen der Kinderlähmung
Koblenz/dpa. - Um die 60 000 registrierte Betroffene gibt es nach offizieller Einschätzung in Deutschland: Postpolio, besser bekannt als die Spätfolgen der Kinderlähmung (Polio), ist noch immer eine verbreitete Krankheit.
Zwar treten dank konsequenter Impfungen bei Bundesbürgern seit Jahren kaum neue Polio-Fälle auf, doch bei vielen Menschen zeigen sich Postpolio-Symptome erst jetzt, teils Jahrzehnte nach der Infektion und einem normalen Leben. Besonders kompetente Hilfe finden sie im Koblenzer Brüderkrankenhaus bei Deutschlands einziger Polio-Ambulanz.
Kinderlähmung zunächst nicht erkannt
Im Brüderhaus kümmert sich Axel Ruetz, Leitender Arzt für Konservative Orthopädie und Rehabilitation, quasi als Einzelkämpfer um 40 Patienten pro Woche in der Ambulanz. Neben seinen sonstigen Aufgaben betreut er die Einrichtung, weil sie ihm auch aus persönlichen Gründen sehr viel bedeutet. «Da mein Vater auch von der Krankheit betroffen ist, habe ich mich schon früh mit ihr beschäftigt und auseinandergesetzt», sagt der 51-jährige Mediziner.
Von seinem Fachwissen und Engagement hat auch schon Margit Lindermann profitiert. Geboren im Oktober 1947, erkrankte die Frau aus Siershahn im Westerwald im Alter von vier Jahren an Kinderlähmung. Ihr Hausarzt ging von einer Grippe aus, doch eines Tages lag die heutige Sprecherin des Landesverbands der Polio- Betroffenen steif im Bett. Ihre Mutter erkannte nun, was vor sich ging. Im Koblenzer Krankenhaus Kemperhof kam das Mädchen direkt auf die Isolierstation. Die Ärzte machten Margit Lindermanns Mutter dort jedoch keine großen Hoffnungen, dass ihre Tochter die Krankheit überleben würde.
Auch Wissen über Spätfolgen gering
Nach einer fast einjährigen Behandlung in einer speziellen Einrichtung in Neuwied-Engers kam das willensstarke Mädchen im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Beine. «Mein rechtes Bein war von der Lähmung sehr betroffen, doch bei meiner Einschulung sah man mir die Krankheit kaum noch an», erinnert sich Lindermann. Auch im Sportunterricht konnte sie bis auf Sprungübungen gut mithalten, doch sie hatte stets Probleme mit der Ausdauer. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr blieb sie in spezieller Behandlung und erholte sich so gut, dass sie sogar Klettern, Rollschuhlaufen und Langlaufen konnte.
Die Belastung ging aber nicht spurlos an ihr vorbei. Mehrere ärztliche Behandlungen und Operationen vor allem an den Füßen waren nötig. Für einige Zeit konnte sie wieder ein normales Leben führen, doch Mitte der 90er Jahre war es damit vorbei. «Es ging nichts mehr, ich war total ausgepowert», erzählt die frühere Grundschullehrerin. Auch im Klassenraum brach sie mehrmals zusammen. Sie ging daraufhin von Arzt zu Arzt. Doch erst ein Neurologe klärte sie auf, dass sie unter den Spätfolgen ihrer Kinderlähmung litt. Inzwischen ist sie auf den Rollstuhl angewiesen.
Nur 50 Ärzte kennen sich mit der Krankheit aus
Dass mehrere Ärzte nicht erkannten, was mit Margit Lindermann los war, überrascht den Mediziner Ruetz nicht. Er schätzt, dass es in Deutschland nur um die 50 Mediziner gibt, die sich wirklich mit Polio und Postpolio auskennen. Als einer dieser Spezialisten wird er - nach langem Kampf um die Genehmigung - die Einrichtung eines Polio- Zentrums mit bis zu 15 Betten am Brüderhaus federführend organisieren. Es ist dann das einzige in Deutschland, so Ruetz. Weitere seien bislang von dortigen Verantwortlichen in Stuttgart und Jena geplant.
Website der Klinik: www.kk-koblenz.de
Infos für Betroffene, Familien und Ärzte vom Bundesverband Polio: www.polio.sh