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Magersucht Magersucht: Viele junge Frauen hungern sich krank

Von INES KRAUSE 22.05.2011, 20:26

Halle (Saale)/MZ. - Und obwohl beide Störungen ganz unterschiedliche Krankheitsbilder hervorrufen, so sind sie in der Gesellschaft doch gleichermaßen ein Thema. Denn: Zwar steigt die Zahl der Diagnosen seit dem Jahrtausendbeginn nicht mehr an, dennoch verharrt der Wert auf einem gleich bleibend hohen Niveau.

Zwischen zwei und vier Prozent der Bevölkerung, so schätzen Experten, leiden an einer Essstörung. "In Risikogruppen wie etwa Models oder Ballett-Tänzerinnen geht der Wert deutlich nach oben," sagt Dr. Thilo Hoffmann, Chefarzt der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Diakoniekrankenhaus in Halle. Der Mediziner weiß, wovon er spricht, denn auch in seiner Klinik werden regelmäßig Patienten mit Essstörungen behandelt - mit Erfolg.

Sie sind extrem abgemagert, finden sich jedoch zu dick. Auf diese einfache Formel lässt sich das krankhafte Verhalten von Menschen bringen, das gemeinhin mit dem Begriff "Magersucht" (griechisch: Anorexie) beschrieben wird. Die Störung ist tückisch, denn sie verläuft schleichend.

Die Kranken treten quasi in einen Wettlauf mit sich selbst. Obwohl ohnehin schon nicht dick, hungern sie sich auf ein extrem niedriges Zielgewicht herunter. Ist das erreicht, stecken sie sich eine neue Zielmarke. "Dieses Verhalten nimmt kein Ende, nicht einmal dann, wenn die Patienten bereits in Lebensgefahr sind," erklärt Thilo Hoffmann. Hinzu kommt die Tatsache, dass Magersüchtigen die Einsicht dafür fehlt, dass sie krank sind. Geradezu tückisch wirkt sich aus, dass die Diagnose Magersucht durchaus mit dem derzeit gängigen Schönheitsideal korreliert. Soll heißen: Am Anfang ihrer Erkrankung können diese Patienten ob ihrer extremen Schlankheit durchaus mit Anerkennung, ja sogar mit Bewunderung aus ihrem Umfeld rechnen.

Der Ausstieg wird ihnen zudem dadurch erschwert, dass sie für ihr Abnehmen auch innerlich, nämlich durch Endorphinausschüttungen, belohnt werden. "So kann es passieren, dass sie oft erst sehr spät überhaupt einen Leidensdruck empfinden. Mit entsprechender Verzögerung kommen sie zur Behandlung," erklärt Hoffmann.

Diese sei zugleich sehr kompliziert. "Denn Magersüchtige sind nicht nur psychisch, sondern auch körperlich krank. Außerdem handelt es sich dabei um die psychosomatische Erkrankung mit der höchsten Lebensgefahr. Denn rund zwanzig Prozent der Patienten sterben daran, wobei etwa die Hälfte Suizid begeht, die andere Hälfte stirbt an körperlichen Folgeerscheinungen wie Nierenversagen," erklärt der Mediziner. Zugleich verweist er auf einen Vorteil bei der Behandlung von Magersüchtigen in seiner Klinik: Die räumliche Nähe zu den internistischen Fächern im halleschen Diakoniekrankenhaus, die es ermöglicht, beide Seiten der Störung zu behandeln.

Bis heute sind die Ursachen für die Magersucht, aber auch für verwandte Störungen wie etwa die Ess-Brech-Sucht, nicht voll erforscht. Eines gilt jedoch als gesichert: Oft steckt ein Selbstwertproblem dahinter. Auslöser können scheinbar banale Einzelerlebnisse sein, zum Beispiel spöttische Bemerkungen.

"Eine Therapie ist zwar möglich, aber sie ist langwierig," sagt Thilo Hoffmann. Sie erfolgt zweigleisig, denn bevor man sich an eine psychologische Aufarbeitung machen kann, müssen zunächst die körperlichen Symptome behandelt werden. Anschließend gelte es einerseits mit tiefenpsychologischen Verfahren an der Oberfläche der scheinbar intakten Verhältnisse zu kratzen, aus denen viele dieser Patienten auf den ersten Blick kommen.

Andererseits müssen sie verhaltenstherapeutisch behandelt werden. Dazu gehört auch, gleichsam ihr Belohnungssystem umzupolen, damit sie nicht mehr das Abnehmen, sondern die Gewichtszunahme als Erfolg erleben können.

Darüber hinaus lernen die Patienten im Rahmen der sogenannten Genusstherapie, den Spaß am Essen zurück zu gewinnen. Außerdem sollen sie sich während ihres Klinikaufenthalts mit sogenannter ressourcenorientierter Arbeit beschäftigen. Das heißt: Sie sollen sich wieder auf Dinge besinnen, die sie ohnehin gut können. "Aus der daraus entstehenden inneren Zufriedenheit lassen sich Kraft und Selbstwert schöpfen," erklärt Thilo Hoffmann.

Ähnlich wie die Magersucht wird übrigens auch die zweite häufige Essstörung behandelt: Bei der Ess-Brech-Sucht (griechisch: Bulimie) können die Patienten ihr Essverhalten nicht mehr steuern. Regelrechte Fress-Attacken wechseln sich mit Erbrechen ab. "Im Gegensatz zu den Magersüchtigen leiden die Betroffenen extrem unter ihrer Krankheit," erklärt der Mediziner Hoffmann. Deshalb lassen sie sich auch besser therapieren.

Besorgten Eltern rät der Experte, genau hinzuschauen. Denn gerade bei Mädchen in der Pubertät treten Essstörungen auf, allen voran die Magersucht. In dieser Altersgruppe verschwimmen oft alle Maßstäbe. Angestachelt durch Werbung und unrealistische Vorbilder empfinden sich bereits sehr schlanke Kinder in diesem Alter als zu dick. Das wiederum macht Druck auf die Normalgewichtigen. Getreu dem Motto: Wenn die Dünnen schon zu dick sind, dann können die eigentlich Normalen doch nur fett sein.

Jedoch: Nicht jede Gymnasiastin, die sich als zu dick empfindet, ist gleich magersüchtig. "Mitunter", so Hoffmann, "sind das Phasen, die von allein wieder vorbei gehen. Handlungsbedarf besteht erst, wenn die Störung über einen längeren Zeitraum hinweg bestehen bleibt, sich also manifestiert hat." Im Einzelfall sei das allerdings nicht leicht zu erkennen. Hoffmann rät: "Wer unsicher ist, sollte sich Rat von Außen holen. Denn ein Außenstehender ist unabhängig und kann die Dinge schon deshalb objektiver beurteilen."