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Leben mit Osteoporose Leben mit Osteoporose: Das geht auf die Knochen

Von Bärbel Böttcher 26.09.2019, 08:00
Anneliese Müller erntet frisches Gemüse in ihrem Garten.  Sie bereitet täglich gesundes Essen zu, was für Osteoporose-Patienten  sehr wichtig ist. 
Anneliese Müller erntet frisches Gemüse in ihrem Garten.  Sie bereitet täglich gesundes Essen zu, was für Osteoporose-Patienten  sehr wichtig ist.  Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Anneliese Müller überlegt sich jeden Schritt, den sie geht, sehr genau. Schon ein kleines Stolpern, eine ruckartige Bewegung können der 81-Jährigen zum Verhängnis werden. Seit vielen Jahren lebt die Hallenserin mit der Diagnose Osteoporose, im Volksmund auch Knochenschwund genannt.

Osteoporose ist eine Stoffwechselerkrankung der Knochen. „Diese verlieren Kalksalz“, erklärt Dr. Bernhard Ullrich, Oberarzt an der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie am BG Klinikum Bergmannstrost in Halle. Die Knochensubstanz besteht zu etwa zwei Dritteln aus Mineralsalzen, von denen Kalzium das wichtigste ist. Und das wird - hauptsächlich in Form von Kalksalzen - in den Knochen eingelagert. Kalksalze sind für seine Härte verantwortlich. Gehen sie verloren, wird der Knochen brüchig.

Ursachen für den Verlust gibt es viele. Betroffen sind - durch den Hormonmangel nach der Menopause - besonders häufig ältere Frauen. Doch Osteoporose ist mitunter auch die Folge anderer Erkrankungen. Bernhard Ullrich nennt zum Beispiel Stoffwechselstörungen, die die Schilddrüse betreffen. Außerdem können Medikamente wie Cortison oder Säureblocker die Knochen schädigen.

Ungesunde Lebensweise

Der Mediziner verweist zudem auf eine Lebensweise, die im wahrsten Sinne des Wortes auf die Knochen geht: ungesunde Ernährung gepaart mit Bewegungsmangel, Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum. Das alles führe dazu, dass Osteoporose nicht nur bei älteren Frauen auftrete, sondern zunehmend auch bei jüngeren Menschen. Bernhard Ullrichs behandelt inzwischen auch 30-jährige Männer.

Bei Anneliese Müller ist die Osteoporose genetisch bedingt. Sie hat die Krankheit von ihrer Mutter „geerbt“. Sie wusste, dass sie ein erhöhtes Risiko hat, daran zu erkranken. Deshalb ist sie auch von der entsprechenden Diagnose des Orthopäden, den sie wegen einer schmerzenden Schulter aufsucht, nicht überrascht. Er stellt erste Wirbelkörpereinbrüche fest.

Sie sind durch die Schwächung des Knochengerüstes förmlich in sich zusammengesunken. Was, wie die Hallenserin beschreibt, jeweils nur einen kurzen Schmerz verursacht. Weshalb viele Patienten dem keine Beachtung schenken. Da aber immer mehr Wirbelkörpermasse fehlt, nimmt die Körpergröße ab. Auch Anneliese Müller ist kleiner geworden. War die zierliche Frau einst 1,61 Meter groß, misst sie heute nur noch 1,52 Meter.

Schmerzen ohne Anlass

Die ehemalige Schneiderin nimmt nach der Diagnose Kalziumtabletten und Vitamin-D-Präparate ein. Vitamin D spielt beim Erhalt der Knochen eine wichtige Rolle. Dennoch schreitet ihre Osteoporose fort. So erleidet Anneliese Müller 2014 bei einem harmlosen Sturz eine Beckenringfraktur. Es kommt zudem zu einem Bluterguss im Knochenmark. Nach der Operation im Bergmannstrost steht lange nicht fest, ob sie jemals wieder richtig laufen kann. Sie liegt so gut wie fest. „Mein hauptsächlicher Gang war der zur Toilette und zurück“, erzählt sie. Doch während einer vierwöchigen Reha kommt sie wieder auf die Beine.

2017 zieht sie sich dann einen akuten Wirbelbruch zu. Ohne jede äußere Einwirkung. Mediziner sprechen in diesen Fällen von Spontanbrüchen. Anneliese Müller kann plötzlich nicht mehr aufstehen, hat schreckliche Schmerzen. Ihr Mann alarmiert den Rettungswagen. Der bringt sie wieder ins Klinikum Bergmannstrost. Sie wird operiert und muss bei der sich anschließenden Reha erneut lernen zu gehen. Aber auch dieses Mal rappelt sie sich auf. „Aus der Reha wurde ich schon mit Gehstützen entlassen“, erzählt Anneliese Müller.

Osteoporose - spürbares Symptom meist ein Knochenbruch

Heute merkt ein Außenstehender ihr nicht mehr, dass ihr das Laufen einst Probleme bereitet hat. Zwar bewegt sie sich langsam und bedächtig vorwärts, aber doch ohne Hilfsmittel. Stolperfallen in der Wohnung, etwa Türschwellen, wurden beseitigt, Türrahmen vorsorglich verbreitet, so dass gegebenenfalls auch ein Rollstuhl durchpasst. Und die Badewanne musste einer ebenerdigen Dusche Platz machen.

