Patientengespräch: Wie viel Zeit ist notwendig?
Berlin/Witten/dpa. - Er spricht unverständlichen Medizinjargon, hört nicht richtig zu, schaut ständig auf den Computer - und schon nach wenigen Minuten ist alles vorbei. Im Gespräch zwischen Arzt und Patient läuft oft manches Grundsätzliche schief.
Viele Kranke sind unzufrieden mit der menschlichen Beziehung zu ihrem Mediziner. «Die Praxen sind meist rappelvoll», heißt es etwa bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Berlin. «Oft hat der Arzt keine andere Chance, als die Patienten relativ schnell durchzuschleusen.»
Doch der «Beziehungsmedizin» kommt eine Schlüsselrolle zu - denn der gute Draht zum Patienten kann auch den Behandlungserfolg beeinflussen. «Die ganz starke Vermutung lautet: Kommuniziert ein Arzt optimal mit einem Patienten, wird die Therapie viel effektiver», sagt Prof. Martin Schnell, Direktor des Instituts für Ethik und Kommunikation im Gesundheitswesen an der Privatuniversität Witten/Herdecke. Wenn der Kranke den Mediziner versteht, sei er meist einsichtiger und befolge die ärztlichen Ratschläge eher. Sonst landen manche verschriebenen Medikamente im Müll - unter anderem deshalb, weil die Nebenwirkungen im Beipackzettel so erschreckend klingen.
Dass sich Patienten nach wie vor über die «Drei-Minuten-Medizin» in Deutschland beklagen, führt der Allgemeine Patienten-Verband in Marburg vor allem auf das Vergütungssystem für Mediziner zurück. «Ärzte haben immer noch Interesse an einem möglichst hohen Patientendurchsatz, kurzen Gesprächen und unnötigen Leistungen, damit der Umsatz steigt», kritisiert Präsident Christian Zimmermann. Im Moment sei der chronisch Kranke, der alle drei Monate wiederkommt, der ergiebigste Patient.
Der Internist und Sportmediziner Wolfgang Grebe aus dem nordhessischen Frankenberg plädiert dafür, dass Ärzte - auch bei Kassenpatienten - nach der Zeit für den Patientenkontakt bezahlt werden. «Nur mit einer besseren Honorierung hat man Zeit, sich mit dem Menschen zu beschäftigen. Damit würde man an die Wurzel des Problems herangehen.»
Wie lange ein Patient im Sprechzimmer sein sollte, lässt sich allerdings nur schwer beziffern. Beim ersten Besuch, bei dem auch die Krankheitsgeschichte erfasst wird, brauche ein Arzt mindestens eine halbe Stunde, ist Grebe überzeugt. Für eine Kontrolluntersuchung dagegen reichten 10 bis 15 Minuten. «Es gibt aber Berechnungen von Verbänden, die auf vier bis sieben Minuten kommen.» In manchen Praxen würden jeden Tag 120 bis 150 Patienten «durchgezogen».
Doch wie kann ein Patient einen Arzt dazu bringen, ausführlich mit ihm zu reden? Der einhellige Rat der Experten: sich gut auf den Arztbesuch vorbereiten. «Man sollte sich vorher informieren und eine Liste mit Fragen aufschreiben», empfiehlt Ingolf Dürr vom Deutschen Grünen Kreuz (DKG) in Marburg. «Sonst ist man irgendwann in der Situation, dass man nur noch zuhört und sich nicht mehr traut zu fragen.» Informationsquellen könnten etwa das Internet sein, aber auch Gesundheitslexika, Krankenkassen oder das Gesundheitsamt.
Bei Fachausdrücken muss man einfach nachhaken: «Meist lässt sich das zwar nicht mit einem Schlagwort, aber doch in zwei, drei Sätzen erklären.» Und auch wenn es ganz schwierig ist: Patienten sollten nach Ansicht des Ethik-Professors Schnell auf jeden Fall versuchen, «mal ein kritisches Wort mit ihrem Arzt zu reden». «Es hilft wirklich, wenn man das Verhalten des Arztes spiegelt - er merkt es zum Beispiel häufig gar nicht, dass er die ganze Zeit in den Computer guckt.» Wenn aber alles Reden nichts nützt, helfe nur ein klarer Schnitt, rät Schnell: «Den Arzt wechseln.»