Etwa 20 Prozent davon sind Männer. Nur etwa 30 Prozent aller Fälle werden frühzeitig diagnostiziert und behandelt. Angesichts dessen fordert die Hallenserin Ingeborg Linde, die den Bundesselbsthilfeverband für Osteoporose viele Jahre in der entsprechenden Weltorganisation vertreten hat, mehr Aufmerksamkeit für und mehr Aufklärung darüber. Es handle sich um eine Volkskrankheit, die hohe Kosten verursache, sagt die 85-Jährige, die selbst eine Selbsthilfegruppe leitet. Viele Kosten könnten vermieden werden.

Es ist nicht selbstverständlich, dass Osteoporose - so wie bei Anneliese Müller - frühzeitig diagnostiziert und dann eine entsprechende Therapie eingeleitet wird. „Das erste spürbare Symptom ist meist ein Knochenbruch nach einer Bagatellverletzung“, sagt Unfallchirurg Bernhard Ullrich. Er verweist auf eine Studie mehrerer Kliniken, an der das Bergmannstrost federführend beteiligt ist. Untersucht werden Wirbelbrüche.

Obwohl die Forschungsarbeit noch längst nicht abgeschlossen ist, zeichne sich bereits ein Ergebnis ab: „Mehr als die Hälfte aller Patienten, die mit einem Wirbelbruch zu uns kommen, der auf Osteoporose zurückzuführen ist, sind mit dieser Thematik noch nie konfrontiert worden.“ Anders ausgedrückt - sie wissen gar nicht, dass sie diese Krankheit mit sich herumschleppen und tun demzufolge auch nichts dagegen - was ein Blick auf ihre Dauermedikation bestätige. Da sei nichts dabei, was üblicherweise gegen den Knochenschwund verordnet wird, sagt der Mediziner.

Die Klinik beginne dann mit einer entsprechenden Therapie und im Arztbrief werde die Weiterführung sowohl von Diagnostik als auch Behandlung empfohlen. „Gefühlt“, so sagt er, „machen die osteoporose-assoziierten Brüche heute die Hälfte aller unfallchirurgischen Patienten aus.“

Zur sicheren Diagnose ist Knochendichtemessung nötig

Oftmals, so Bernhard Ullrichs Erfahrung, müssen Patienten, die sich mit Rückenschmerzen an ihren Hausarzt wenden, einen langen Leidensweg zurücklegen, bis die Krankheit festgestellt wird. Er wünscht sich, dass Hausärzte etwa bei älteren Frauen oder auch Menschen, die lange Zeit bestimmte Medikamenten einnehmen, öfter mal in diese Richtung denken. „Hinter anlassfreiem Rückenschmerz bei einem Patienten, der potenziell ins Osteoporose-Profil gehört, kann immer ein Bruch stecken“, sagt der Mediziner. Aber bei manchen dauere es zwei, drei Monate, bis der festgestellt werde.

Um die Krankheit sicher zu diagnostizieren, ist eine Knochendichtemessung nötig. Bei den genannten Risikogruppen sollte sie schon mal veranlasst werden, unterstreicht der Arzt. Denn eine frühzeitige Diagnose und Therapie könne viele Brüche verhindern. Anneliese Müller unterzieht sich dieser Prozedur aller zwei Jahre. Und sie hat - trotz einiger gesundheitlicher Rückschläge - einen Weg gefunden, mit der Krankheit umzugehen.

Natürlich nimmt sie regelmäßig ihre Medikamente. Zuletzt bekommt sie über einen längeren Zeitraum täglich knochenaufbauende Injektionen verabreicht. Das ist eine sehr teure Therapie, die Krankenkassen nur in besonders schweren Fällen genehmigen. Obwohl die Auswertung noch aussteht sagt Anneliese Müller: „Ich fühle mich stabiler und mobiler.“

Aber das ist es nicht allein. Sie hat sich in Halle einer Selbsthilfegruppe angeschlossen, in der neben vielen anderen Aktivitäten ein wöchentliches Funktionstraining auf dem Programm steht. Das ist eine speziell auf diese Krankheit ausgerichtete Gymnastik, die unter Anleitung dafür ausgebildeter Therapeuten durchgeführt wird.

Die Übungen helfen den Gelenken, dienen der Sturzprophylaxe, dem Gleichgewichtstraining sowie dem Muskelaufbau. Die Hallenserin will in Bewegung bleiben. Ein Arzt habe einmal zu ihr gesagt: „Sie können sich nur selber helfen, und zwar durch Sport.“

Keine Angst vor Verletzungen

Sehr genau achtet sie auch auf ihre Ernährung. Kalzium- und Vitamin-D-reich soll sie sein. Also greift Anneliese Müller zu Fisch, zu Käse, zu Brokkoli, zu Linsen, Nüssen ... Und bereitet das Essen täglich für sich und ihren Mann frisch zu. Darauf legt sie wert. Auch ihren Haushalt möchte sie weiter allein bewältigen. „Wenn auch entschleunigt“, wie sie sagt.

Angst, sich irgendwelche Verletzungen zuzuziehen, lässt Anneliese Müller nicht aufkommen. Ihre Maxime lautet: „Was ich nicht ändern kann, damit muss ich mich nicht belasten. Vielmehr muss ich etwas dafür tun, damit es mir besser geht.“  (mz)